StartseiteSport„Oh, wie ist das schön!“ - DFB-Elf feiert 4:2 gegen Portugal

Kabinengang

„Oh, wie ist das schön!“ - DFB-Elf feiert 4:2 gegen Portugal

Sport / Lesedauer: 7 min

Deutschland ist drin im Turnier! DFB-Auswahl gewinnt das zweite EM-Spiel gegen Portugal und überzeugt insbesondere offensiv. Robin Gosens feiert eine überragende Leistung.
Veröffentlicht:19.06.2021, 19:49

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„Oh, wie ist das schön!“ Joachim Löw verschwand sichtlich erleichtert im Kabinengang, die deutschen Nationalspieler um einen strahlenden Robin Gosens machten sich auf zur Ehrenrunde zu den fröhlich singenden Fans, die endlich das erste große EM-Sommerfest in München feiern konnten.

Angetrieben von den als verkappten Außenstürmern überragenden Gosens und Joshua Kimmich begeisterte die Nationalmannschaft mit Spaß- und Powerfußball beim 4:2 (2:1) gegen Lieblingsgegner Portugal — trotz manch defensiver Wackler.

„Wenn man so gute offensive Szenen hat, dann kocht der Kessel“, sagte Thomas Müller bei Magenta TV. „Jetzt haben wir die drei Punkte, die wir unbedingt benötigt haben. Jetzt dürfen wir nicht überdrehen. Man darf so eine kleine Euphorie auch ein bissschen spüren, aber wir müssen auch sachlich bleiben.“ Torschütze Kai Havertz sagte, es „war wichtig für uns, dass wir nach dem verlorenen Spiel gegen Frankreich nicht alles über den Haufen werfen, sondern bei unserer Linie bleiben. Wir vertrauen dem Trainer, wir vertrauen dem System.“

Durch den erzwungen Eigentor-Doppelpack von Rúben Dias (35. Minute) und Raphael Guerreiro (39.) sowie die Treffer von Havertz (51.) und dem an allen vier Toren beteiligten Turnierneuling Gosens (60.) ist die Drohkulisse eines frühen Turnier-K.o. und bitteren Endes der Ära von Bundestrainer Löw plötzlich wie weggeblasen.

Ronaldos erstes Tor gegen Deutschland

Trotz der Tor-Premiere von Cristiano Ronaldo (15.) gegen Deutschland und dem Treffer von Diogo Jota (67.) kann die DFB-Elf im letzten Gruppenspiel am Mittwoch mit einem Sieg gegen Ungarn sogar den ersten Platz in der Hammergruppe F noch schaffen. Die befürchtete Rechnerei um Gruppenkonstellationen und den rettenden dritten Rang kann man sich aus eigener Kraft ersparen. Ronaldo hingegen muss nach seiner fünften Niederlage gegen Deutschland mit dem Titelverteidiger wieder zittern.

Im legeren blauen Hemd dirigierte Löw engagiert an der Seitenlinie. Sein Startelfpersonal hatte er trotz der Enttäuschung gegen Frankreich unverändert gelassen. Kimmich begann wieder auf der rechten Außenbahn statt im Zentrum, das erneut von Ilkay Gündogan und Toni Kroos besetzt wurde. Die offensive Dreierkette bildeten Havertz, Serge Gnabry und Thomas Müller, die schon nach gut vier Minuten jubelten — aber nur kurz. Das von Gosens artistisch erzielte, vermeintliche Führungstor zählte wegen einer Abseitsposition von Gnabry nicht.

Dennoch wirkte Löw kurz nach dem Anpfiff zufrieden. Die Abstimmung funktionierte besser als gegen den Weltmeister am Dienstag. Havertz, der mit Müller und Gnabry immer wieder die Positionen tauschte, prüfte den portugiesischen Torwart Rui Patrício (10.), der Schuss von Toni Kroos wurde von Rúben Dias in letzter Not geblockt (12.). Portugal stand mächtig unter Druck — dem offensiv hochklassig besetzten Europameister reichte aber dieser eine Moment.

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urn_binary_dpa_com_20090101_210619-90-021044-FILED (Foto: Federico Gambarini)

Nach einer deutschen Ecke schalteten Ronaldo und Co. blitzschnell um und konterten gnadenlos. Das entscheidende Zuspiel auf Diogo Jota konnten die zurückeilenden Matthias Ginter und Kimmich nicht verhindern. Der 24-Jährige vom FC Liverpool legte überlegt auf Ronaldo, der vollendete und seine Freude in den Münchner Himmel schrie. Der Superstar erzielte sein 19. Tor bei Welt- und Europameisterschaften und schloss zu Rekordhalter Miroslav Klose auf.

Erfolgreich auf der Suche nach der goldenen Mitte

Schon wieder in Rückstand, das hatte Löw im zweiten EM-Spiel unbedingt vermeiden wollen. „Wir sind auf der Suche nach der goldenen Mitte“, hatte der Bundestrainer kurz vor dem Anpfiff in der ARD über die Risikobereitschaft seiner Spieler gesagt. Seine Taktik war in den vergangenen Tagen in Wohnzimmern, Kneipen und Freibädern wieder einmal hitzig diskutiert worden. „Ich mag das System nicht so gern“, sagte Jürgen Klopp bei Magenta TV. Die DFB-Auswahl tanzte auf dem schmalen Grat zwischen erdrückender Offensive und anfälliger Defensive.

Aber das machte sich gut. Nachdem schon Gosens Rui Patrício zur nächsten Parade gezwungen hatte (18.), verpasste Hummels eine Gnabry-Flanke aus aussichtsreicher Position um Zentimeter (25.). Die Löw-Elf wollte, sie drängte auf den Ausgleich. Das spürten auch die mehreren Tausend Fans auf den Rängen, die innerhalb weniger Minuten zweimal jubeln konnten.

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urn_binary_dpa_com_20090101_210619-90-022397-FILED (Foto: Federico Gambarini)

Das erste deutsche Turniertor leitete Kimmich über die viel diskutierte rechte Seite mit einem starken Ball auf Gosens ein, der mit Wucht und dem von Löw geforderten Mut direkt in die Mitte weiterleitete. Dort zwang Havertz Rúben Dias mit gutem Körpereinsatz zum Eigentor, das dem verhängnisvollen von Mats Hummels gegen Frankreich ähnelte.

TV-Experte Schweinsteiger lobt Risikobereitschaft

Die Führung erzwang die DFB-Auswahl durch erneut starkes Nachsetzen. Kimmich spielte den entscheidenden Ball aus kurzer Distanz vor das portugiesische Tor, den der Dortmunder Guerreiro nur noch ins eigene Tor abwehren konnte. Gnabry hätte vor der Pause fast noch erhöht (45.+2). „Was mir gefallen hat, war die Risikobereitschaft“, sagte ARD-Experte Bastian Schweinsteiger in der Halbzeit.

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urn_binary_dpa_com_20090101_210619-90-022037-FILED (Foto: Federico Gambarini)

Das dritte Tor für Deutschland nach starker Angriffskombination brachte noch mehr Sicherheit. Gosens wurde auf der linken Seite von den Portugiesen allein gelassen, die wieder gute Hereingabe des Italien-Profis verwertete Havertz zum ersten selbst erzielten Treffer der DFB-Auswahl. Ronaldo antwortete mit einem Freistoß, der aber deutlich über das Tor von DFB-Kapitän Manuel Neuer ging (54.).

Gosens krönte seine Glanzleistung in München per Kopf. Bei der Flanke von Kimmich schien wieder kein Portugiese den 26-Jährigen auf der Rechnung zu haben. Bei seiner Auswechslung kurz darauf wurde Gosens verdient gefeiert, der Nationalspieler verneigte sich sogar kurz, die Fans riefen im Gegenzug lautstark seinen Namen. Robin Gosens nach dem Spiel über sein Tor und zwei Vorlagen:

Unwirklich fühlt es sich an. Schöner kann es nicht sein. Mehr kannst Du Dir nicht wünschen. Ich glaube, dafür hat mich der Trainer aufgestellt, dass ich meine Offensivkraft einbringe. Die Jungs haben mich gesucht, da bin ich natürlich sehr happy drüber.

Robin Gosens nach dem Spiel über sein Tor und zwei Vorlagen
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urn_binary_dpa_com_20090101_210619-90-022303-FILED (Foto: Christian Charisius)

Diogo Jota ließ die Portugal-Fans im Stadion nach artistischer Vorlage von Ronaldo zumindest wieder ein bisschen hoffen. Renato Sanches traf gut zehn Minuten vor Schluss aus 25 Metern den Pfosten (78.). Zuvor war der vor der EM angeschlagene Leon Goretzka zu seinem Turnierdebüt gekommen. Er kam für Havertz (73.) und zielte wenig später nur knapp über das Tor (84.).

So gelingt der Achtelfinaleinzug

Mit dem Erfolg gegen Portugal hat die deutsche Fußball-Nationalmannschaft hat das Erreichen des Achtelfinales bei der EM-Endrunde selbst in der Hand. Ein Sieg gegen Ungarn zum Abschluss der Vorrunde am Mittwoch führt sicher in die Runde der letzten 16 - sogar der Gruppensieg ist drin , falls Frankreich (vier Punkte) gegen Portugal (drei) patzt.

Sollte Deutschland unentschieden spielen, wäre es, sofern Portugal Frankreich schlägt, darauf angewiesen, einer der vier besten Gruppendritten zu werden. Auch mit am Ende drei Punkten führt der Weg nur über den dritten Platz der Gruppe F - dann wäre sogar Ungarn vorbeigezogen, und Deutschland müsste auf einen französischen Sieg gegen Portugal hoffen.

Die vier besten Dritten der sechs Gruppen werden nach folgenden Kriterien ermittelt: Zunächst zählt im Vergleich mit den anderen fünf Gruppendritten die Anzahl der Punkte, dann die bessere Tordifferenz, die Anzahl der erzielten Tore sowie die größere Anzahl an Siegen aus allen Gruppenspielen. Danach würde bei Gleichstand die Fair-Play-Wertung herangezogen.