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Reitanlage

Die Pferdeflüsterin aus dem Allgäu

Memmingen / Lesedauer: 5 min

Angelika Gallitzendörfer ist Westernreiterin mit Haut und Haaren – und Erfolg
Veröffentlicht:05.10.2018, 15:41

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Der Name der Reitanlage sagt eigentlich alles: Chrom-Ranch. Untertitel: Kompetenzzentrum des Westernreitsports. Die Kompetenz trägt hier lässige Jeans und eine blonde lange Mähne: Westernreiterin Angelika Gallitzendörfer ist Europameisterin, deutsche Meisterin, bayerische Meisterin, Trainerin, Richterin, Prüferin, Trägerin des Goldenen Reitabzeichens und Pferdewirtschaftsmeisterin mit Auszeichnung. Davon gibt es im Bereich Westernreiten in Deutschland höchstens zehn.

„Ich kann ganz gut mit Tieren“, sagt die 49-jährige gelernte Kosmetikerin knapp. Die sorgfältig getuschten Wimpern umrahmen ihre strahlend blauen Augen, das Lächeln dieser Frau ist offen, ruhig und trotzdem entschlossen. Sie weiß, was sie will. Angelika Gallitzendörfer will die immer noch exotische Disziplin „Westernreiten“ in Deutschland voranbringen. Täglich arbeitet sie mit ihrem Partner zwölf Stunden im Stall, fährt auf Turniere, führt ihre Reitanlage und ihren Zuchtbetrieb. Nur einmal gönnt sie sich Urlaub – den Rest des Jahres kümmert sie sich um ihre Reitschüler.

Anders als in klassischen Reitställen beginnen ihre Kunden auf einem Sattel mit Horn, mit langen Zügeln und kaum Kontakt zum Pferdemaul. „Das Westernreiten lehnt sich an die Arbeitsreitweise der Cowboys an“, weiß Wikipedia . Der Ursprung liegt aber wohl in Spanien. Viele Westernreiter tragen deshalb statt Helm auch einen Hut und eben Cowboystiefel dazu.

Erfolgreiche Züchterin

Angelika Gallitzendörfers Karriere begann mit neun Jahren in normalen Lederreitstiefeln, auf einem klassischen Dressursattel ohne Horn, mit viel Schenkeldruck, beiden Händen an kurzen Zügeln. „Das war nett, aber immer mühsam. Ich war immer sehr gern bei den Pferden“, erinnert sich die erfolgreiche Reiterin an ihre Anfänge. Die Begeisterung für eine damals kaum verbreitete Disziplin kam erst zwölf Jahre später: Mit rund 20 Jahren besuchte sie Bekannte, die in den USA gelebt und von dort zwei Westernpferde importiert hatten. Die „Paint Horses“ besaßen einen kompakten Körperbau und dazu ein interessantes Farbmuster: eine Grundfarbe mit weißen Beinen, weißen Köpfen und anderen weißen Flecken im Fell.

„Das war damals noch total ungewöhnlich. Ich sagte zu meinen Freunden: ,Ihr habt ja lustige Pferde, wie im Zirkus!’“ Als Angelika Gallitzendörfer die Pferde Probe ritt, war sie überrascht: „Die reagierten total gut. Ich konnte viel feinere Hilfen geben als sonst. Nur ganz minimal. Die Pferde waren unheimlich sensibel.“ Kurz darauf stand ihr Entschluss fest: „Wenn ich mir mal ein Pferd kaufe, dann so eins.“

Paint Horses aus Amerika importiert

Aus einem wurden viele: In den letzten 30 Jahren hat Angelika Gallitzendörfer über 30 Pferde dieser Rasse aus Amerika importiert. Heute steht sie als einzige Deutsche überhaupt im Ranking der weltweit erfolgreichsten Züchter der „Paint Horses“ auf Platz acht – das hat vor ihr noch keiner geschafft.

„Mein erster Hengst war ein echtes Abenteuer“, erzählt sie von ihren Anfängen. Der Import fiel in die Zeit des Golfkriegs. „Der Hengst stand wochenlang in Quarantäne und durfte nicht ausgeflogen werden.“ Als er endlich in Deutschland ankam, war das Pferd erst einmal gar nicht zu bändigen. „Der hat nur um sich geschlagen. Den konnte man kaum anfassen.“ Mit viel Geduld und viel Gefühl bildete sie ihren Hengst zu einem gut gerittenen Westernpferd aus. „Ich reiste viele Hundert Kilometer zu den besten Ausbildern. Überall lernte ich dazu.“

Der Weg zur eigenen Reitanlage

Die 49-Jährige nahm über Jahre an jedem Lehrgang teil, der angeboten wurde. Sie startete auf Turnieren und übte sich in den verschiedenen Disziplinen der Westernreiterei. Weil sie damit in normalen Reitanlagen immer etwas Besonderes war, pachtete sie selbst einen kleinen Stall mit einem Reitplatz. „Bald kamen da Leute vorbei, schauten zu und sagten, ich will das auch lernen.“ Also gab sie Unterricht, bildete fremde Pferde aus und half ihren Kunden beim Pferdekauf. Als ihr Stall zu klein wurde, pachtete sie einen größeren, gab ihren Job als Kosmetikerin auf und startete obendrein eine eigene Zucht.

Die Sache lief. „Dann bot man mir das Grundstück an – und ich baute eine eigene Reitanlage.“ Eine finanzielle Belastung, die vielen Ausbildern das Genick bricht, weil unerwartete Kosten lauern. Angelika Gallitzendörfer hatte alles im Blick. „Ich bin ganz gut in BWL“, sagt sie knapp. Bei bürokratischen Dingen half ihr der Vater. Den Rest stemmte sie alleine. Die Rechnung ging für Angelika Gallitzendörfer am Ende auf: Die Reitanlage läuft, der Zuchtbetrieb floriert. Die Nachfrage nach Westernreitpferden und Westernreitstunden ist ungebrochen.

Bloß kein Stress

Deshalb sind auch 80 Prozent der Pferde auf ihrem Hof Jungtiere, die von ihr und ihrem Team ausgebildet werden. Zehn bis 15 Pferde sind fast täglich im Schulbetrieb. Vor allem Wiedereinsteiger und ältere Reitanfänger fühlen sich bei ihr wohl. Auch an diesem Tag erklärt die Europameisterin einem erwachsenen Mann, wie man ein Pferd lenkt. Mit viel Körpereinsatz zeigt sie dem Anfänger, wo der Gleichgewichtssinn des Reiters sitzt (innen am Oberschenkel), wie man die Zügel hält (ruhig und lässig) und wie man die kleine, braune Stute stoppt (Hüfte kippen). Ihr Ziel: Bei ihr soll „jeder Schüler die Harmonie mit dem Pferd finden“. Ihre Kundschaft will beim Reiten keinen Stress – weder im Stall, noch in der Reitbahn oder im Gelände. Ihre Kunden wollen nicht mit wilden Pferden kämpfen, sondern Reiten einfach genießen.

Klare Ansagen für Ross und Reiter

Was einfach klingt, ist in der Praxis manchmal schwer umzusetzen. Schließlich haben es ihre Schüler mit einer halben Tonne Tier zu tun. Und das hat seinen eigenen Willen. Deshalb macht Angelika Gallitzendörfer klare Ansagen: „Ich will, dass meine Schüler ohne Ziehen, Zerren und Treten mit dem Pferd umgehen können und harmonisch reiten.“ Die Ausbilderin sagt es, als gäbe es da keine Diskussion. Auch bei ihrer Kundschaft gilt sie als „sehr direkt“. Lob müsse man sich verdienen, findet sie. „Mir kann schon mal der Kragen platzen“, gibt die Westernreiterin offen zu. Das sei aber eigentlich immer nur zum Wohl des Pferds. Am Ende fühlen sich deshalb auf der Chrom-Ranch auch die Reiter wohl. Vielleicht deshalb der Name „Kompetenzzentrum für Westernreitsport“.