StartseitePolitikErdogan besucht Trump: Warum die Türkei und die USA auf Scheidungskurs sind

Scheidungskurs

Erdogan besucht Trump: Warum die Türkei und die USA auf Scheidungskurs sind

Istanbul / Lesedauer: 4 min

Der türkische Präsident Erdogan besucht Trump in Washington – Das Verhältnis ist so schlecht wie lange nicht
Veröffentlicht:13.11.2019, 06:00

Artikel teilen:

Mitten in der schwersten Krise der amerikanisch-türkischen Beziehungen seit Jahrzehnten kommt der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan an diesem Mittwoch in Washington mit US-Präsident Donald Trump zusammen. Bei dem Treffen im Weißen Haus wird es vor allem um die Zukunft von Nord-Syrien gehen. Obwohl Trump eigentlich den Rückzug der amerikanischen Truppen befohlen hatte, bleiben die USA jetzt doch in der Gegend militärisch präsent. Dort setzen sie – zum Ärger der Türkei – auch ihre Zusammenarbeit mit der Kurdenmiliz YPG fort. Experten bezweifeln, dass Erdogan und Trump den tiefen Riss zwischen ihren Ländern kitten können. Der Besuch könnte die Entfremdung zwischen der Türkei und dem Westen sogar vertiefen.

Warum die Stimmung schlecht ist

Howard Eissenstat, Türkei-Experte an der St.-Lawrence-Universität im US-Bundesstaat New York, hält das derzeitige Zerwürfnis zwischen der Türkei und den USA für schwerwiegender als die letzte schwere Krise im Jahr 2003. Damals verweigerte die Türkei den Amerikanern die Stationierung von Bodentruppen für den Angriff auf den Irak. Es dauerte Jahre, bis die Verstimmungen überwunden waren. Diesmal sei die „Bruchstelle“ bereits erreicht, sagte Eissenstat der „Schwäbischen Zeitung“ in Istanbul. Es gehe um eine Art Scheidung. Und bei Scheidungen gebe es meist viele Spannungen und Vorwürfe.

Tatsächlich haben sich zwischen der Türkei und den USA viele Probleme angesammelt. Die Türkei beklagt das Bündnis der Amerikaner mit der syrischen Kurdenmiliz YPG , die in Washington als Partner im Kampf gegen den Islamischen Staat gilt, von Ankara aber als terroristische Bedrohung gesehen wird. Dass die Amerikaner trotz Trumps Rückzugsbefehl jetzt bis zu 600 Soldaten in Syrien behalten wollen, erschwert es den Türken, gegen die YPG vorzugehen. Washington signalisiert zudem, dass die Kooperation mit der Kurdenmiliz weitergehen soll. Die YPG soll die Erlöse aus dem Verkauf von Öl erhalten, das in den von US-Soldaten gesicherten Ölfeldern im Nordosten Syriens gefördert wird. Erdogan sieht das als Versuch, der YPG die Schaffung eines „Terrorstaates“ in Syrien zu ermöglichen. Auch sonst ist die Türkei nicht gut auf Amerika zu sprechen. Ankara kritisiert unter anderem die kürzliche Resolution des US-Repräsentantenhauses zur Anerkennung der Massaker an den Armeniern im Osmanischen Reich als Völkermord.

Aus Sicht amerikanischer Politiker ist es dagegen die Türkei, die an den Grundfesten der Beziehungen rüttelt. Sie kritisieren den türkischen Einmarsch in Syrien als Angriff auf einen amerikanischen Verbündeten, nämlich die YPG. Zudem gibt es Krach wegen der türkischen Entscheidung zum Kauf des russischen Flugabwehrsystems S-400.

Kurz vor Erdogans Besuch sagte Trumps Sicherheitsberater Robert O’Brian im Fernsehsender CBS, die Türkei müsse mit amerikanischen Sanktionen rechnen, wenn sie bei dem russischen System bleibe.

Laut türkischen Medienberichten will Trump vorschlagen, dass er die Türkei von Sanktionen verschonen wird, wenn Ankara die russische Anlage nicht in Betrieb nimmt. Ähnliche Anregungen hat Erdogan bisher zurückgewiesen.

Politiker im US-Kongress verlangen Strafmaßnahmen, die bis zu Untersuchungen von Erdogans Privatvermögen reichen. US-Staatsanwälte werfen außerdem der staatlichen türkischen Bank Halkbank vor, amerikanische Iran-Sanktionen unterlaufen zu haben.

Zur anti-türkischen Stimmung trägt auch die Erinnerung an den letzten Erdogan-Besuch in Washington vor zwei Jahren bei. Damals hatten Erdogans Leibwächter mitten in der amerikanischen Hauptstadt auf Demonstranten eingeprügelt. Trump sei möglicherweise der einzige Politiker in Washington, der sich auf Erdogan freue, kommentierte die „Washington Post“.

Trumps Wort reicht nicht

Selbst wenn sich Erdogan mit Trump auf Lösungsansätze im Syrien-Streit oder bei anderen Themen einigen kann, ist das keine Garantie für bessere Beziehungen. Der türkische Präsident wirft der amerikanischen Regierungsbürokratie vor, Trumps Entscheidungen – etwa zum Truppenabzug aus Syrien – zu konterkarieren. Vor seiner Abreise nach Washington kritisierte Erdogan, entgegen den Zusagen der USA habe sich die YPG im Norden Syriens nicht vollständig aus dem Gebiet an der türkischen Grenze zurückgezogen.

Türkei-Experte Eissenstat sagte, es sei ein Fehler der Türkei, sich ganz auf den wankelmütigen Trump zu verlassen. Eissenstat sieht kaum Möglichkeiten für eine nachhaltige Reparatur des Verhältnisses zwischen den beiden Nato-Partnern: Die Krise zwischen den beiden Ländern wird zum Normalzustand.