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Die Tyrannei des Sollens und Müssens

Tettnang / Lesedauer: 3 min

Referentin spricht über den Superfrau-Komplex, den Zwang zum Pefektionismus
Veröffentlicht:13.10.2019, 16:06

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Tettnang (anrö) - Lassen sich Frauen zu sehr unter Druck setzen? Um dieses Thema ist es am Samstagvormittag beim 19. Frauenfrühstück im Martin-Luther-Gemeindezentrum in Tettnang gegangen. Nach einem reichlichen Frühstück mit regionalen Produkten, liebevoll arrangiert vom Frauenteam der Martin-Luther-Gemeinde, gelang es Ingrid Trost am Klavier mit „Spirit of Love“ die lebhaften Gespräche zum Verstummen zu bringen.

Ute Kessler-Ploner vom Team Frauenfrühstück begrüßte Referentin Elfriede Koch aus Lohr am Main. Die Pfarrerin, Psychotherapeutin und 7-fache Großmutter ist seit 2018 im Ruhestand. Koch war nach ihrem Theologiestudium unter anderem acht Jahre in Afrika tätig und ist jetzt als Referentin unterwegs. „Frau zu sein ist schwer. Man muss denken wie ein Mann, aussehen wie ein junges Mädchen und arbeiten wie ein Pferd. Der Druck fange, laut Elfriede Koch, schon in der Grundschule an. Ein „richtiges“ Mädchen sollte lieb, sanft und hübsch sein. Die erwachsene Frau habe eine gute Mutter und eine attraktive, verständnisvolle Partnerin zu sein, müsse den Haushalt perfekt im Griff haben, möglichst berufstätig und geistig rege sein.

Da Frauen Beziehungswesen seien und Angst vor Ablehnung hätten, bemühten sie sich, es allen recht zu machen und würden dabei vergessen, für sich selbst zu sorgen. Dabei ginge die Kontrolle über das eigene Leben verloren und es entstehe ein übermäßiger Druck und eine innere Leere. Ein Beispiel sei eine Freundin, die mit reichlich Übergewicht zu kämpfen hatte und sich deshalb abgelehnt fühlte, erzählte Elfriede Koch. Dann habe sie es geschafft, abzunehmen und plötzlich seien alle Menschen nett zu ihr gewesen. Doch dann sei sie in eine schwere Depression gefallen. Die Erkenntnis, dass Antipathien und Sympathien nur durch ihr Äußeres entstanden sind und nie wirklich sie selbst gemeint war, machte sie krank.

Elfriede Koch wies in ihrem Vortrag auf die amerikanische Autorin Marjorie Shewitz hin, die es das „Super-Woman Syndrom“ nennt, die „Tyrannei des Sollens und Müssens“, ein zerstörerischer Zwang nach Perfektion, der krank macht. Wie kann man gegensteuern? „Die Muslime bauen in Handarbeiten kleine Fehler ein, um nicht perfekt zu sein, denn das wäre sonst Gotteslästerung“ sagte Elfriede Koch. Vollkommenheit aber sei nicht notwendig. Wer meint, nur geliebt zu werden, wenn er schlank, schön und fleißig ist, verliere sich selbst. Bei der Sehnsucht des Menschen nach Vollkommenheit handele es sich um die Sehnsucht nach vollkommender Liebe zu Gott, nicht darum, Supermodel zu sein.

Zum Abschluss erzählte Elfriede Koch eine Anekdote aus ihrer Tätigkeit als Referentin. Vor einem Vortrag habe sie ihre beste Kostümjacke aus der Reinigung geholt und sich sorgfältig angekleidet. Sie habe großen Beifall erhalten und hätte sich sehr darüber gefreut, plötzlich aber festgestellt, dass die Knöpfe der Jacke am Handgelenk noch mit Alufolie umwickelt waren. Zuerst sei ihr das peinlich gewesen, doch dann hätte es sie glücklich gemacht, dass die Zuhörer mit ihrem Beifall ihre Worte gemeint und nicht ihr unperfektes Äußeres bewertet haben. Mit reichlichem Beifall bedankten sich auch die Zuhörerinnen im Gemeindezentrum bei Elfriede Koch und Ingrid Trost, die mit „Valse“ von Chopin einen harmonischen musikalischen Ausklang bot. Anstelle des Frauenfrühstücks wird es im nächsten Jahr am 20. März um 19 Uhr einen Frauen-Festabend geben.