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Verzweiflungstat

Verzweiflungstat und Experiment

Lindau / Lesedauer: 5 min

Musiker Hannes Wittmer erklärt, weshalb er dem Kapitalismus den Rücken kehrt
Veröffentlicht:09.10.2019, 19:19

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Im vergangenen Jahr hat er sein erstes Album unter seinem bürgerlichen Namen Hannes Wittmer veröffentlicht. Damit verabschiedete sich der Singer/Songwriter von seinem Künstlernamen Spaceman Spiff. Und auch vom kapitalistischen System. Das Album „Das große Spektakel“ steht auf seiner Homepage kostenlos zum Download bereit. Auch wer sein Konzert am Sonntag, 13. Oktober, um 20 Uhr im Zeughaus Lindau besucht, zahlt nur so viel Eintritt, wie er möchte („Pay-what-you-want“-Konzert). Im Gespräch mit LZ-Mitarbeiterin Birga Woytowicz erzählt Hannes Wittmer, warum er gar nicht die großen Bühnen, sondern lieber Fannähe sucht.

Es wird viel darüber geredet, wie Sie Ihre Musik neuerdings veröffentlichen, aber noch kaum über deren Inhalt. Stört sie das?

Klar, es ist spannend, darüber zur reden, wie Menschen Musik interpretieren. Aber ich mag es, wenn Musik für sich spricht, ohne viel über sie reden zu müssen. Wenn darüber gesprochen würde, kämen wohl auch so ähnliche Themen dabei heraus. Die Platte enthält viel Politisches.

Sie kritisieren das kapitalistische System. Worin genau sehen Sie das Problem?

Auf der Welt gibt es eine ökologische Krise, eine Krise der Demokratie mit dem Rechtsruck, die Schere zwischen Arm und Reich klafft immer weiter auseinander. Ich bin der Überzeugung, dass all das zum Teil damit zu tun hat, wie wir wirtschaften, was wir als wichtig und was als unwichtig ansehen. Ich wollte nicht bloß dagegen protestieren, sondern mich entsprechend verhalten. Mit meiner Rolle als Musiker habe ich den längsten Hebel, ein positives Gegennarrativ auszuprobieren.

Was hat sich dadurch in Ihrer Community verändert?

Mehr Menschen sprechen mich nach Konzerten an oder schreiben mir manchmal auch sehr persönliche Nachrichten, worauf dann ein paar Mails hin und her rutschen. Ich spiele jetzt auch spontan Konzerte, ein bis zwei Wochen vorher angekündigt. Manchmal biete ich auch Gesprächsrunden an. Vor Kurzem hat mich ein Rechtswissenschaftler angeschrieben. So entstehen Kontakte . Die Zeit für das alles habe ich, weil ich jetzt Marketing und Promotion komplett zurückgefahren habe.

Trotzdem frisst das ja auch Zeit und Nerven, gerade wenn Ihnen Leute so persönlich schreiben. Warum so viel Fannähe?

Mit den Menschen, mit denen ich über die Musik zusammenkomme, habe ich meist auch Lust, ein Bier zu trinken. Ich habe auch angefangen, zu hinterfragen, was der Job eines Künstlers innerhalb einer Gesellschaft ist. Kleine Konzerte sind auf Augenhöhe. Eigentlich will man als Musiker immer auf die großen Bühnen. Aber da sind meine Füße auf Kopfhöhe der Zuschauer, der Back-stagebereich ist hermetisch abgeriegelt. Ich merke, dass das für mich gerade nicht der richtig Rahmen ist. Mir gefällt der Gedanke, dass Musiker und Künstler auch Teil des Kits sind, der eine Gesellschaft zusammenhält.

Jetzt haben Sie ihre zweite Pay-what-you-want-Tour hinter sich. Nach der ersten Tour hatten Sie einen Reingewinn von rund 400 Euro. Wie ist die Bilanz nach der zweiten Tour?

Ziemlich ähnlich wie bei der ersten. Die erste Tour war aber mehr Aufwand, mit eigener Band, Tourbus und so weiter. Die letzten Konzerte hab ich nur im Duo mit meiner Cellistin gespielt. Mit Festgagen und Vorverkauf hätte es sich finanziell natürlich mehr gelohnt. Aber es geht mir ja nicht allein um Geld oder darum, eine Alternative anzubieten, als Musiker Geld zu verdienen. Es ist eine Mischung aus Verzweiflungstat, Experiment und politischer Kunstaktion. Die kann man nicht danach bemessen, wieviel Kohle dabei herauskommt.

Wenn Ihnen jemand sagt „Zahle, was du willst“ ist das keine leichte Entscheidung. Können Sie eine Handlungsempfehlung geben, woran man sich orientieren kann?

Ich schlage immer ein bis zwei Scheine deiner Wahl vor. Es ist total schwierig, weiß ich, aber das ist bewusst so. Ich will es nicht zu genau vorgeben, weil dann wiederum Leute abgeschreckt würden, die nicht viel Kohle haben und sich schon kaum den Fünfer leisten können. Ich habe auch ein allgemeines Spendenkonto, da finde ich es noch spannender. Manche Menschen richten Daueraufträge ein mit drei oder zehn Euro, andere zahlen einmalig, wahrscheinlich für die Platte. Aber was ist so eine Platte Wert? Ich hab für Platten zehn Euro gezahlt und sie einmal gehört, andere begleiten mich ein Leben lang.

Geld ist es nicht, was ist dann für Sie die wichtigste Währung?

Dass es Geld nicht ist, kann ich sagen, solange ich nicht in wirtschaftlichen Problemen bin und mir meine Miete und etwas zu essen leisten kann. Gerade sind es menschliche Begegnungen, das ist das Allerwichtigste.

Wie gewohnt ist Ihr Album voll mit starken Bildern. Auch wenn das Drumherum gerade im Fokus steht: Von welchen Zeilen hoffen Sie, dass sie Ihre Zuhörer zum Nachdenken anregen?

„Du nimmst eine Hand voll Geschichten, erzählst sie von vorn'. Schau all das, was dir den Schlaf nimmt, es hat dich verlorn'.“ Das ist aus dem Lied „Fragen“. Unsere Gesellschaft funktioniert zu großen Teilen über Geschichten, die Bestand haben, weil wir uns alle darauf geeinigt haben, daran zu glauben. Also Dinge wie Grenzen, Geld, oder sogar die aktuelle Mode. Eine dieser Erzählungen, vielleicht die stärkste unserer Zeit, ist unser Wirtschaftssystem samt Wachstumszwang, Konkurrenzdenken und Leistungsdruck. Vielleicht hat das Ganze auch eine Zeit lang funktioniert - ich finde es aber wichtig sich bewusst zu machen, dass es sich dabei nicht um Naturgesetze handelt, sondern um ausgedachte Narrative, die man hinterfragen und neu denken kann.