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Unterführung

Jugendliche sprühen Graffiti gegen die Tristesse

Weingarten / Lesedauer: 4 min

Graffiti als wertvoller Teil in der Jugendarbeit? In Weingarten ist man davon überzeugt. Nicht nur den Jugendlichen gefällt es. Und aus einem tristen Ort ist ein bunter Untergrund mit viel Potential geworden.
Veröffentlicht:12.09.2019, 11:57

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Lange Zeit war die Unterführung am Charlottenplatz in Weingarten ein trister Ort, den Passanten schnell wieder verließen. Leise bröckelte von den rauen Wänden der Beton, das Neonlicht flackerte - mal mehr, mal weniger nervös - und die schnell gekritzelten Schriftzüge hatten mit Kunst auf den erste Blick nichts zu tun. Auf den zweiten Blick auch nicht. Die Lösung für diese trostlose Situation hatte der Jugendgemeinderat. Jugendliche sollen die Unterführung verschönern - nämlich besprühen. Und das ganz legal und mit Hilfe von Profis. Seit 2014 finden in der Unterführung immer wieder Graffiti-Aktionen statt.

Hunderte Menschen passieren täglich den unterirdischen Gang. Sie eilen zur Arbeit, zur Schule oder flanieren in Richtung Stadtmitte. An einem sonnigen Dienstagmittag ist es ruhig unter der Waldseer Straße. Mitten im trüben Licht steht ein stattlicher Mann und schaut sich um. „buntkicktgut“ steht auf seinem Shirt. Sven Pahl ist Jugendarbeiter in Weingarten und unterstützt die Jugendlichen. Dass nun Spongebob neben einer giftgrünen Kobra-Schlange von einer Wand lächelt findet er "voll in Ordnung".

Mehr Plätze für legale Graffiti

Wenige Minuten zuvor stand er am Rand des Stadtparks und sagt Sätze wie "Ich könnte mir vorstellen, dass hier professionelle Sprüher ein grosses Bild malen" und zeigt auf eine kahle Wand, auf der einzelne Tags wohl die ersten Schritte testosterongesteuerter Jugendlicher zeigen. Der Jugendarbeiter ein Fan von Graffiti? Aber klar doch.

In den massiven Betontunnel führt von Westen her eine gründe Landschaft. Ist es das Schussental? Pahl weiss es nicht. Was er weiss: "Das war eines der ersten Bilder. Damit hat alles angefangen.“ Seitdem begrüssen lustige Gestalten und markante Schriftzüge die Passanten. Die Stile variieren. Bunte 3D-Formen, große, eckige Buchstaben - der sogenannte Blockbuster-Style - und dazwischen prangt das Wappen der Stadt Weingarten. Eine Prise Lokalkolorit zwischen kunterbunter Urbanität und Popkultur.

Das Wappen der Stadt Weingarten als Graffiti
Das Wappen der Stadt Weingarten als Graffiti (Foto: Florian Bührer)

Das Besondere ist: bei allen Aktionen nehmen Schulen teil. Dass ist es, was Pahl möchte. Schulen aus der Region in das Projekt mit einbinden. So soll das kreative Potential bei Kindern und Jugendliche geweckt werden. Und gefördert. „Die Schüler erarbeiten im Unterricht Konzepte und Skizzen", erklärt er. Diese bringen Sie dann in Begleitung mit ihren Lehrern und Profis aus der Graffitiszene an die Wand. Oft hätten die Jugendlichen enormes kreatives Potential, wüssten aber nicht, wie sie es ausleben können. Graffiti Workshops seien da eine gute Möglichkeit, sagt Pahl. Und wie sehen das die Schüler? “Mega“, sagt der Jugendarbeiter. Und grinst.

Graffiti soll Werte vermitteln

Graffiti in der Jugendarbeit - so manch einer mag da an eine sozialpädagogische Romantik Spätachtundzechziger denken. Doch weit gefehlt. Denn was nach Spaß aussieht, hat einen pädagogischen Hintergrund. Pahl will so den jugendlichen  Verantwortung übertragen und ihnen Raum zur Entfaltung geben. Von jugendlichen Schmiererien kann in Weingarten auch keine Rede sein. Die Werke sind nicht einfach nur dahingekritzelt. Die Jugendlichen würden sich im Unterricht lange Gedanken darüber machen. Und seien dann stolz, wenn sie ihr fertiges Bild an der Wand sehen würden, sagt Pahl. Und die Reaktionen darauf seien ausgespochen gut. Bei den Malaktionen gebe es so manche Passanten, die irritiert vorbei gehen würden. Wenn sie aber mit den Jugendlichen ins Gespräch kmmen würden, dann sei die anfängliche Skepsis meist schnell verflogen. "Einmal gab es einen Mann, der ließ sich aber nicht überzeugen", sagt Pahl. Auch damit müssten die Jugendlichen leben.

LOVE
LOVE (Foto: Florian Bührer)

Der Ausbau sozialer Kompetenzen sind Ziele bei Graffitiprojekten. In Gruppenarbeiten sollen die Jugendlichen Respekt, Teamfähigkeit und Selbstverantwortung lernen. „Graffiti soll als Türöffner dienen, um Jugendlichen Werte zu vermitteln“ heißt es in einer Broschüre des Berliner Vereins „Archiv der Jugendkulturen“. Türen öffnen - das ist es, was auch Pahl betont. Miteinander ins Gespräch kommen. So könnten die Jugendlichen andere Perspektiven besser verstehen und ihr eigenes Denken und Handeln reflektieren.

Vorbild für die Weingartener ist die Stadt Bochum. Dort gibt es mehrere frei zugängliche Flächen, an denen legal gesprüht werden darf.„Graffiti ist eine friedliche, kreative, weltweite Jugendkultur, die sich ausdrücken können muss“, heißt es auf deren Website. Ausrücken ja - aber in Weingarten nicht ohne Regeln. Die Schüler dürfen nur in den vorhergesehenen Flächen sprayen, Beleidigungen sind verboten und es gilt der Sprayer-Kodex: Gut gemachte Werke werden nicht übermalt.