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Höhenweg

Unterwegs auf einem der spektakulärsten Höhenwege Deutschlands

Oberstdorf / Lesedauer: 4 min

Auf der anspruchsvollen Tour in den Allgäuer Alpen begegnet der Wanderer ziemlich sicher mindestens einem Steinbock. Wer keinen sieht, bekommt sein Geld zurück.
Veröffentlicht:05.08.2019, 06:00

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Von Hütte zu Hütte, von Grat zu Grat – auf der anspruchsvollen Tour in den Allgäuer Alpen begegnet der Wanderer ziemlich sicher mindestens einem Steinbock.

Die Steinbock-Tour entlang des Allgäuer Hauptkamms ist der vielleicht spektakulärste Höhenweg Deutschlands. Am Wegesrand grüßt immer wieder ein gehörnter Einheimischer. Seine Pose sitzt: den Kopf stolz erhoben, aufrechte Haltung, die Hörner leuchten im Abendlicht. Ein Bild von einem Bock, vor den samtgrünen Grasflanken der Allgäuer Alpen.

Doch was machen die Wanderer, die gerade vorbeikommen? Zücken nicht mal mehr ihr Handy, um ihn zu fotografieren. Sie schauen nur kurz rüber und marschieren weiter, hinab zur Hütte am See.

Hinauf zum Mädelejoch

„Wir haben hier eine Steinbock-Garantie“, verspricht Thomas Dempfle , der Chef der Alpinschule Oase, vor der Tour. „Wenn die Gäste keine Böcke sehen, bekommen sie ihr Geld zurück. Aber zahlen mussten wir noch nie.“ Es klingt wie Prahlerei für einen Höhenweg, dem die Bergschulen in Oberstdorf den Namen Steinbock-Tour gegeben haben. Gut 38 Kilometer weit führt der Weg entlang des Allgäuer Hauptkamms, 2800 Höhenmeter rauf und wieder runter, durch Schluchten und Bergwald, über Wiesenkämme und Felsgrate, von Hütte zu Hütte. Eine anspruchsvolle Tour – und hochalpin.

 Manchmal geht es nur mit technischer Hilfe: Eine Leiter führt zum Großen Steinschartenkopf.

Los geht es in Spielmannsau. Um sich langsam warmzulaufen, ist der Zustieg perfekt. Sanft steigt der Weg an durch eine wilde Schlucht. Bald weitet sich das Tal. Auf dem Logenplatz einer Kuppe sitzt die Kemptner Hütte. Für den vielgepriesenen Rinderbraten ist es noch zu früh. Also marschiert die Gruppe weiter, hinauf zum Mädelejoch. Hier zweigt der E5 ab, es wird ruhiger. Durch Gras und Geröll führt der Weg unterhalb der Felsgrate des Kratzers entlang, manchmal ausgesetzt.

Und dann stehen da plötzlich die ersten Steinböcke. Ein halbes Dutzend stakst zwischen Felsen umher. Die Tiere sind vielleicht 20 Meter entfernt, aber die Wanderer scheinen sie nicht zu stören. Kein Wunder, dass die Menschen diese majestätischen Tiere seit der Steinzeit verehrt haben. Sie malten sie an die Wände ihrer Höhlen und trugen ihr Fell. Später zerstieß man die Hörner zu Pulver, das Herzkreuzlein – die verknöcherte Sehne des Herzmuskels – trug man als Amulett.

Der Aberglaube war das Schicksal des Steinbocks, Jäger rotteten ihn fast überall in den Alpen aus, auch im Allgäu. Erst in den 1960er-Jahren wurden hier wieder ein paar Böcke aus der Schweiz ausgewildert. Sie vermehrten sich unter Naturschutz stehend prächtig. 2016 wurden allein im Oberallgäu 441 Steinböcke gezählt.

Der Weg bis zum Waltenbergerhaus zieht sich. Die Gruppe quert den Schwarzmilzferner, den kläglichen Rest des letzten Allgäuer Gletschers, steigt hinauf zur Bockkarscharte und über einen steilen Schotterhang in endlosen Serpentinen hinab zur Hütte. Die hellen Schindeln leuchten schon von weitem durch den Nebel. Das Waltenbergerhaus ist neu, der halbrunde Holzbau wurde erst im Juni 2017 eröffnet.

Früher war Markus Karlinger Wirt im Lechtal. Als vor acht Jahren das Waltenbergerhaus frei wurde, griff er zu. Und war schockiert. „Die Hütte war in einem desolaten Zustand, sie wurde lange nicht instand gehalten.“ Die Behörden bemängelten den Brandschutz und das Lebensmittellager im Keller. Am Ende entschied die zuständige Sektion des Alpenvereins, die alte Hütte abzureißen und eine neue zu bauen. Als einzige Hütte in den Allgäuer Alpen wird das Waltenbergerhaus mit dem Helikopter versorgt. Die meisten Gäste kommen wegen des Heilbronner Wegs, eine Paradetour und die Etappe des nächsten Tages.

Über Leitern und Treppen

Die Morgensonne vergoldet bereits die Bergspitzen, als es den Geröllhang vom Vorabend wieder hinauf geht. Perfektes Bergwetter ist angesagt. Grandiose Panoramen begleiten den ganzen Tag. Der Heilbronner Weg führt über Felsgrate, die auf beiden Seiten Hunderte Meter abfallen, auf den Gipfel des Bockkarkopfs und über eine Sprossenbrücke zum 2615 Meter hohen Steinschartenkopf. Stahltreppchen, Leitern und Seile entschärfen steile und ausgesetzte Passagen, Klettersteig-Ausrüstung braucht man nicht. Entsprechend beliebt ist der Weg.

Auch deshalb wird es später Nachmittag, bis sich die Wanderer durch den Felsspalt des Heilbronner Thörles zwängen und über Wiesenhügel absteigen. Das Hohe Licht, der zweite Zusatzgipfel, wird ausgespart. Stattdessen schießen wir Fotos bei der nächsten Steinbock-Bande. Vor der Kulisse des glitzernden Rappensees spaziert man schließlich hinab zur gleichnamigen Hütte. Kaltes Weißbier, See- und Bergblick auf der Terrasse – besser wird es nicht.