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Gerichtssaal

„Hauen und Stechen“ im Gerichtssaal

Rottweil / Lesedauer: 3 min

Emotionen zum Ende des Drogenprozesses im Fall Geisingen – Schwurgericht will Urteile am Montag verkünden
Veröffentlicht:05.11.2018, 20:16

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Wie ist vom Sommer bis Herbst 2017 haufenweise Rauschgift nach Geisingen gekommen – und fand dann reichlich Abnehmer? Diese Frage konnte die Schwurgerichtskammer des Landgerichts Rottweil auch am Montag, am zehnten und letzten Verhandlungstag, vor dem Urteil nicht zweifelsfrei klären.

Verteidiger Claus Unger fasste den Prozessverlauf in einem Satz zusammen: „Es war ein Hauen und Stechen, jeder gegen jeden.“ Angeklagt sind sieben Männer im Alter zwischen 22 und 42 Jahren wegen Drogenhandels, zum Teil bandenmäßig. Warum ausgerechnet Geisingen?

Fixpunkt ist ein 42-jähriger Türke, der in der Gemeinde arbeitete und dort mit seiner Familie lebte. Er kam aus der Schweiz, wo er schon früher mit Drogen in Kontakt gekommen war. Über einen Kollegen warb er einen jungen Albaner an – mit der Aussicht, durch „Fahrdienste in der Schweiz“ Geld zu verdienen. Letztlich aber ging es um Drogengeschäfte. Zur Frage, wer nun der Strippenzieher und damit Haupttäter war, blieben am Schluss zwei Versionen: Der Türke erklärte, das Rauschgift sei über einen Hintermann namens „Pledi“ mit einem schwarzen Ford Focus und Herne-Kennzeichen aus dem Ruhrgebiet gekommen, wo der Albaner vorher schwarz bei Baufirmen gearbeitet hatte.

Drogenpakete in Konstanz

Der wiederum, heute 23 Jahre alt, behauptet, er sei im Auftrag des Türken zweimal ins Einkaufszentrum „Lago“ nach Konstanz gefahren, wo ihm ein Schweizer und ein Türke im Parkhaus die Drogenpakete übergeben hätten. Der Albaner hatte zuvor einen Freund, 21 Jahre alt, aus dem gleichen Dorf in Albanien nach Geisingen gelockt. Zu einer Art Drehscheibe des illegalen Handels wurde ein drogenabhängiger gebürtiger Rheinländer mit belgischem Pass, der in seiner Geisinger Wohnung eine Indoor-Marihuana-Plantage betrieb.

Dieses Quartett ist wegen bandenmäßigen Drogenhandels angeklagt. Drei weitere Beschuldigte zwischen 22 und 30 Jahren aus dem Raum Geislingen waren Abnehmer und Kleindealer zugleich. Außerdem gingen große Mengen des Rauschgifts an Asylbewerber aus Gambia, die in einem Möhringer Heim untergebracht waren. Sie verkauften die Drogen unter anderem in Tuttlingen. Nach ihnen hat die Polizei bisher vergeblich gefahndet.

Nach Angaben des 23-jährigen Albaners hatten er, sein Landsmann und der Türke sich gegenseitig geschworen, jegliche Beteiligung zu leugnen. Doch dann legte der Türke im Juli seine Version eines Geständnisses ab. Das brachte ihm Bonuspunkte bei Staatsanwältin Annemarie Grimm ein, die für ihn wegen Hilfe zur Aufklärung eine Gefängnisstrafe von fünfeinhalb Jahren beantragte.

Die Albaner, die erst am Ende des Prozesses auspackten, sollen dagegen acht beziehungsweise siebeneineinhalb Jahre ins Gefängnis. Das führte vor allem beim Älteren zu wütenden Reaktionen. Am vorletzten Prozesstag schrieb er im Vorführraum des Gerichts dessen Namen an die Wand, bezeichnete ihn als „Verräter“ und „Spitzel“. Und am Montag berichtete er aufgebracht, der Türke habe ihm während einer Rauchpause angedroht, er werde dafür sorgen, dass seine Familie büßen müsse. Der Türke antwortete betont ruhig, der andere habe angefangen, das stimme nicht.

Welche der Versionen stimmt, ist offen. Wolfgang Burkhardt (Rottweil), der Verteidiger des Albaners, verwies darauf, dass sich für die Version des Türken – trotz intensiver Ermittlungen – bisher keinerlei Belege gefunden hätten. Die Haftstrafe sollte deshalb sechseinhalb Jahre „auf keinen Fall überschreiten“. Heinz Tausendfreund (Meersburg), der den Türken vertritt, erklärte, sein Mandant sei von Ende Juli bis Mitte August 2017 in der Türkei in Urlaub gewesen und hätte schon deshalb den ganzen Handel nicht organsieren können. Somit sei eine Haftstrafe von drei Jahren angemessen.

Der Rädelsführer soll nach dem Willen der Staatsanwältin ebenso wie der Belgier sechs Jahre in Haft. Beide Verteidiger forderten mildere Strafen. Das Schwurgericht will die Urteile am kommenden Montag um 9 Uhr verkünden.