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ZF und Bosch suchen Hilfe im Silicon Valley

Wirtschaft / Lesedauer: 5 min

ZF und Bosch suchen Hilfe im Silicon Valley
Veröffentlicht:05.11.2017, 18:17

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Unternehmen aus Baden-Württemberg wie ZF und Bosch wollen künftig mehr mit Start-ups aus Kalifornien zusammenarbeiten. Schließlich steht die Autoindustrie vor dem größten Umbruch in ihrer Geschichte.

Ihre Hände bleiben keine Sekunde ruhig, sie fasst sich ans Herz, steckt ein Locke ihrer dunklen Haare hinters Ohr, redet schnell, übersprudelnd – und wird immer dann lauter, wenn es es ihrer Ansicht nach wichtig wird. Noch wichtiger, als es sowieso schon ist. „Wir wollen hier im Valley die Geschwindigkeit der Digitalisierung für ZF adaptieren“, sagt Malgorzata Wiklinska . „Und das ist der einzige Weg, der der Autoindustrie das Überleben sichern kann.“ Die Ingenieurin leitete bis April die Denkfabrik von ZF in Friedrichshafen und ist bei dem Autozulieferer nun für digitale strategische Partnerschaften zuständig. Ihr Arbeitsplatz: Sunnyvale, Kalifornien, im Silicon Valley, dem Zentrum der Digitalindustrie.

„Wir müssen die Schnelligkeit der Region hier und die Kreativität kombinieren, um unsere Produkte zu verbessern“, erläutert die gebürtige Polin. Für das Unternehmen ZF, das vor allem für mechanische Getriebe bekannt ist, ist das gleichbedeutend mit der Entwicklung von Systemen, die nicht mehr rein mechanisch funktionieren, sondern durch elektronische Komponenten und Computerprozessoren künftig auch bei autonom und miteinander vernetzt fahrenden Autos genutzt werden sollen.

ZF ist nicht das einzige Automobilunternehmen, das im Silicon Valley aktiv ist. Die Konkurrenten Bosch und Continental haben seit vielen Jahren eine Niederlassung in Kalifornien , die wichtigsten Autobauer, darunter VW, BMW und Daimler, sind in der Region zwischen San Francisco und San José aktiv. Hintergrund ist die Tatsache, dass die Automobilindustrie vor den größten Umbrüchen ihrer Geschichte steht: Nicht nur dass das Auto der Zukunft wohl elektrisch und autonom fährt, sondern auch, dass neue Wettbewerber wie Tesla und Google die Konzerne mit neuen Techniken vor sich hertreiben oder Unternehmen wie Uber Geschäftsmodelle entwickeln, die die Branche von Grund auf verändern.

Künstliche Intelligenz und Big Data

Das Silicon Valley als das weltweit wichtigste Zentrum der Hochtechnologie-Industrie ist für die Autokonzerne vor allem deswegen interessant, weil dort die führenden Experten für Künstliche Intelligenz und die digitale Verarbeitung großer Datenmengen sitzen. „ZF kommt hier in direkten Austausch mit dem Kreativpotenzial der Gründerszene und kann schnell Partnerschaften mit Start-ups vor allem im Hinblick auf Digitalisierung, Vernetzung und autonomes Fahren eingehen“, heißt es in der Konzernzentrale in Friedrichshafen.

Bei Malgorzata Wiklinska klingt das anders. „Die Menschen glauben an ihre Ideen. Auch wenn sie einen Schlag ins Gesicht bekommen, arbeiten sie weiter“, erzählt die 34-Jährige. Und vor allem: „Das Silicon Valley ist so voller Ideen, weil es hier auch das Risikokapital von Investoren gibt, um dieses Ideen auszuprobieren.“ Seit Juli hat ZF ein Büro in Sunnyvale, in der Start-up-Agentur „Plug and Play“. Der Konzern hofft so auf Entwickler und Geschäftsmodelle zu stoßen, die dem drittgrößten Autozulieferer der Welt helfen, den Umbruch in der Autoindustrie erfolgreich zu bestehen. Es geht um ähnliche Partnerschaften wie der mit Nvdida, dem Grafikprozessorenhersteller, mit dem ZF gemeinsam eine elektronische Steuereinheit mit einer Rechenleistung zur Marktreife bringen möchte, die beim Autofahren gesammelte Daten nicht nur verarbeitet, sondern als selbst lernendes System auch interpretiert.

Bosch ist schon weiter

Andere Konzerne sind bei ihrer Silicon-Valley-Expansion bereits weiter: Bosch hat eine Niederlassung mit allen Geschäftsbereichen, die es auch am Stammsitz des Zulieferers in Gerlingen (Kreis Ludwigsburg) gibt. Das große Thema bei Bosch ist ebenfalls die Künstliche Intelligenz. „Wir können viele Produkte, die wir produzieren, durch Künstliche Intelligenz besser und effizienter machen“, sagt Hauke Schmidt, Direktor der Bosch-Niederlassung in Palo Alto. Vor allem erforscht Bosch im Silicon Valley gemeinsam mit dem Autobauer Daimler Chancen und Möglichkeiten des autonomen Fahrens. Mit einem mit Computern und Prozessoren vollgestopften Tesla ist Bosch-Entwickler Sven Zimmermann deshalb regelmäßig auf den Highways zwischen San Francisco und San José unterwegs. Die Technik für das autonome Fahren der Stufe drei liefert Bosch bereits an Audi aus. Das sind zumeist Assistenzsysteme, die dem Fahrer in bestimmten Situationen das Einparken oder das Fahren auf der Autobahn erleichtern. „Die wirkliche Revolution findet aber mit dem Übergang von Level drei zu Level vier statt“, erklärt Zimmermann. „Da wird man bereits hinten sitzen und sich eben nicht mehr auf einen Menschen am Steuer verlassen müssen.“ Genau diese Technologie baue Bosch im Valley.

Auch der größte nicht-amerikanische Arbeitgeber im Silicon Valley arbeitet an der Zukunft der Mobilität – auch wenn das Auto eigentlich nicht zu den Kernprodukten des Unternehmens gehört. Der Computerkonzern SAP mit Sitz in Walldorf beschäftigt in Kalifornien mehr als 4000 Mitarbeiter und entwickelt Software für Kunden aus der Autoindustrie und der Logistikbranche. „Wir arbeiten daran, die Geschäftsdaten der Unternehmen und die Livedaten aus den Fahrzeugen zu kombinieren, um so neue Servicedienste anzubieten“, sagt Philipp Skogstad, Vizechef des Forschungsressorts im Silicon Valley. Denkbar sind Produkte zum Optimieren von Routenplanern, Pannendiensten oder Autoversicherungen.

„Für alle geht es darum, sich nicht von der neuen Konkurrenz um Uber und Co. das Geschäft wegnehmen zu lassen“, erklärt Skogstad. Ein Satz, der auch von Malgorzata Wiklinska gekommen sein könnte. Die ZF-Managerin hätte ihn allerdings noch mit leidenschaftlichen Gesten untermalt. Und ihre widerspenstige Locke noch einmal hinters Ohr gesteckt.