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Steuersenkung

Wie eine gewaltige Steuersenkung

Wirtschaft / Lesedauer: 4 min

Der niedrige Ölpreis hilft Unternehmen und Konsumenten in unsicheren Zeiten
Veröffentlicht:28.02.2015, 07:00

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Sehr billiges Öl und ein abgewerteter Euro – beides könnte in diesem Jahr die Wirtschaft befeuern. Solche günstigen Rahmenbedingungen tragen dazu bei, dass Krisen nicht mit voller Wucht auf die Konjunktur durchschlagen. Es wäre eine positive Überraschung, nachdem sich das Vorjahr schlecht für die Wirtschaft gestaltet hatte.

Aktien zum Beispiel enttäuschten. Nach dem fulminanten Jahr 2013 hatten die meisten Fachleute für 2014 ein tolles Aktienjahr erwartet. Doch mit Ausnahme der USA kletterten die Börsenindizes nur zögerlich; das Rennen machten Staatsanleihen: Deutsche Papiere mit 30-jähriger Laufzeit etwa erzielten eine Gesamtrendite von 34 Prozent, während der Deutsche Aktienindex (Dax) bescheidene vier Prozent zulegte. Nun sind die Analysten vorsichtiger geworden: Dem Dax prophezeien sie „ein schwieriges Jahr“. Gründe für diese Zurückhaltung gibt es genug: Da ist zum einen die Konjunktur in der Eurozone, zum anderen der mögliche Austritt Griechenlands aus der Währungsgemeinschaft sowie Wahlen in Großbritannien und Spanien, bei denen eurokritische Parteien gute Chancen haben. Hinzu kommt die Ukraine-Krise, die sich zu einem Krieg auswachsen kann.

Konsum angekurbelt

Allerdings gibt es zwei gewichtige Faktoren, die viele Analysten wohl noch nicht hinreichend auf der Rechnung haben: der erhebliche Einbruch des Ölpreises um mehr als 60 Dollar sowie die deutliche Abwertung des Euro. Beides zusammen könnte Konjunktur und Unternehmensgewinne in Europa deutlich stärker stimulieren als bislang angenommen: „Der Preisrückgang beim Öl wirkt wie eine riesige weltweite Steuersenkung in den ölimportierenden Ländern. Das kurbelt den Konsum an und steigert zeitverzögert die Gewinne der meisten Unternehmen“, sagt Ingo Schweitzer von der bankenunabhängigen Vermögensverwaltung AnCeKa Vermögensbetreuungs AG mit Sitz in Kaufbeuren.

Das Forschungsinstitut Oxford Economics geht davon aus, dass ein dauerhafter Rückgang beim Ölpreis um 20 US-Dollar die Wirtschaft der ölimportierenden Industrieländer um jeweils 0,4 Prozentpunkte wachsen lässt. Ähnlich argumentiert der Internationale Währungsfonds. Bliebe der Ölpreis auf dem aktuellen Niveau, würde dies zu einem um 1,2 Prozentpunkte höheren Bruttoinlandsprodukt (BIP) führen. Schließlich haben die Menschen spürbar mehr Geld in der Tasche, das sie entweder für andere Waren oder Dienstleistungen ausgeben oder sparen. Das gilt ganz besonders für bevölkerungsreiche Schwellenländer wie Indien und China, in denen die jungen Mittelschichten noch hohen Konsumbedarf haben.

Spekulanten unterwegs

Allerdings ist fraglich, ob der Preisrückgang um bislang fast 60 Prozent von Dauer ist. Gottfried Urban von der Bayerischen Vermögen AG mit Niederlassung in Kempten geht davon aus, dass wie 2008 viele Spekulanten am Markt sind, die auf fallende Preise setzen. „Wenn diese ihre Spekulationen glattstellen, ist mit starken Preisschwankungen zu rechnen“, so Urban. Gleichwohl sieht auch er, dass niedrigere Produktionskosten die Gewinne der Konsumgüter- und der Chemieindustrie beflügeln. Sein Fazit: „Je energieintensiver die Branche, desto deutlicher dürfte sich der Rückgang des Ölpreises im Gewinn bemerkbar machen.“

Wie lange Öl so günstig bleibt - Starke Schwankungen sind typisch für Energiepreise – Schieferölförderung hat die Spielregeln verändert

Ist der drastische Rückgang des Ölpreises dauerhaft oder nicht? Von der Antwort hängt ab, wie stark die Weltwirtschaft in den nächsten Jahren wachsen wird. Beim Rückblick auf die vergangenen Jahrzehnte lassen sich mehrere Epochen unterscheiden, wie das Institute for New Economic Thinking herausgefunden hat: Von 1974, dem Gründungsjahr der Opec, bis 1985 fluktuierte der Ölpreis inflationsbereinigt zwischen 50 und 120 Dollar – dies war die Zeit, als die Weltwirtschaft in der sogenannten Stagflation verharrte: kaum Wachstum bei relativ hohen Inflationsraten.

Dem schloss sich bis 2004 eine Epoche an, in dem sich der inflationsbereinigte Ölpreis zwischen 20 und 50 Dollar bewegte. Das war die Phase, in der die Zinsen ihren jahrzehntelangen Abwärtstrend begannen und die Aktienmärkte eine beispiellose Hausse durchliefen. Ausschlaggebend für den Preissturz war die Erschließung neuer Ölvorkommen in der Nordsee und in Alaska, was den Wettbewerb deutlich ankurbelte. 2005 bis 2014 schließlich wurde Öl wegen der hohen und zusätzlichen Nachfrage aus China erneut zwischen 50 und 120 Dollar gehandelt. Diese Nachfrage machte es interessant, in neue Fördertechnologien zu investieren. In der Tat ist der jetzige Preiseinbruch insbesondere der Fracking-Technologie der Amerikaner und Kanadier geschuldet; der dadurch ausgelöste Wettbewerb hat den Ölpreis auf bis zu unter 50 Dollar einbrechen lassen.

Dass Saudi-Arabien als weltweit größter Ölproduzent sich nun entschieden hat, die Fördermenge nicht zu drosseln, ist wohl mit der Hoffnung verbunden, dass den Fracking-Unternehmen bei Preisen deutlich unter 50 Dollar die Luft ausgeht. Angesichts der Möglichkeit, dass die neue Technologie mit der Zeit effizienter wird, erscheint dies jedoch fraglich. Für die Weltwirtschaft wäre dies eine gute Nachricht.