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ZF & TRW

Warum Sommer die US-Firma TRW kaufen will

Wirtschaft / Lesedauer: 6 min

Warum Sommer die US-Firma TRW kaufen will
Veröffentlicht:25.07.2014, 19:12

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Alles schien beim Alten zu bleiben, als ZF-Chef Hans-Georg Härter 2012 abtrat. Härter nährte diesen Eindruck im Interview mit der „Schwäbischen Zeitung“: „Herr Sommer und ich sind uns (…) einig, dass ZF keine fundamentalen Veränderungen nötig hat.“ Stefan Sommer stimmte zu. Er bekräftigte, das Werk seines Vorgängers und Förderers fortzusetzen. Es werde keinen Bruch geben, allenfalls ein „Nachschärfen“ und „Nachschleifen“. Zwei Jahre später steht fest: Das war grobe Untertreibung.

Einzig die „Financial Times Deutschland“ wertete die Berufung Sommers als Einschnitt. „Sommer steht für den Generationswechsel im Unternehmen. Und für die Ausrichtung auf Technologien der Zukunft.“ Diese Charakterisierung lasen die ZFler nicht gern. Grobschlächtig und überspitzt sei dieses Porträt.

Doch der Reporter der „FTD“ behielt Recht. ZF-Chef Stefan Sommer schickt sich gerade an, den fast 100 Jahre alten Autozulieferer so zu verändern wie keiner seiner Vorgänger seit 1945. Der Traditionskonzern aus Friedrichshafen will sich für mindestens acht Milliarden Euro den börsennotierten US-Zulieferer und Elektronikspezialisten TRW Automotive einverleiben. Sollte dieses Vorhaben glücken, wäre ZF der drittgrößte Zulieferer weltweit nach Continental und Bosch. Dieses deutsch-amerikanische Unternehmen hätte kaum noch Ähnlichkeit mit der ZF von Hans-Georg Härter. Der neue Konzern wäre bedeutender, mächtiger – und wohl auch kühler als das Stiftungsunternehmen in seiner heutigen Gestalt.

Sommer hat sich ein Großprojekt auferlegt, das Banker und Börsianer in den Finanzzentren aufhorchen lässt. Wie ihm selbst wohl dabei zumute ist? Bei Amtsantritt jedenfalls schwärmte Sommer von Stiftungsunternehmen, die nicht dem Hü und Hott der Börsen unterworfen seien. Nun will er sich aber mit solch einer Aktiengesellschaft einlassen.

Zusammenschlüsse zwischen deutschen und amerikanischen Unternehmen gelten als heikel, weil die Firmenkultur nicht recht zusammenpasst. In Deutschland spielt die Mitbestimmung eine große Rolle, in den USA der Börsenkurs. Deutsche Manager müssen sich mit Betriebsräten arrangieren, weil die ihnen in den paritätisch besetzten Aufsichtsräten das Leben schwermachen können. Amerikanische Vorstände unternehmen alles, um ihre Aktionäre glücklich zu machen.

Abschreckendes Abenteuer

Daimlers gescheiterte Verbindung mit dem US-Autobauer Chrysler ist eine Hypothek für jeden Manager, der ein transatlantisches Bündnis anstrebt. Für ZF aber ist der Ausgriff nach Amerika doppelt schwierig. Denn ZF ist kein normales deutsches Unternehmen. Der Konzern gehört zwei Stiftungen und hat einen Oberbürgermeister im Aufsichtsrat. Wäre ZF eine börsennotierte AG, hinge die Entscheidung für oder gegen TRW allein am Wagemut der Aktionäre. Sie müssten abwägen, ob ihnen die Aussicht auf Gewinn und Wachstum das Risiko eines Zusammengehens wert ist. Doch bei ZF liegen die Dinge anders. Es gibt keine andere Stadt in Deutschland, die so eng mit einem Industrieunternehmen verwoben ist wie Friedrichshafen mit ZF. Da sind rund 9000 Menschen, die bei ZF arbeiten. Dazu kommen Lieferanten, Handwerker und Dienstleister. Der Konzern trägt erheblich zum Gewerbesteueraufkommen bei. Der Zeppelin-Stiftung, die von der Stadt verwaltet wird, gehören 93,8 Prozent der ZF AG. Sie speist sich zum großen Teil aus ZF-Dividenden. Friedrichshafen führt neben dem städtischen einen Stiftungshaushalt, aus dem allerhand Gutes bezahlt wird: Kindergärten, das Kongresszentrum Graf-Zeppelin-Haus oder die Musikschule. Der wirtschaftlich beschlagene OB Andreas Brand hat also gute Gründe, ZF von Abenteuern abzuhalten, die das Unternehmen überlasten könnten.

Und doch konnte Sommer seinen OB offenbar überzeugen, die Übernahme von TRW mitzutragen – ausgerechnet jenen Brand, der Sommers Berufung anfangs angeblich argwöhnisch beäugte. Inzwischen können die beiden gut miteinander. ZF-Kenner beteuern, der Übernahmeplan für TRW ginge auf den Vorstand zurück. Mit Vorstand ist nur einer gemeint: Stefan Sommer.

Die jüngere Wirtschaftsgeschichte wimmelt von charismatischen Gestalten, die Großes wagten und scheiterten: Porsche-Chef Wendelin Wiedeking mit seinem Versuch, VW zu übernehmen, Daimler-Chef Jürgen Schrempp mit dem Vorhaben, Daimler und Chrysler zur Welt-AG zu verschmelzen, Bahn-Chef Hartmut Mehdorn mit seiner Idee, die Bahn an die Börse zu bringen.

Grandios gescheitert

Mit solch polternden Charismatikern hat der kühle Stratege Sommer wenig gemein. Er ist ein unprätentiöser Ingenieur, der um seine Person wenig Aufhebens macht. Seinen Dienstwagen, einen Porsche Cayenne, steuert er oft selbst. Wird in geselligen Runden Riesling gereicht, lässt Sommer sich ein Bier bringen.

Irgendwann muss dieser Mann mit den bübischen Gesichtszügen zur Überzeugung gelangt sein, dass das Geschäft mit Getrieben und Achsen nicht reicht, um ZF in die Zukunft zu führen. Neue Konkurrenten könnten ZF den Rang ablaufen, wenn die Elektronik die Mechanik im Auto verdrängt. Der promovierte Maschinenbauer versteht sich auf dieses Thema, leitete er bei Continental doch bis 2008 das Kundencenter für elektronische Bremssysteme.

Gern erzählt der 51-Jährige von Google. Wenn der Internetriese ein Projekt für wichtig erachte, setze Google darauf nicht ein Dutzend Entwickler an wie ein deutscher Autokonzern, sondern 100. Das imponiert ihm. Sommer will sich nicht von Google abhängen lassen bei der Entwicklung des selbstfahrenden Autos. Dafür würde er beträchtliche Risiken eingehen und ZF sogar auf Jahre verschulden.

Das ist das andere Gesicht des Stefan Sommer. Ein ehrgeiziger Draufgänger, der an Wochenenden auf der Nordschleife Rennen fährt. Eine Handvoll luftgekühlter Porsche besitze er, erzählte er zu Beginn seiner Amtszeit. Klassenkämpferisch veranlagte Zeitgenossen rümpften die Nase. Das ficht Sommer nicht an. Ab und an entfahren ihm Sätze, die Linke empören. Etwa wenn es um „Leistung“ geht. „Wenn jemand eine überproportionale Leistung bringt oder ein vertretbares unternehmerisches Risiko eingeht, muss diese Leistung auch angemessen honoriert werden“, sagte er der „Schwäbischen Zeitung“. Angesprochen auf die wirtschaftlichen Verhältnisse in Deutschland meinte er: „Eine außergewöhnliche Kluft kann ich (…) nicht erkennen. Das ist gewiss auch das Verdienst der sozialen Marktwirtschaft, dass die Umverteilung hierzulande eine größere Rolle spielt als eine Differenzierung nach Leistung – wie etwa in den USA.“

USA als Chiffre für Leistung

Die USA sind seine Chiffre für ein anderes Verständnis von Leistung. So könnte die Übernahme eines US-Unternehmens Sommer Gelegenheit bieten, bei ZF alte Zöpfe abzuschneiden. Unternehmen in Stiftungsbesitz stehen im Ruf, dass ihre Manager besonders besonnen agieren. Studien beschreiben deren Mitarbeiter als loyal und engagiert. Andererseits gelten Stiftungskonzerne als schwerfällig. Der Jurist Michael Hoffmann-Becking, Partner der Anwaltskanzlei Hengeler Mueller, bescheinigt ihnen einen „tendenziell höheren Personalaufwand“. Tatsächlich zahlt ZF sehr gut. Auf dem Höhepunkt der Finanzkrise 2008/2009 gab ZF eine Jobgarantie – eindrucksvollster Beleg der viel gerühmten „ZF-Kultur“.

Kritiker meinen, dass Sommers Ausgriff nach Amerika zu früh kommt. Der von Härter begonnene Konzernumbau „Go4ZF“ sei noch nicht verdaut. In dieser Gemengelage könnte die kräftezehrende Übernahme einer US-Firma ZF überfordern. Sommer aber hat sich entschieden. Er sieht die „industrielle Logik“ auf seiner Seite, auch wenn er sich bisher nicht offiziell äußert. Öffentlich säen nur die Gewerkschaften Zweifel: Die IG Metall könne erst Ja oder Nein sagen, wenn sie ausreichend informiert sei, verkündete deren Funktionär Enzo Savarino. Der Widerspruch dürfte Sommer gefallen. Er bekannte einmal: „Bei mir kann jeder sagen, was er denkt.“