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Trügerische Ruhe: Bei Ökonomen wächst die Sorge um Italien

Wirtschaft / Lesedauer: 4 min

Trügerische Ruhe: Bei Ökonomen wächst die Sorge um Italien
Veröffentlicht:05.12.2016, 19:00

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Italiens Bürger haben die Änderung der Verfassung abgelehnt, und doch sind die Turbulenzen an den Finanzmärkten ausgeblieben. Analysten und Volkswirte warnen jedoch davor, dass die Ruhe eine trügerische ist: Die Krise in Italien dauert an. Andreas Knoch erklärt, warum Europas drittgrößte Volkswirtschaft so schlecht da steht.

Wie äußert sich die Malaise in Italien?

Italien ist derzeit einer der größten Problemfälle der Eurozone. Das Land steckt in einer Art Teufelskreis fest: Die Wirtschaft siecht seit Jahren vor sich hin, was einen maroden Bankensektor zur Folge hat. Umgekehrt kann die Wirtschaft nicht wachsen, wenn die Banken zu schwach sind, um das Wachstum zu finanzieren. Sichtbar wird das insbesondere am Arbeitsmarkt. Zwar ist Italien mit einer Rate von elf Prozent bei Weitem nicht das Land mit der höchsten Arbeitslosenquote in der Eurozone. Allerdings liegt die Jugendarbeitslosigkeit bei 39 Prozent. Der Abstand zwischen älteren Arbeitnehmern und dem Nachwuchs ist in keinem anderen europäischen Land so hoch. Hinzu kommt eine extreme Staatsverschuldung.

Wie hoch ist Italien verschuldet?

Italien hat Staatsschulden im Volumen von rund 2,2 Billionen Euro angehäuft. Nach Berechnungen der EU-Statistikbehörde Eurostat lag die Staatsverschuldung im vergangenen Jahr bei 133 Prozent der Wirtschaftsleistung. Von allen 28 Staaten in der Euro-Zone steht nur Griechenland mit einer Quote von 177 Prozent noch schlechter da.

Warum geht es der italienischen Wirtschaft so schlecht?

Italiens Wirtschaft leidet unter einer mangelnden Wettbewerbsfähigkeit, einer unterdurchschnittlichen Produktivität und vergleichsweise hohen Lohnkosten. Das äußert sich in einer nun schon Jahrzehnte andauernden Wachstumsschwäche. Italien ist das einzige Mitgliedsland der Eurozone, dessen Wirtschaftsleistung pro Kopf im Vorjahr unter dem Niveau der Wirtschaftsleistung lag, mit der die drittgrößte Volkswirtschaft Europas in die Währungsunion gegangen ist.

Warum geht es den italienischen Banken so schlecht?

Die Schwäche der Wirtschaft hat wesentlich zur Auszehrung der Banken durch schlechte Kredite beigetragen. Hinzu kommt die niedrige Profitabilität. Der Internationale Währungsfonds schätzt das Gesamtvolumen notleidender Kredite in den Bankbilanzen auf 360 Milliarden Euro. Das entspricht rund 18 Prozent der in Italien vergebenen Darlehen – neunmal mehr als in Deutschland. Größtes Sorgenkind der Branche ist die älteste Bank der Welt, Monte dei Paschi mit Sitz im toskanischen Siena: Bei gut 40 Prozent der ausgereichten Kredite des drittgrößten Instituts des Landes ist die Rückzahlung gestört.

Wie sind die italienischen Banken in das Schuldenproblem des italienischen Staates verstrickt?

Das finanzielle Schicksal der italienischen Banken ist eng mit dem des Staates verknüpft. Rund 400 Milliarden Euro an italienischen Staatsanleihen halten die heimischen Banken. Die öffentlichen Schulden machen rund zehn Prozent ihrer Bilanzsummen aus, doppelt so viel wie noch im Jahr 2010. Dass der Anteil so rasant gestiegen ist, liegt auch an der extrem lockeren Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB). Denn die italienischen Banken reichen die durch die EZB geschöpfte Liquidität nicht an die Wirtschaft weiter, sondern nutzen sie, um Staatsanleihen zu kaufen. Das ist aus Sicht der Banken verständlich, denn dafür müssen sie kein knappes Eigenkapital vorhalten.

Welche Rolle spielen die Privatanleger in der Bankenkrise?

Einen großen Teil – knapp 40 Prozent – der von italienischen Banken ausgegebenen Anleihen halten heimische Privatanleger. Zum Vergleich: EU-weit liegt der Durchschnitt bei drei Prozent. Das Problem: Nach den europäischen Abwicklungsregeln müssen zur Sanierung oder Rekapitalisierung der Banken auch diese Kleinanleger herangezogen werden, bevor der Staat den Banken unter die Arme greift. Da sich eine solche Vorgehensweise politisch nicht durchsetzen lässt ohne den Zorn der Bevölkerung auf sich zu ziehen, versucht Rom, über Umwege die maroden Banken am Leben zu erhalten.

Welche Auswirkungen hat das geplatzte Referendum auf den Bankensektor?

Nach Einschätzung von Experten wird das Ergebnis die notwendige Rekapitalisierung italienischer Banken erschweren. Fragezeichen stehen insbesondere hinter der Fünf-Milliarden-Euro schweren Kapitalerhöhung der angeschlagenen Bank Monte die Paschi, die eigentlich im Laufe dieser Woche erfolgen soll. Investoren, so die Befürchtung, könnten angesichts der unsicheren politischen Situation in Italien und in der EU ihre Engagements zurückfahren.

Was plant die EZB angesichts der neuen Situation in Italien?

Nach Einschätzung vieler Volkswirte wird die Europäische Zentralbank auf ihrer turnusmäßigen Sitzung an diesem Donnerstag auf das Ergebnis des Referendums in Italien reagieren und ihre Geldschleusen weiter öffnen, um ein Wiederaufflammen der Euro-Schuldenkrise zu verhindern. Diese Gefahr besteht, da die die Risikoaufschläge italienischer Staatsanleihen zuletzt deutlich angestiegen sind und Rom im kommenden Jahr 300 Milliarden Euro seiner Staatsschulden durch neue Kredite ersetzen muss. Einer Umfrage der Nachrichtenagentur Reuters zufolge rechnen 52 von 60 Volkswirten mit einer Verlängerung des Anleihekaufprogramms der EZB über den März 2017 hinaus. Aktuell sammelt die Notenbank monatlich Anleihen im Volumen von 80 Milliarden Euro von europäischen Staaten und Unternehmen ein, um so mehr Geld ins Finanzsystem zu pumpen.