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Turnschuh

Produktion ohne Jobs

Wirtschaft / Lesedauer: 4 min

Industrie 4.0 bringt klassische Fabriken nach Deutschland zurück, in denen Roboter arbeiten
Veröffentlicht:22.02.2017, 20:14

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Geht es um die Digitalisierung der Arbeitswelt, dann meistens im Zusammenhang mit dem drohenden Abbau von Arbeitsplätzen. Das Zauberwort Industrie 4.0 könnte aber auch dafür sorgen, dass in Deutschland wieder mehr produziert wird. Doch entstehen dadurch neue Jobs?

Ausgerechnet Turnschuhe: In Fernost für wenig Geld zusammengenäht, im Container massenhaft nach Europa verfrachtet und hier als teures Lifestyle-Produkt verkauft, sind Sneaker vielleicht das Symbol der globalisierten Produktion von Konsumgütern. Da hat es schon eine gewisse Bedeutung, dass gerade dieses Symbol künftig wieder in Deutschland produziert wird: In Ansbach baut Adidas gemeinsam mit Oechsler Motion die erste sogenannte Speedfactory auf. Ab dem Sommer sollen hier auf 3600 Quadratmetern Turnschuhe für Deutschland und Europa gefertigt werden.

Die 160 Angestellten fassen die Schuhe dabei in der Regel erst zur Endkontrolle an. Vorher dominieren Roboter den Prozess, darunter klassische Strickmaschinen für den Stoff, aber auch eine Art 3D-Drucker für die Sohle. Damit ist die Speedfactory ein gutes Beispiel für Industrie 4.0, also für Vernetzung, Digitalisierung und Automatisierung von Produktion. Und vielleicht für eine Rückkehr von Fabriken, die einst in Billiglohnländer abgewandert waren.

Investition in Hard- und Software

„Ich sehe durchaus Chancen dafür, dass Produktion im Zuge von Industrie 4.0 nach Deutschland zurückkommen kann“, sagt Clemens Otte , Referent beim Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI). Der Grund: Wenn Roboter einen Großteil der Arbeit machen, spielen die Lohnkosten keine so große Rolle mehr. Die waren zuvor stets das beste Argument für Produktionsverlagerung ins Ausland: 2015 lagen die Arbeitskosten im verarbeitenden Gewerbe nach Zahlen des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) in Deutschland bei 38,99 Euro. In China werden dagegen pro Stunde nur 6,19 Euro fällig, in Rumänien oder Bulgarien 4,47 und 3,40 Euro.

Doch statt in Arbeit müssen die Unternehmen künftig vor allem in Hard- und Software investieren. „Industrie 4.0 erhöht die Produktivität, dabei wird die Maschine zu einem wesentlichen Kostenfaktor – egal, wo sie steht“, sagt Otte. Wichtiger seien dann andere Standortfaktoren, politische Stabilität zum Beispiel, Marktzugangsmöglichkeiten, aber vor allem qualifizierte Arbeitskräfte. „Und da ist Deutschland im Vergleich mit vielen Industrie- und Schwellenländern im Vorteil.“

Eher skeptisch ist Werner Eichhorst vom Forschungsinstitut zur Zukunft der Arbeit (IZA) in Bonn. „Was es gibt, ist eine gewisse Re-Industrialisierung. Wir haben in Deutschland einen sehr hohen Anteil des industriellen Sektors am Arbeitsmarkt“, sagt er. Dass der noch weiter wächst, sei aber unwahrscheinlich. Das Potenzial wäre zwar gewaltig: Laut DIHK (Deutscher Industrie- und Handelskammertag) arbeiten im Ausland rund 7,2 Millionen Menschen für Unternehmen der deutschen Industrie. Experten glauben nicht, dass diese Jobs alle wieder nach Deutschland verlagert werden: „Es ist nicht so, dass die Massenproduktion zurückkehrt“, sagt Eichhorst.

Im Fall von Adidas stimmt das: In Ansbach sollen 500 000 Paar Schuhe pro Jahr entstehen. Weltweit produziert das Unternehmen jedes Jahr aber etwas mehr als 300 Millionen. Deshalb ist die Speedfactory eher ein Experimentierfeld. Vor allem will Adidas die Zeit zwischen Entwurf und Verkauf von branchenüblichen 18 Monaten auf wenige Wochen verkürzen und so schneller auf Trends und Kundenwünsche reagieren.

Genau das versprechen sich auch andere Unternehmen von Industrie 4.0, sagt Otte – vom Auto- bis zum Anlagenbauer. „Wenn man individualisierte Produkte für den europäischen Markt produziert, macht es Sinn, das nicht zum Beispiel in China zu machen, wo man dann sechs bis acht Wochen Lieferzeit hat.“

Doch gibt es mit Maßanfertigung statt Massenproduktion und Fabriken voller Roboter überhaupt neue Jobs? „Schätzungen gehen davon aus, dass in Deutschland bis zum Jahr 2025 bis zu 390 000 neue Arbeitsplätze durch Industrie 4.0 entstehen können“, sagt Otte und verweist auf eine Studie der Boston Consulting Group. Allerdings sagt die Studie auch, dass zunächst Arbeitsplätze wegfallen, die leicht durch Roboter zu ersetzen sind. Gefragt seien eher Fachkräfte mit guter Ausbildung – IT- und Softwareexperten, Mechatroniker, Ingenieure.

Keine Rückkehr klassischer Industriejobs also, eher ein neuer Arbeitsmarkt mit einer Neuinterpretation alter Fabrikjobs. Grundsätzlich sei Deutschland dafür gut aufgestellt, glauben Experten. Zukunftsfähig sei Industrie 4.0 hierzulande aber nur, wenn die Rahmenbedingungen weiter passen. Wichtig seien unter anderem Investitionen in Breitbandausbau und Bildung, so Otte. Auch Eichhorst sagt: „Dieses Modell funktioniert in Zukunft nur, wenn man da immer an vorderster Front bleibt, Innovation also weiter vorantreibt, um mit den Wettbewerbern Schritt zu halten.“