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Pestizid

Pestizide gelangen zu häufig ins Wasser

Wirtschaft / Lesedauer: 4 min

Umweltbundesamt fordert verbesserte Zulassungsverfahren und Überwachung
Veröffentlicht:19.04.2015, 19:36

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Nein, für Menschen bestehe in Deutschland „keine direkte Gefahr“, das Trinkwasser sei gut überwacht.

Ralf Schulz , Professor für Umweltwissenschaften an der Universität Koblenz-Landau, betont dies noch einmal. Aber die „Befunde“, so sagt er, „seien schon ein Knaller“.

Zusammen mit seinem Kollegen Sebastian Stehle hat Schulz erstmals untersucht, wie oft sich Insektenkiller, die Landwirte auf ihren Feldern versprühen, in Flüssen, Teichen und Bächen wiederfinden – und ob die erlaubten Schwellenwerte überschritten werden. Schulz sieht eine „signifikante Gefahr“, er meint, dass die „Zulassungen mangelhaft“ seien und Bauern sich möglicherweise nicht an die Auflagen fürs Versprühen von Ackergiften hielten.

Ökosystem nimmt Schaden

Genauer sagt er: „In 50 Prozent aller Fälle, in denen ein Insektizid in einem Gewässer weltweit nachgewiesen wurde, war die gefundene Konzentration höher als sie laut behördlichem Zulassungsverfahren sein dürfte.“ Die Insektizide werden durch Wind verdriftet und mit Regen in Bäche und Seen gespült, und zwar in Konzentrationen, die Libellen oder Eintagsfliegen, Bachflohkrebsen oder Muscheln zusetzen. Das Ökosystem nimmt Schaden.

Landwirte, aber auch Hobbygärtner spritzen die Chemie in großen Mengen auf ihre Äcker und Beete, um gefräßige Insekten loszuwerden. Allein auf dem deutschen Markt wurden im Jahr 2013 laut dem Industrieverband Agrar Insektizide im Wert von 144 Millionen Euro umgesetzt. Im Jahr 2000 ging es um etwa 80 Millionen Euro. Die Beratungsfirma Phillips-McDougall schätzt den weltweiten gesamten Pflanzenschutzmarkt auf 52,7 Milliarden US-Dollar. Dazu gehören dann zum Beispiel auch Unkrautvernichtungsmittel.

Industrie hat zu viel versprochen

Die Ackergifte sollen eigentlich auf dem Feld zersetzt werden, neuere Wirkstoffe umweltverträglicher sein als alte. Das von den Herstellern entworfene Bild aber stimme nicht, meint Schulz. In den 1960er-Jahren seien größere Mengen eingesetzt worden als heute. Doch die modernen Insektizide seien „weitaus giftiger“.

Schulz und Stehle haben 20000 wissenschaftliche Artikel der letzten 50 Jahre nach Daten zur Umweltbelastung durch Insektengifte durchforstet. In ihre Studie flossen fast 840 Studien zu Gewässerverschmutzung aus gut 70 Ländern ein, sie machten 11300 Fälle ausfindig, in denen Insektizide nachgewiesen wurden. Dabei sei es gar nicht so leicht, die Belastungen zu entdecken. „Insektizide verursachen ihren Schaden innerhalb weniger Stunden, dann aber heftig“, so der Wissenschaftler. Schnell werden sie weggespült oder abgebaut.

Zu den Befunden äußert sich BASF nicht. Doch vor einer Zulassung der Mittel, so meint ein Sprecher, werde „stets umfassend geprüft, ob der Wirkstoff nach aktuellem Stand von Wissenschaft und Technik weiterhin genehmigt werden kann“. Dabei seien „die Anforderungen für die Zulassung im Laufe der zurückliegenden Jahre ständig gestiegen“. Auch der Deutsche Bauernverband erklärt, das Zulassungsverfahren hierzulande sei „weltweit vorbildlich“.

Nur: Die Gewässer in Ländern mit vermeintlich strenger Umweltgesetzgebung sind ebenso belastet wie jene in weniger restriktiven Ländern. Auch in der EU oder in den USA hätten die sehr aufwendigen Zulassungsverfahren, die es seit etwa 25 Jahren gibt, „keine messbare Verringerung“ der Belastung mit Insektiziden in Gewässern gebracht, sagt Schulz. Er meint: „Die Annahmen bei der Zulassung sind falsch.“

Wo liegt der Fehler?

So gingen die Behörden hierzulande zum Beispiel davon aus, dass die Bauern nur in einem vorgegebenen Abstand zu einem Gewässer die Chemie spritzen. Zum einen reichten diese Abstände nicht, um die Belastung ausreichend einzudämmen, zum anderen hielten sich Bauern womöglich gar nicht an die Vorschrift.

In Deutschland ist das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit zuständig für die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln, die Bewertung der Umweltrisiken übernimmt dabei das Umweltbundesamt (UBA). Dessen Präsidentin Maria Krautzberger stützt Schulz’ Forderungen.

Sie sagte der „Schwäbischen Zeitung“: „Gerade kleine Gewässer sind zum Teil viel zu hoch mit Pestiziden belastet.“ Sie würden hierzulande nicht genügend überwacht. Deshalb solle das Monitoring der Belastungen verbessert werden. Das Amt arbeite daran bereits. Zudem meint die UBA-Chefin: „Wir müssen die Methoden überprüfen, mit denen in den Zulassungsverfahren die Eintragsrisiken vorhergesagt werden“ – also Risiken aus beispielsweise Abschwemmung von Giften. Sie müssten stärker mit der „realen Situation“ in Einklang gebracht werden.