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Wellpappe

Palm gibt Mitarbeitern die Schuld

Wirtschaft / Lesedauer: 3 min

Wellpappe Gelsenkirchen, Tochter des Aalener Papier-Konzerns, ist seit Ende Oktober insolvent
Veröffentlicht:21.11.2016, 19:56

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Die Überraschung kommt mit dem Boten: Am 31. Oktober, einen Tag vor dem Feiertag, erfahren rund 90 Mitarbeiter von Wellpappe Gelsenkirchen per Brief von der Insolvenz ihres Unternehmens. Darin zu lesen: Das Tochterunternehmen des Palm-Konzerns aus Aalen sei wegen Investitionsstaus nicht mehr wirtschaftlich. Die Mitarbeiter, die in Gelsenkirchen unter anderem Verpackungen für die Automobil- und Lebensmittelindustrie herstellten, seien ab sofort widerruflich freigestellt. Als die Arbeiter zu ihrer Arbeitsstelle fahren, ist das Werk mit Zäunen und Wachpersonal abgeriegelt. Da die Beschäftigten befürchten, Unternehmensvermögen könnte vom Gelände geschafft werden, beginnen sie mit einer Mahnwache. Die wird bis zum Samstag, 12. November rund um die Uhr aufrechterhalten, erst dann kann der vorläufige Insolvenzverwalter Rolf Weidmann mit einigen Wellpappe-Mitarbeitern eine Inventur durchführen. Die Berechnungen der tatsächlichen Insolvenzmasse dauert aktuell an.

Kritik an der Arbeitsmoral

Für Palm-Geschäftsführer Wolfgang Palm ist die Insolvenz das Ergebnis von 30 Jahren gescheiterter Sanierung des Werks in Gelsenkirchen. Seit Ende der 1980er-Jahre gehört Wellpappe Gelsenkirchen zum Aalener-Papier-Konzern. „Wir mussten erkennen, dass eine Sanierung gegen den Willen der Belegschaft nicht möglich ist“, sagt Palm im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“. Das Gelsenkirchener Werk habe nur eine Leistung von rund 50 bis 60 Prozent im Vergleich zu den anderen Wellpappe-Werken des Konzerns, weshalb weitere Investitionen in Gelsenkirchen nicht lohnenswert gewesen seien. Als Grund für die schlechten Zahlen nennt Palm die geringe Leistungsbereitschaft der Mitarbeiter. So habe zum Beispiel der Rüstvorgang der Maschinen in Gelsenkirchen fast doppelt so lang gedauert als in den anderen Werken. Die geringe Arbeitsmoral habe zu Beanstandungen von Kunden und zum Rückgang der Auftragszahlen geführt. „Wir haben den Betriebsrat immer wieder darauf hingewiesen, dass es so nicht weitergehen kann“, sagt Palm. „Das Einzige was man mir vorwerfen kann, ist, dass ich es nicht geschafft habe, die Mitarbeiter so zu motivieren, dass eine Sanierung möglich ist.“ Auch eine Prämienzahlung zur Motivation sei vom Betriebsrat abgelehnt worden.

Für den Betriebsratsvorsitzenden Bodo Steigleder kommen diese Vorwürfe genauso überraschend wie die eigentliche Insolvenz. Es habe tatsächlich Leistungsprämien gegeben, auf die die Mitarbeiter aber im Zuge eines Sanierungstarifvertrags verzichtet hätten. „Die Mitarbeiter haben sogar pro Woche 2,5 bis drei Stunden unentgeltlich länger gearbeitet“, sagt Steigleder. Auch die Auftragslage sei gut gewesen. Noch eine Woche vor der Insolvenz habe der Betriebsrat Überstunden für die erste Novemberwoche genehmigt.

Steigleder und die zuständige Bezirkssekretärin von Verdi, Bärbel Sumagang, glauben eher daran, dass Palm unbequeme Mitarbeiter und den Betriebsrat loswerden wollte. „Wellpappe Gelsenkirchen ist als einzige Wellpappe-Werk, das noch von Verdi vertreten wird und einen Tarifvertrag in der Papierverarbeitung mit 35 Stunden Arbeitszeit hatte“, so Sumagang. Die Mitarbeiter seien außerdem meist über 20 Jahre im Betrieb und somit schwer zu kündigen. „Insolvenzen gibt es immer wieder. Die Art, wie es hier passiert ist, trägt aber eine sehr persönliche Note“, so die Verdi-Frau. Wären die Gewerkschaft und der Betriebsrat rechtzeitig informiert worden, hätte man andere Lösungen als die Insolvenz erarbeitet können, sagt die Verdi-Vertreterin.

Jetzt wollen Betriebsrat und Gewerkschaft wegen schuldhafter Herbeiführung einer Insolvenz klagen. Zugleich versuchen die Arbeitnehmervertreter auf Geschäftsführer Palm zuzugehen. „Wir streben eine Transfergesellschaft für die Beschäftigten an. Dafür benötigen wir rund eine Million Euro, die wir nicht aus der Insolvenzmasse bekommen. Deshalb haben wir heute einen Brief an Herrn Palm abgeschickt, in dem wir ihn persönlich um dieses Geld bitten“, sagt Sumagang. Auch Geschäftsführer Palm strebt eine solche Gesellschaft an, dämpft aber die Hoffnungen: „Ohne die Erlaubnis des vorläufigen Insolvenzverwalters kann ich nicht einen Euro ausgeben“, sagt Palm. Das offizielle Insolvenzverfahren soll Anfang Januar eröffnet werden, wie es mit den Wellpappe-Mitarbeiter weitergeht, wird dann entschieden.