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Ketten erobern die Innenstädte

Wirtschaft / Lesedauer: 5 min

Konstanzer wehren sich vergeblich gegen Filialisierung ihrer Innenstadt
Veröffentlicht:27.11.2017, 19:38

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Donnerstagmorgen um elf Uhr im neuen dm-Markt auf der Konstanzer Marktstätte. Vor dem Regal mit Duschgel und Haarwaschmittel drehen Kunden am Glücksrad. Den Gewinnern winken Herzchenseifen, Luftballons und Jutetaschen mit der historischen Stadtansicht von Konstanz. Eine gut zwei Meter große Plüschbiene bespaßt draußen die Kinder. Drinnen verteilt ein gut gelaunter Clown Luftballontiere. Ein DJ sorgt für gute Stimmung. „Ich spiele alles, nur keine Weihnachtslieder. Die gibt es erst nach dem Totensonntag“, erzählt er.

Mike Thierbach gehört zum harten Kern des Partyteams, das dm fix bei einer Agentur für firmeneigene Partys bucht. Der DJ ist das ganze Jahr auf dm-Festen unterwegs. „dm feiert alles“, sagt er über das für seine soziale Firmenphilosphie bekannte Unternehmen. Vor allem Neueröffnungen standen in den vergangenen Jahren auf dem Programm. Thierbach war gerade in Hilzingen bei Singen und in Radolfzell am Bodensee. Nach seinem dreitägigen Stopp in Konstanz geht es weiter nach München-Riem. Dass es in Konstanz Leute gibt, die meinen, keinen fünften dm-Markt zu brauchen, kann er nicht verstehen. „In München gibt es 50.“ Und die sind offenbar alle voll. „Um für unsere Kunden gut erreichbar zu sein, eröffnen wir in Deutschland jährlich rund 100 dm-Märkte“, berichtet die zuständige Gebietsverantwortliche Daniela Hübner. Das Karlsruher Unternehmen ist seit Jahren auf Wachstumskurs und mit einem Umsatzplus von 5,7 Prozent im Geschäftsjahr 2016/17 und rund zehn Milliarden Euro Umsatz Deutschlands umsatzstärkster Drogeriemarkt. In vielen Innenstädten hat er mit seinem Bio-Sortiment längst die Rolle eines Nahversorgers eingenommen.

Enorme Drogeriemarktdichte

Doch viele Konstanzer wollten lieber ihr Kino behalten, statt einen weiteren Filialisten mit über 1000 Quadratmetern Verkaufsfläche. Denn anders als die Karlsruher Drogeriemarktkette sahen viele Konstanzer die Versorgung der Bevölkerung mit Duschgel, Pampers und Waschmittel als durchaus ausreichend gesichert. Zumindest im Stadtzentrum. Denn nur wenige Hundert Meter von der neuen dreistöckigen Filiale gibt es bereits einen kleineren dm-Markt. Ebenfalls nur ein paar Gehminuten entfernt wurde die Filiale im Einkaufszentrum Lago erst vor Kurzem vergrößert. Und genau gegenüber dem neuen Markt ist mitten auf der Marktstätte bereits mit einem Müller die Konkurrenz aus Ulm vertreten. Riesige Weihnachtsmänner ziehen sich dort unübersehbar über drei Stockwerke die Fassade hinauf. Drei weitere dm-Filialen in Konstanz sind geplant. Macht insgesamt bald acht.

dm-Gründer Götz Werner hat einen ganz besonderen Bezug zu Konstanz. Der für seine soziale Firmenkultur bekannte Anthroposoph machte hier in den 1960er-Jahren in der Drogerie Kornbeck seine Ausbildung – im gleichen Gebäude, in dem er heute eine Filiale hat. Doch Konstanz ist für das Unternehmen aus einem ganz anderen Grund interessant: Dank der Schweizer Kunden, die aufgrund der günstigeren Preise und des guten Wechselkurses kistenweise Duschgel, Zahnpasta und Windeln kaufen, sind die Filialen besonders lukrativ.

Trotz aller Neugier sind viele Kunden bei der Eröffnung zurückhaltend. „Die Philosphie von dm finde ich wirklich gut, aber ob wir hier jetzt noch einen dm brauchen, ist die Frage“, sagt ein Kunde, der gerade aus dem Laden kommt. Eine andere Kundin will nur das Nötigste einkaufen, um den Filialisten nicht noch weiter zu unterstützen. Selbst Oberbürgermeister Uli Burchardt – sonst Geschäftsansiedlungen gegenüber außerordentlich aufgeschlossen – sieht die Neueröffnung im Zentrum kritisch. Für eine weitere dm-Filliale auf der Marktstätte habe er keine Dringlichkeit gesehen.

Absolut überflüssig fand die Bürgerinitiative „Rettet das Scala“ die Neueröffnung. 3000 Unterschriften haben die Aktivisten zum Erhalt des letzten Programmkinos in der Innenstadt gesammelt. Von bis zu 7000 passiven Unterstützern war die Rede. Sogar Montagsdemos waren zum Erhalt des Kinos mit seinen roten Samtplüschsesseln zweitweise angedacht. Der Konstanzer Theaterintendant Christoph Nix hat an Götz Werner persönlich appelliert, von seinen Plänen abzulassen. Auch Eva Mattes, die ehemalige Ermittlerin des Bodensee -„Tatorts“ hat sich für den Erhalt des Kinos, in dem sie selbst immer wieder zu Gast war, stark gemacht. dm hat sich sogar mit Vertretern der Initiative an einen Tisch gesetzt.

Kulturverlust der Innenstädte

Genützt hat es nichts. 2016 kam das Aus. Das Kino hat sich nicht rentiert und die Stadt sah nach einem Gutachten keinen Weg, einen „großflächigen Einzelhandelsbetrieb“ zu verhindern. dm-Bereichsleiterin Daniela Hübner kann verstehen, dass es den Bürgern nahegeht, wenn ein alteingesessenes Programmkino seine Türen schließt. dm sei aber nicht der Auslöser dafür gewesen. „Unseren Informationen zufolge konnte das Kino aufgrund mangelnder Nachfrage nicht mehr rentabel betrieben werden. Der neue Besitzer der Liegenschaft hatte sich dann bei seiner Suche nach einem geeigneten Mieter für uns entschieden.“

Ganz verstummt ist der Protest trotzdem nicht. Der aus Konstanz stammende Regisseur Douglas Wolfsperger will die Geschichte über die Kommerzialisierung der Innenstädte sogar auf die Leinwand bringen. Er verbindet mit dem Scala-Kino nicht nur zahlreiche Kindheitserinnerungen. Sein erster Film feierte auch hier Premiere. Mit dem Scala sei ein großes Stück Kinokultur weggebrochen. „Viele Bundesstarts werden nicht mehr in Konstanz stattfinden“, fürchtet er. Für Wolfsperger ist die Schließung des Programmkinos kein Einzelfall, sondern ein Exempel für den Kulturverlust der Innenstädte und „ein Paradebeispiel für andere Städte“. Neben rund 30 000 Euro fehlten dem Regisseur jetzt nur noch Szenen von der Eröffnung. Wer weiß, vielleicht schaffen es die dm-Biene und der Clown am Ende sogar noch ins Kino.