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„Ich bin mit der Endoskopie aufgewachsen“

Wirtschaft / Lesedauer: 8 min

Sybill Storz, die Chefin des Tuttlinger Medizintechnikunternehmens Karl Storz, wird 80 Jahre
Veröffentlicht:03.06.2017, 07:00

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80 Jahre und kein bisschen müde: Am morgigen Sonntag feiert Sybill Storz, die Grande Dame der Medizintechnik, Geburtstag. Seit mehr als 20 Jahren führt die Tochter des Erfinders und Unternehmensgründers, Karl Storz, das gleichnamige Familienunternehmen aus Tuttlingen . Unter ihrer Ära ist die Karl Storz GmbH & Co. KG zu einem international erfolgreichen Unternehmen aufgestiegen. Benjamin Wagener und Andreas Knoch sprachen mit der hochdekorierten Unternehmerin im Vorfeld ihres Ehrentages über Geschäftliches und Persönliches.

Frau Storz, seit 1996 führen Sie Karl Storz als Unternehmenschefin. Stand für Sie je infrage, im väterlichen Unternehmen zu arbeiten und es einmal zu übernehmen?

Nein. Für meine Generation stand ein solcher Werdegang auch nie zur Diskussion. Die Eltern haben den Eintritt der Kinder ins Unternehmen erwartet und die Kinder haben gefolgt. Bei mir kam hinzu, dass es auch immer mein Wunsch war. Ich hatte das Glück, dass meine Eltern großen Wert auf eine gute Ausbildung gelegt haben. Das war zur damaligen Zeit nicht selbstverständlich, schon gar nicht für Mädchen.

Welche Erinnerungen haben Sie an diese Zeit?

Ich bin mit der Endoskopie aufgewachsen. Mein Vater hatte stets einen Notizblock bei sich, um an seiner Vision, Licht von außen in den menschlichen Körper zu bringen, zu arbeiten. Er war oft in der Klinik Schillerhöhe um Tests zu machen. Und eines Tages waren auf den Filmen stecknadelkopfgroße Bilder zu sehen, das war der Durchbruch. Mit der Erfindung des Kaltlichts und der Verwendung von Glasfasern als Lichtleiter sowie der Einführung der Hopkins-Stablinsen haben wir heute brillante und formatfüllende Bilder von höchster Auflösung.

Wie war die Reaktion der Ärzteschaft auf die Erfindungen von Karl Storz?

Zurückhaltend, vor allem auf Seiten der Chefärzte. Die haben damals meistens die Oberärzte zu Trainings- und Fortbildungskursen geschickt, um das Verfahren zu lernen. Deren Wissen um die Vorteile der minimalinvasive Chirurgie und der Generationswechsel haben die anfängliche Zurückhaltung aufgebrochen. Auch die Verbände, die in der Branche ein gewichtiges Wort mitreden, waren anfangs dagegen.

Was macht den Erfolg von Karl Storz aus?

Unsere Vielfältigkeit. Wir interessieren uns von Kopf bis Fuß für alle endoskopischen Eingriffe. Uns ist auch kein Markt zu klein. Jeder Markt ist erst einmal klein und wird später größer. Zudem gehen wir bei der Qualität unserer Produkte keine Kompromisse ein und stehen im engen Austausch mit unseren Kunden. Dadurch können wir Trends früh erkennen.

Welche Kundschaft beliefert Karl Storz?

In der Hauptsache natürlich die Ärzte – Human- und Veterinärmediziner – und damit die Kliniken und Krankenhäuser rund um den Erdball. Darüber hinaus beliefern wir auch Industriekunden – aus der Luft- und Raumfahrt, dem Fahrzeugbau oder dem Baugewerbe.

Wie überzeugen Sie Kliniken von Ihren Produkten?

Wir stehen in einem engen Austausch mit den Ärzten und nehmen ihre Anregungen und Wünsche in der Produktentwicklung auf. Wenn Sie so wollen bestimmt der Anwender das Produkt. Darüber hinaus bieten wir Trainings- und Fortbildungskurse – und das seit den Anfängen von Karl Storz. Wir haben mit unseren Produkten eine hohe Akzeptanz bei den Kunden gewonnen. Allerdings haben wir inzwischen das Problem, dass in den Kliniken nicht mehr der Anwender alleine über den Einkauf entscheidet. Früher waren es die Ärzte, heute ist es die Krankenhausverwaltung. Das macht es für uns nicht leichter.

Angesichts der steigenden Ausgaben im Gesundheitswesen ist das doch nicht verwunderlich …

Endoskope von Karl Storz sind teurer als Konkurrenzprodukte. Dafür garantieren wir hohe Qualität. Ein teures Endoskop hält wahrscheinlich doppelt so lange wie ein billiges. Vor diesem Hintergrund relativiert sich das Kostenargument.

Sie haben 15 000 Produkte im Programm. Viele davon werden von Konkurrenten kopiert. Wie lästig ist das Thema Produktpiraterie und wie gehen Sie dagegen vor?

Produktpiraterie ist leider ein großes Thema für uns. Und es ist eines, bei dem ich ungemütlich werde und mich rechtlich zur Wehr setze. Denn wir werden dadurch bestohlen. Wir haben den Aufwand und andere ernten die Früchte. Das geht nicht. Es gibt Wettbewerber, die warten ab ob ein Produkt von Karl Storz beim Kunden einschlägt, besorgen sich ein Muster und bringen das Plagiat um die Hälfte billiger auf den Markt. Und diese Wettbewerber sitzen nicht nur in China.

Sie fertigen zu großen Teilen am Standort in Tuttlingen, vertreiben die Produkte aber weltweit. Machen Ihnen die protektionistischen Tendenzen in der Welt, insbesondere im größten Medizintechnikmarkt, den USA , Angst?

Selbstverständlich beobachten wir politische Entwicklungen sehr genau, aber auch mit einem gewissen Abstand. Allerdings scheint sich Herr Trump bis jetzt nicht die Mühe einer tiefgehenden Analyse gemacht zu haben, in welchen Branchen die USA alles von ausländischen Zulieferern abhängig sind. Es gibt schlicht keinen US-Hersteller, der Endoskope in der Qualität herstellt, wie es Karl Storz tut. Selbst einfach chirurgische Instrumente, die in US-Kliniken eingesetzt werden, kommen aus Tuttlingen. Deshalb nehme ich die vagen, aber dennoch wiederkehrenden Aussagen um mögliche Einfuhrzölle nicht zu ernst – aber ernst genug.

Sollten deutsche Unternehmer ihre Positionen gegenüber dem neuen wirtschaftspolitischen Kurs der USA aktiver vertreten?

Ich neige dazu, die Politik arbeiten zu lassen und mich den Ergebnissen anzupassen. Am Ende wird es doch meist nicht so heiß gegessen wie es gekocht wird. Wir werden als mittelständische Medizintechnikfirmen auch nicht gehört. Eine Lobby wie die Automobilindustrie haben wir nicht, und unsere Verbände sollten politisch noch mehr Gehör bekommen.

Karl Storz hat sich in der Vergangenheit kritisch zur neuen EU-Medizinprodukteverordnung geäußert. Wie bewerten Sie den nun gefundenen Kompromiss?

Wir sehen die neuen Regelungen durchaus ambivalent, da viele Anforderungen vor allem bürokratischer Natur sind und hierdurch die Entwicklungszyklen verlängert und die Kosten erhöht werden. Für uns steht die Qualität der Produkte und somit das Patientenwohl immer an erster Stelle, denn wir stehen mit unserem Namen Karl Storz für die Qualität gerade. Ein Unternehmen unserer Größe ist selbstverständlich in der Lage die neue Verordnung umzusetzen, aber ich habe von Firmen gehört, die sich deshalb aus bestimmten Nischenbereichen zurückziehen wollen. Und das paradoxe daran ist ja, dass die Verordnung am eigentlichen Ziel, eine höhere Patientensicherheit sicherzustellen, vorbeigeht. Ein Skandal wie der um die mangelhaften Silikonimplantate eines französischen Herstellers hätte sich mit der Verordnung auch nicht verhindern lassen.

Wie sieht Ihr Tagesablauf als Unternehmenschefin aus?

Ziemlich normal. Ich bin nach wie vor zu einhundert Prozent aktiv im Unternehmen – was für mich auch eine wichtige Konstante ist. Ich suche oft das Gespräch mit den Mitarbeitern und bin viel auf Reisen – zu unseren Niederlassungen auf der ganzen Welt und natürlich zu unseren Kunden. Auf diese Tapetenwechsel freue ich mich nach wie vor.

Wie ist die Nachfolge im Unternehmen geregelt? Denkt Sybill Storz ans Aufhören?

Wir haben uns für einen schleichenden Nachfolgeprozess entschieden. Das geht schon seit einigen Jahren so, dass mein Sohn peu à peu mehr Verantwortung übernimmt und ich diese abgebe. Der Vertrieb und Teile der Produktentwicklung liegen in meinen Händen. Ich übernehme auch die Löscharbeiten, wenn es irgendwo brennt. Karl-Christian verantwortet die Bereiche Innovation und Digitale Medizin.

Stichwort Digitale Medizin: Welche Produkt- und Medizintechniktrends werden den künftigen Erfolg von Karl Storz bestimmen?

Ich habe keine Kristallkugel. Ich glaube aber, dass die Vernetzung in der Medizin und Medizintechnik weitergeht – in Richtung intelligenter Operationssaal, bei dem der Computer den Chirurgen mit weiteren Visualisierungsmöglichkeiten, Warnmeldungen, Navigationsgeräten, etc. unterstützt. Im Bereich der Endoskopie sehen wir unter anderem einen Trend zur molekularen Bildgebung. Damit lassen sich im Idealfall Krankheiten bereits vor dem Ausbruch der ersten Symptome diagnostizieren und therapieren.

Die Geschichte Ihrer Familie ist ein Stück weit auch die Geschichte Tuttlingens. Wie wichtig ist Karl Storz für die Stadt Tuttlingen und für das Medizintechnik-Cluster Tuttlingen?

Für Karl Storz ist das Medizintechnik-Cluster nicht so wichtig. Es sind eher die kleinen Firmen im Dunstkreis die davon profitieren. Unsere Zulieferer könnten auch woanders sitzen. Wir orientieren uns nie nach Billiglohnländern, sondern unsere Produktionsstandorte oder Lieferanten sind immer dort, wo es Spezialwissen gibt. Sehr positiv sehen wir Initiativen wie den Hochschulcampus Tuttlingen, der den Standort bereichert hat und bereits gut etabliert ist.

Wie herausfordernd ist es für ein Unternehmen wie Karl Storz, am Standort Tuttlingen Nachwuchs zu rekrutieren?

Die Personalsituation am Standort Tuttlingen ist tatsächlich nicht einfach, zumal wir eine Firma sind, deren Mitarbeiter von den Konkurrenten gesucht werden. Es wird gnadenlos abgeworben. Dennoch: Die Guten bleiben bei Karl Storz. Wir haben etliche Mitarbeiter, die schon in der dritten Generation bei Karl Storz arbeiten. Und wir bilden natürlich aus. Karl Storz ist die einzige Ausbildungsstätte im Umkreis von 100 Kilometern für Feinoptik. Und mit der Hochschule in Tuttlingen haben wir inzwischen auch einen Magneten, der akademischen Nachwuchs hier in die Region zieht.

Wo sehen Sie Karl Storz in zehn Jahren?

Auf dem Markt und nach wie vor so stark wie heute – oder stärker.

Was macht Sybill Storz wenn sie einmal nicht im Namen und im Auftrag von Karl Storz unterwegs ist?

Ich habe zwei Enkeltöchter, die mich auf Trab halten.