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Tollhaus

Dubiose Machenschaften am Aktienmarkt

Wirtschaft / Lesedauer: 4 min

Zweifelhafte Studien zwingen die Aktien von Ströer und Wirecard in die Knie
Veröffentlicht:02.05.2016, 17:57

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Die Börse ist manchmal ein Tollhaus: Erst treiben Anleger einzelne Aktien in schwindelerregende Höhen – und dann kann ein einziger, suspekter Vorwurf die Papiere zum Absturz bringen. So geschehen in diesem Jahr bereits zweimal, und zwar bei dem Zahlungsabwickler Wirecard und bei dem Werbespezialisten Ströer. In beiden Fällen lösten teils dubiose Studien mit schweren Anschuldigungen einen Kurssturz aus, von dem die Hintermänner stark profitierten – weil sie zuvor auf fallende Kurse gewettet hatten. Fachleute sprechen dabei von sogenannten „Leerverkäufen“.

Die Folgen der Kombination aus Studie und Aktienwette sind für den Kurs und damit für die Anleger fatal: „Kleinanleger können sich gegen solche Attacken kaum wehren“, sagte Hauptgeschäftsführer Marc Tüngler von der Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz. Deshalb sei nun die harte Hand der Aufsichtsbehörde Bafin gefragt.

Doch nach aktuellem Stand kann die Bafin nur dann wirksam gegen die Hintermänner vorgehen, wenn ihnen Marktmanipulation, also etwa die Verbreitung falscher Informationen, nachgewiesen werden kann – und das ist in der Praxis überaus schwer. Neuesten Zahlen zufolge hat die Behörde 2014 zwar 224 neue Verdachtsfälle untersucht, doch nur bei einigen wenigen kam es in diesem Zeitraum auch zu Verurteilungen in einem Strafverfahren. Diese Zahlen sind bereits seit einigen Jahren recht stabil.

In den beiden aktuellen Fällen sind die in den Raum geworfenen Vorwürfe sehr detailliert und reichen teils bis tief in das Dickicht des deutschen und internationalen Bilanzrechtes hinein. Bei solch komplexen Sachverhalten müssen sich selbst Experten erst in die Materie einlesen.

Diese Zeit jedoch haben professionelle Investoren nicht, von den Privatanlegern ganz zu schweigen. Denn an der Börse muss innerhalb von Sekunden entschieden werden, ob Aktien nach schlechten Nachrichten abgestoßen werden oder nicht. Deshalb handelten Portfolio-Manager in solchen Fällen oft lieber nach dem Motto „im Zweifel gegen den Angeklagten“, sagte Frank Schneider vom Handelshaus Alpha. Dabei fällt die Entscheidung für einen Verkauf der Aktien oft umso leichter, je besser sie bis dato gelaufen sind. Wenn dann auch noch andere Investoren panisch den Daumen senken, kann eine Kettenreaktion folgen.

Auf fallende Kurse gewettet

Allerdings spielt schon eine Rolle, wer die Vorwürfe verbreitet. Im Falle Wirecard hatte man von dem angeblichen Analysedienst Zatarra Research & Investigations zuvor noch nie etwas gehört. Dieser hatte am 23. Februar in einer Studie den TecDax-Konzern mit Geldwäsche, Steuerbetrug und Betrügereien in Verbindung gebracht und ein Kursziel von null Euro ausgegeben. Die Aktie verlor am darauffolgenden Handelstag knapp ein Viertel ihres Wertes. Inzwischen haben die Papiere einen guten Teil ihres Einbruches wieder wettgemacht.

Pikant dabei: Im Vorfeld der Veröffentlichung hatten etliche Hedgefonds massiv auf fallende Kurse gewettet. Laut der „Süddeutschen Zeitung“ wurden auf fast neun Prozent der 123,6 Millionen ausstehenden Aktien solche sogenannten Short-Positionen abgeschlossen. Auf Anfrage der „Schwäbischen Zeitung“ wollte sich Zatarra zwar zu den Vorwürfen, nicht jedoch zu den Kurswetten äußern. „Wirecard ist unsere erste Analyse, weitere werden folgen“, hieß es lediglich.

Bei Ströer liegt der Fall etwas anders. Hier hat sich der Hedgefonds Muddy Waters offen zu der Attacke bekannt. Täuschung, Bilanzmanipulation und Insiderhandel wirft der Spezialist für Leerverkäufe dem Werbevermarkter aus Köln vor. Laut dem Börsenverlag Bernecker wird Muddy Waters von Experten inzwischen zu den einflussreichsten Investoren in den USA gezählt.

Die betroffenen Unternehmen jedenfalls wehrten sich ihrerseits mit detaillierten Stellungnahmen heftig gegen die Attacken. Wirecard sprach von verleumderischen Anschuldigungen, Ströer von einer bewusst irreführenden Darstellung bereits bekannter Fakten. Wirecard hat darüber hinaus sogar in seinem neuesten Jahresbericht und auch gegenüber Profi-Investoren mehr Details zum Geschäftsverlauf als zuvor bekanntgegeben.

Eine höhere Transparenz gilt auch unter Experten als probates Mittel, sich bereits vorbeugend gegen solche Attacken zu wappnen. Denn der Fachmann David Lewis von Astec Analytics hält besonders solche Unternehmen für anfällig, deren Geschäftsmodelle schwierig zu verstehen seien. Recht immun hingegen erscheinen Börsendickschiffe etwa aus dem Dax, weil bei ihnen die schiere Masse der umlaufenden Aktien Manipulationen erschwert.

Als Spezialist für die Auswertung von Leerverkaufsdaten hält Lewis aber auch den Anlegern einen Spiegel vor: Manche hofften wohl, dass allein die Furcht vor der vollen Härte des Gesetzes schon Abschreckung genug ist, falsche Informationen zu verbreiten. Oder andersherum: Wer weniger naiv das Geschehen an der Börse verfolgt, lässt sich nicht so schnell von vermeintlichen Enthüllungen ins Bockshorn jagen.