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Wirtschaft / Lesedauer: 5 min

Betriebe im Kammerbezirk Ulm werben erfolgreich Nachwuchs
Veröffentlicht:26.01.2017, 20:08

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Handwerk hat goldenen Boden, heißt es in einem Sprichwort. Für den Kammerbezirk Ulm, der die Interessen von gut 18000 Betrieben zwischen Ostalb und Bodensee vertritt, scheint das uneingeschränkt zu gelten. Diesen Eindruck haben am Donnerstag Kammerpräsident Joachim Krimmer und sein Hauptgeschäftsführer Tobias Mehlich vermittelt. Festmachen lässt sich das nicht nur an der anhaltend guten Wirtschaftslage eines Großteils der Unternehmen. Der Kammerbezirk scheint auch Lösungen beim wohl drängendsten Problem der Handwerkerschaft gefunden zu haben: dem Nachwuchsmangel.

Und so berichteten Krimmer und Mehlich nicht ohne Stolz, dass es im vergangenen Jahr gelungen sei, 5,2 Prozent mehr Azubis für eine Karriere im Handwerk zu begeistern. Die Zahlen erstaunen angesichts der demografischen Entwicklung in Deutschland, rückläufigen Schülerzahlen und einer bei vielen Jugendlichen bevorzugten akademischen Ausbildung – zumal das Plus im Kammerbezirk Ulm keine Eintagsfliege ist. Es ist bereits das dritte Jahr in Folge mit positiven Zuwachszahlen.

Neues Ausbildungssystem

Mehlich führt das vor allem auf die Anstrengungen der Handwerkskammer Ulm im Bereich der beruflichen Bildung und diverser Initiativen zur Nachwuchsgewinnung zurück. „Wir konzentrieren uns seit einigen Jahren mit voller Kraft auf das Thema, und das zahlt sich jetzt aus“, so Mehlich. Es ist ein ganzes Bündel an Maßnahmen, das in den vergangenen Jahren auf den Weg gebracht wurde: So trommeln im Kammerbezirk Ulm 200 Ausbildungsbotschafter in Schulen und Elternhäusern für das Handwerk, Willkommenslotsen kümmern sich um die Integration von Flüchtlingen in den Ausbildungs- und Arbeitsmarkt, und Veränderungen in der Ausbildungssystematik sorgen dafür, dass viele Jugendliche das Handwerk wieder als Zukunftschance begreifen.

Insbesondere die Einführung von dualen Studiengängen, in denen handwerkliche und akademische Inhalte kombiniert werden, hätte dafür gesorgt, dass die Berufsausbildung für junge Menschen wieder interessanter werde. „Im Jahr 2011 hatten wir eine Abiturientenquote von 3,5 Prozent; 2016 lag sie bei knapp 13 Prozent“, so Mehlich. Als Beispiel nannte er das Biberacher Modell – eine Verzahnung von Handwerk und Studium, das die Hochschule Biberach zusammen mit dem Kompetenzzentrum Holzbau & Ausbau Biberach seit einigen Jahren anbietet und bei dem junge Leute parallel zur Ausbildung zum Zimmerer einen Bachelor-abschluss im Bereich Holzbau machen können.

Mehlich forderte die Politik auf, angesichts der Herausforderungen im Handwerk mehr für die berufliche Bildung zu unternehmen. Nach wie vor würden mehr Jugendliche eine Ausbildung als ein Studium beginnen, und nach wie vor gebe es ein Missverhältnis bei der finanziellen Förderung dieses Bildungsweges durch Bund und Länder. Während Hochschulen und Universitäten im Rahmen des Hochschulpakts und von Exzellenzinitiativen jährlich von rund drei Milliarden Euro profitierten, müsse die berufliche Ausbildung mit bescheidenen 71 Millionen Euro auskommen. „Eine Exzellenzinitiative und einen Pakt für die berufliche Bildung brauchen wir jetzt auch“, so Mehlich. Man müsse zur Kenntnis nehmen, dass der sogenannte Fachkräftebedarf nicht nach akademischen Abschlüssen ruft, sondern nach Fachkräften mit beruflicher Bildung.

Konjunkturumfrage macht Mut

Davon abgesehen ist die gute wirtschaftliche Lage der Branche förderlich für die Nachwuchsgewinnung. So rechnen die Handwerksbetriebe des Kammerbezirks Ulm im laufenden Jahr mit anhaltend guten Geschäften. „2016 war bereits ein hervorragendes Jahr für das Handwerk und 2017 wird wohl ähnlich gut laufen“, glaubt Krimmer und stützt seinen Optimismus auf die Ergebnisse der aktuellen Konjunkturumfrage der Handwerkskammer, nach der insgesamt 72 Prozent der Betriebe von einer guten wirtschaftlichen Situation berichten. Zwei Drittel der Unternehmen gehen von einer guten Geschäftslage auch in den kommenden Monaten aus. „Solche Zahlen im Winter zu präsentieren, in dem die Geschäftslage für die Betriebe immer etwas schlechter ist, stimmt uns positiv“, pflichtet ihm Mehlich bei.

Keine „Problembranchen“

Rückenwind gibt insbesondere die gute Konjunktur in Deutschland, angetrieben durch die Konsumlaune der Verbraucher, und die damit verbundenen vollen Auftragsbücher. So berichteten 82 Prozent aller Betriebe von einer guten bis stabilen Auftragslage, 78 Prozent gehen davon aus, dass das auch in den kommenden Monaten so bleibt. Der Kammerbezirk Ulm hält damit die Bilanz der vergangenen Jahre aufrecht, immer etwas besser dazustehen als das Land Baden-Württemberg insgesamt.

Krimmer zufolge hätten fast alle Gewerke zu den positiven Zahlen beigetragen. Richtige „Problembranchen“ gebe es nicht mehr. Einzig bei personenbezogenen Dienstleistungen, unter die etwa Frisöre und Gebäudereiniger fallen, habe sich die Situation eingetrübt. Zugpferde blieben dagegen die Bau- und Ausbaugewerke, die überproportional von der guten Binnenkonjunktur profitierten.

Vor allem in den baunahen Gewerken „sind die Kapazitäten zurzeit komplett ausgelastet“, so Krimmer. Überkapazitäten, wie sie vor einigen Jahren noch registriert wurden, gebe es nicht mehr. Ein Ende des Booms sieht der Handwerkspräsident nicht. Im Gegenteil. Der Sanierungsstau in Baden-Württemberg, ein hohes Geldvermögen der privaten Haushalte und die niedrigen Zinsen würden dafür sorgen, dass eher mehr als weniger Geld in den Immobiliensektor fließe.

Die Bildungsakademie der Handwerkskammer auf dem Ulmer Kuhberg wird in den kommenden zwei Jahren für 7,5 Millionen Euro modernisiert und erweitert. Der 1972 eröffnete Standort brauche eine Modernisierung, um die Ausbildung attraktiv und zukunftsfähig zu halten, sagte HWK-Hauptgeschäftsführer Tobias Mehlich. Rund 2,3 Millionen Euro bringe die Handwerkskammer auf, den Rest würden Bund und Land beisteuern. Vorgesehen sind unter anderem neue Theorie- und Praxisflächen sowie Übungs- und Besprechungsräume.

Den Bildungsstandort Ulm durchlaufen jährlich 2800 Auszubildende, 1100 Handwerkerinnen und Handwerker absolvieren dort Fort- und Weiterbildungsmaßnahme wie beispielsweise eine Meistervorbereitung. (ank)

Einen Vergleich der Konjunkturindikatoren 2015/2016 finden Sie unter www.schwaebische.de/

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