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Wieder entdeckt: der Opernkomponist Joachim Raff

Kultur / Lesedauer: 5 min

Der Opernkomponist Joachim Raff wird wieder entdeckt
Veröffentlicht:02.06.2020, 19:27

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Der Pianist und Dirigent Hans von Bülow zählte den Liszt-Schüler Joseph Joachim Raff, dessen Musik erst in letzter Zeit wieder entdeckt wird, zu den fünf bedeutendsten Komponisten seiner Generation neben Brahms, Saint-Saens, Rheinberger und Tschaikowsky. Raff wurde 1822 als Sohn eines aus Württemberg stammenden Lehrers in Lachen am Zürichsee geboren. Nach autodidaktischen Versuchen genoss er die Förderung von Mendelssohn und Liszt, wurde dessen Sekretär in Weimar und stieg zu den meistgespielten Komponisten Deutschlands auf. Zuletzt war er Direktor des neuen Hoch’schen Konservatoriums in Frankfurt, wo er 1882 starb.

Auf dem Gebiet des Musiktheaters schlug Raff nach zwei ernsten Bühnenwerken einen ganz neuen Weg ein. Seine letzten vier Opern sind dem heiteren Genre verpflichtet, das im deutschsprachigen Raum nach dem Erfolg von Richard Wagners musikdramatischen Theoremen keinen leichten Stand hatte. Die schwergewichtig-überlangen, gegen Ende nationalpathetisch gespreizten „Meistersinger“ waren als Modell für wirklich komisches Musiktheater nicht geeignet. Ein Fortschreiben der deutschen Spieloper à la Lortzing, Nicolai oder Flotow galt als rückständig. Dazwischen lauerte schlechter Kompromiss.

Mit seiner 1870 in Weimar uraufgeführten Calderón-Oper „Dame Kobold“ gelang Raff mehr als dreißig Jahre vor entsprechenden Versuchen von Richard Strauss und anderen eine „moderne“ Wiederbelebung der alten Opera buffa. Im kommenden Herbst soll der brillante Dreiakter übrigens erstmals seit jener Zeit in Regensburg wieder auf die Bühne kommen, wenn die von Brigitte Fassbaender inszenierte Produktion nicht aus Pandemie-Gründen noch verschoben werden muss. Die letzten drei komischen Opern Raffs („Die Parole“, „ Benedetto Marcello “, und „Die Eifersüchtigen“) blieben zu dessen Lebzeiten unaufgeführt.

„Benedetto Marcello“ wurde erst 2002 bei den Herbstlichen Musiktagen Bad Urach wenigstens konzertant aus der Taufe gehoben. Ein Mitschnitt dieser Welturaufführung in der Stadthalle Metzingen ist jetzt auf Tonträger erschienen. Mehr noch als die anderen heiteren Opern Raffs könnte man gerade sein zweitletztes Bühnenstück textlich und kompositorisch als radikalen Gegenentwurf zu Wagners Musikdrama und – nicht zuletzt wegen ironischer Parallelen der Handlung - speziell zu dessen „Meistersingern“ deuten. Das Libretto des Anti-Stücks hat Raff wie Wagner selbst geschrieben.

Gerade mal eindreiviertel Stunden dauert das vom Stuttgarter Raff-Spezialisten Volker Tosta der Versenkung entrissene „Lyrische Drama in drei Akten“, dem der Komponist ursprünglich den Titel „Kunst und Liebe“ geben wollte. Die Instrumentation ist schlank (mit berückenden Soli für Holzbläser, Horn oder Cello), die Harmonik Dienerin elegant fließender Melodien, die musikalischen Formen sind knapp und konzentriert. Da ist kein Takt zuviel, alles geht Schlag auf Schlag, die effektvolle, mit leichter Hand geschriebene Musik reagiert in jedem Moment flexibel auf die Szene.

Die entwaffnend einfache Handlung kommt mit vier Personen aus. Der Komponist Benedetto Marcello macht seine beiden Gesangschülerinnen Rosana und Faustina Bordoni mit dem jungen deutschen Kollegen Adolf Hasse bekannt, der soeben zum neuen Star der venezianischen Oper aufgestiegen ist. Nachdem Hasse ihm die erfolgreiche Faustina als Geliebte ausspannt, tröstet sich Marcello mit der Anfängerin Rosana, die ihn heimlich von Anfang an geliebt hat. Das Libretto verzichtet auf komplizierte Knoten und philosophische Botschaften zugunsten musikalisch ergiebiger Situationen und Stimmungen.

Bezeichnenderweise spielt „Benedetto Marcello“ nicht in Nürnberg, sondern in Venedig, wiewohl es auch hier um meisterliches Singen geht. Jahrzehnte vor Strauss‘ „Ariadne“ und „Capriccio“ wandte sich Raff mit dieser geradezu fliegengewichtigen „Oper über die Oper“ einer Epoche zu, die im Musiktheater seiner Zeit längst aus der Mode gekommen war. Das Stück integriert barockisierende Elemente und Koloraturen artifiziell in einen romantisch-delikaten Tonsatz, der quasi im Namen Rossinis und Donizettis gegen deutsche „Tiefe“ opponiert.

Dass Raffs „berühmter Meister Hasse“ verräterisch mit dem einzigen Leitmotiv in dieser Oper ausgestattet ist und am Ende nach Deutschland verabschiedet wird, kann man als karikierende Replik auf Stolzing und damit auch als Stichelei gegen Wagner und seine selbstapotheotischen Künstlerdramen deuten, in denen heroisches Kunstopfer und biederes Bürgerleben gegeneinander ausgespielt werden. Konsequenterweise ist denn auch bei Raff nicht Hasse der Titelheld (als Heros aus der Gipsbüstengalerie deutscher Kunstreligion wäre da eher Händel in Frage gekommen), sondern der nüchterne, ohne Starkult lebende, bürgerlich endende Marcello.

Grzegorz Nowak hat die provozierend unproblematische, auf beißende Satire à la Offenbach verzichtende Oper mit dem Rundfunkorchester Kaiserslautern trotz gelegentlicher Unsauberkeiten mit Verve aus der Taufe gehoben. Dass sie mit ihren artistisch dankbaren Vokalparts und kunstvoll aufgebauten Ensembles vor allem eine Sängeroper ist, beweisen die exzellenten Solisten Margarethe Joswig (Rosana), Melba Ramos (Faustina), Johannes Kalpers (Hasse) und Detlef Roth (Marcello). Leider kann der Männerchor der Amanduskirche Bad Urach mit diesem Niveau nicht mithalten.

Ob die musikalisch reizvolle Komödie auch szenisch lebensfähig ist, müsste ein mutiger Regisseur klären. Raffs musikdramatisches Hauptwerk „Samson“, das nach seiner Fertigstellung 1857 trotz Liszts tätiger Hilfe unaufgeführt blieb, hat dem Vernehmen nach gute Chancen, 2022 an einem deutschen Opernhaus zum 200. Geburtstag Raffs immerhin konzertant das erste Mal überhaupt gespielt zu werden. So käme das Stück, das Liszt einst mit Wagners erstem Tristan Ludwig Schnorr von Carolsfeld in der Titelrolle aus der Taufe heben wollte, mit 165 Jahren Verspätung endlich zum Klingen.