StartseiteSport„Wir fahren nach Berlin, um zu gewinnen“ - Fredi Bobic im großen SZ-Interview

Endspiel

„Wir fahren nach Berlin, um zu gewinnen“ - Fredi Bobic im großen SZ-Interview

Stuttgart / Lesedauer: 8 min

Stuttgarts Sportdirektor Fredi Bobic erklärt, wieso die neue Spielzeit besser wird als die abgelaufene - und wie der VfB den übermächtigen FC Bayern im Pokalfinale schlagen kann
Veröffentlicht:17.05.2013, 22:20

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Neunter bis Dreizehnter kann der VfB Stuttgart noch werden, je nachdem, ob der Fußball-Bundesligist heute am letzten Spieltag den FSV Mainz schlägt oder nicht. Zufrieden ist Sportdirektor Fredi Bobic (41) damit in jedem Fall nicht. Im SZ-Interview mit Jochen Schlosser und Jürgen Schattmann äußert sich der Vater zweier Töchter, der neuerdings Mitglied im VfB-Vorstand ist und sogar als Kandidat für den Posten des Vorstandsvorsitzenden gilt, über die Saison, die Zukunft und die Art und Weise, wie der VfB das ungleiche Pokalfinale am 1. Juni gegen den FC Bayern gewinnen will.

Herr Bobic, Bayern oder Dortmund , für wen sind Sie nächsten Samstag?

Da ich drei Jahre in Dortmund gespielt habe, werde ich natürlich der Borussia die Daumen drücken. Aber egal, wer gewinnt, für unser Pokalfinale hat das Champions-League-Endspiel keine Bedeutung, denn was das angeht, ist es „g’hupft wie g’sprunga“, das hat keine Vor- oder Nachteile für uns.

Wie um alles in der Welt wollen Sie die Bayern schlagen am 1. Juni?

Zunächst mal: Wir fahren nach Berlin , um zu gewinnen. Bayern ist sicher der große Favorit mit seinem herausragenden Kader und einer überragenden Saison, sie haben eine Benchmark gesetzt. Aber es ist nur ein einziges Spiel, und das Schöne im Fußball ist: in einem Spiel ist alles möglich. Das hat die Historie immer wieder gezeigt. Das Champions-League-Finale letztes Jahr zum Beispiel hat auch nicht die bessere Mannschaft gewonnen, sondern die, die am besten zerstört hat und den Sieg am Ende einen Tick mehr wollte, gieriger war. In München haben wir in der Liga trotz des 1:6 dreißig Minuten lang ein tolles Spiel aufgezogen, lagen zurecht mit 1:0 vorne, hätten sogar noch nachlegen können – und dann haben wir uns in 30 Minuten leider alles selbst zerschossen. Auch im Rückspiel haben wir es anfangs richtig gut gemacht. Aber du brauchst einen perfekten Tag, musst unheimlich konzentriert sein und gnadenlos effektiv.

Der letzte Titel datiert vom 19. Mai 2007. Hat man danach mit all den jungen Talenten die Jahrhundertchance verpasst, sich fest in die deutschen Top 3 zu spielen?

Das hat man nach allen unseren Titeln gesagt. Durch die Champions League hat man einen unglaublichen finanziellen Mehrwert, auch im Vergleich zur Europa League, aber leider hat man es nie so ganz geschafft, da ganz vorne dranzubleiben. Aber wer hat’s denn auf Dauer neben den Bayern geschafft? In den letzten beiden Jahren Dortmund, und auch die müssen das in den nächsten Jahren erst noch dauerhaft beweisen. Man braucht Stabilität, Glück bei den Transfers, darf sich nicht übernehmen und muss am Stück drei, vier Jahre Champions League spielen. Schauen Sie sich Bremen an, die hatten ein Dauer-Abo, jetzt sind sie seit drei Jahren nicht im Europacup, haben große sportliche und finanzielle Probleme. Beim VfB halten wir weiter den Anspruch, um die internationalen Ränge zu spielen, aber wir mussten uns konsolidieren, sind einen neuen, gesunden Weg gegangen und versuchen, Qualität dazu zu holen, um uns weiter zu entwickeln.

Diese Saison waren Sie weit von Champions-League-Form weg.

Dass wir mit der Saison nicht zufrieden sind, unterschreibe ich sofort, trotzdem muss man differenziert bewerten: Was ist vor der Saison passiert, was konnten wir überhaupt noch auf dem Transfermarkt tun? Nichts! Ich habe mich dagegen verwehrt, noch weitere Spieler zu verkaufen. Wir hatten ein Stück weit Handschellen angelegt. Jetzt brauchen wir intelligente Käufe, dazu weiterhin unser Jugendkonzept. Da wird eventuell auch mal der eine oder andere noch früher reingeworfen, obwohl er vielleicht noch nicht so weit ist.

Fußballerisch hatte der VfB zuletzt massive Probleme, das Spiel zu machen. Das zeigen die acht Heimniederlagen und die schwache Bilanz gegen die letzten fünf der Liga mit nur elf Punkten. Wie lässt sich das ändern?

Wir werden auch weiterhin versuchen, zu agieren, aktiv, offensiv zu sein, das ist die Philosophie des VfB – wie in der Rückrunde letztes Jahr, als wir aus dem Vollen schöpfen und ausgeruht in die Spiele gehen konnten. Dieses Jahr ging das leider nicht immer. Der Kader war extrem ausgedünnt, dazu kamen dann noch viele Verletzte wie Didavi oder Cacau. Im Januar hatten wir 16 Feldspieler im Trainingslager, da hieß es dann zunächst einmal ökonomisch spielen, sonst läuft man gnadenlos gegen die Wand. Jetzt wollen wir ein Team aufbauen, das diesen Ansprüchen gerecht wird. Die Voraussetzungen sind nun etwas besser. Wir haben Zusatzeinnahmen dank der Pokalerfolge und wegen des neuen Fernsehvertrags ab der kommenden Saison. Wir wollen investieren, tun das aber auch beispielsweise in die Infrastruktur. Für das Jugendleistungszentrum nehmen wir etwa zehn bis zwölf Millionen Euro in die Hand.

Auf der Position sechs sind eher offensive Kandidaten im Gespräch, der Ex-Stuttgarter Rudy und Dortmunds Moritz Leitner. Spielen Sie künftig ohne Abräumer und Zerstörer?

Wir wollen noch mehr Qualität auf dieser Position, das steht fest. Wir wollen aber auch einen Rani Khedira weiter ranführen, der auch selbst weiterkommen will. Ob ein möglicher Neuzugang dann ein spielerischer Typ wird oder eher ein Zerstörer, das wird man sehen.

Verlängert Abwehrchef Serdar Tasci seinen Vertrag oder verlässt er den Verein im Juli? Er hat ja zuletzt erneut signalisiert, dass er seinen Kontrakt beim VfB verlängern möchte...

Bei Serdar geht es weniger ums Geld, sondern auch darum: Was will er? Ich weiß, was wir an ihm haben, ich will ihn nicht abgeben, er ist Kapitän und Führungsspieler. Vielleicht spielt er noch zehn Jahre hier. Wir werden nach der Saison ganz entspannt reden.

Derweil ebbt die Kritik an Trainer Bruno Labbadia nicht ab. Ex-VfBler wie Maurizio Gaudino und Guido Buchwald bemängeln, dem Team fehle Labbadias Handschrift, er entwickle die Spieler nicht weiter, ziehe kaum Jugendspieler hoch.

Da möchte ich nur mal seine Bilanz anführen: Wir haben mit Bruno Labbadia den Klassenerhalt geschafft, sind letztes Jahr mit fantastischem Fußball Sechster geworden. Dieses Bundesligajahr war nicht gut, aber die Pokalwettbewerbe waren sehr ordentlich. Wir waren als einzige deutsche Mannschaft im Achtelfinale der Europa League und stehen im Pokalfinale. Wir haben hier Kontinuität reingebracht. Das war wichtig, weil es fast schon eine Art Volkssport war, dass hier immer sofort der Trainer wegmusste, wenn mal etwas schieflief. Wenn ich sehe, dass jemand sehr akribisch arbeitet, sich aufopfert im Job und ambitioniert ist, dann decke ich ihm mit Überzeugung den Rücken. Wenn die Mannschaft stets marschiert und eine tolle Mentalität beweist, obwohl sie häufig totgeschrieben wird, dann zeigt das, dass sie funktioniert – und das ist auch die Handschrift des Trainers. Wir möchten besser spielen, wie zum Beispiel in der letzten Rückrunde, aber ich muss einen Trainer aus der Kritik herausnehmen, wenn ich es als Verein nicht schaffe, ihm das, was er dazu braucht, auch zur Verfügung zu stellen. Dann muss ich ihn anders beurteilen. Und zum Vorwurf „junge Spieler“: Wir haben mit Holzhauser und Rüdiger zwei 19-Jährige in dieser Saison im Profibereich etabliert. Und wie oft sich unser Trainerteam mit den Jungen auseinandersetzt, wie oft der Trainer zum Beispiel anhand von TV-Analysen zeigt, was sie besser machen können… das sind Dinge, die nicht mal der ein oder andere sogenannte Konzepttrainer macht.

Sie selbst sind nicht nur in den Vorstand gerückt und Teil einer sechsköpfigen Gruppe, die den künftigen Präsidenten sucht, Sie gelten selbst als Kandidat für den Vorstandsvorsitz. Dürfen Sie künftig selbst über Ihr Budget befinden?

Mitsprache hatte ich vorher schon, in der jetzigen Position wird vieles sicher einfacher. Nun kann ich sicher Dinge schneller vorantreiben, das ist der Vorteil. Aber wie schon immer bei uns, geschehen die Dinge abgestimmt.

Als Vorstandsvorsitzender ginge das in Zukunft dann noch schneller...

Ich habe klare Vorstellungen über die Strukturen eines Vereins. Ich habe immer gesagt: Der Sport muss im Vorstand vertreten sein, weil der Sport eine entscheidende Rolle in einem Fußballverein hat. Die Frage ist auch, ob die aktuelle Struktur noch zeitgemäß ist. Eines ist klar für mich: Wir müssen darüber nachdenken, ob wir uns nicht irgendwann als Kapitalgesellschaft oder GmbH ausgliedern. Was mich betrifft: Ob ich jetzt Vorstandsmitglied oder Vorsitzender bin – die Verantwortung empfinde ich als die gleiche.