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Frust

Der Turm von Tandil bleibt standhaft

Sport / Lesedauer: 4 min

Der Argentinier Juan Martin del Potro schlägt auch Roger Federer und trifft nun auf Rafael Nadal
Veröffentlicht:07.09.2017, 20:11

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Auch eine Tennislegende wie Roger Federer ist zuweilen mit ihrem Latein am Ende, der Frust des Schweizers nach dem 5:7, 6:3, 6:7 (8:10), 4:6 gegen den Argentinier Juan Martin del Potro im Viertelfinale der US Open hielt sich allerdings in Grenzen. Federer hatte vier Satzbälle im dritten Durchgang vergeben und damit einen 2:1-Vorsprung verpasst, aber er trug es mit Fassung, weil del Potro in dieser Nacht der bessere Spieler gewesen war. Der 35-Jährige war ein bemerkenswert fairer Verlierer: „Es ist besser, dass ich ausgeschieden bin und jemand anders jetzt die Chance bekommt, es besser zu machen. Juan wird im Halbfinale eine größere Chance auf einen Sieg haben, als ich es hätte. Er hat es verdient“, sagte Federer. Dass sein Traum-Halbfinale gegen Rafael Nadal geplatzt war, schien ihn nicht zu grämen.

Bereits in den ersten Runden hatte sich Federer schwer getan und etliche Sätze abgegeben, er war nicht in jener Topform, die ihn in Australien und Wimbledon zu federleichten Siegen getragen hatte. Federer fühlte das, es verunsicherte ihn. 41 unnötige Fehler fabrizierte er, eine astronomische Zahl für ihn, symptomatisch war sein ins Netz geschlagener Überkopfball, der del Potro einen Breakball im vierten Satz brachte, den der argentinische Davis-Cup-Held zur vorentscheidenden 3:2-Führung nutzte. Und am Ende musste er seine Ohnmacht anerkennen: „Ich habe gespürt, dass für mich im Halbfinale kein Platz war. Meine Leistung war körperlich, mental und spielerisch nicht gut genug, um solch ein Turnier gewinnen zu können.“

Federer räumte ein, dass er mit dem Gefühl eigener Schwäche und Verletzbarkeit in seinem Innersten nicht gut umgehen könne: „Ich habe schon das ganze Turnier über gespürt, dass ich verlieren werde, wenn ich auf einen guten Gegner treffe.“

Der ist Juan Martin del Potro zweifellos, und nicht nur das. Wenn es einen Tennisspieler gibt, der berühmt ist für seine Dramen, seine Hingabe und seine Auferstehungskämpfe auf dem Platz, dann der Argentinier. „Turm von Tandil“, nennen sie den 1,98 Meter großen 28-Jährigen nach seiner Geburtsstadt. Dass auch der größte Turm nicht immer stabil ist, musste del Potro in seinem Leben erfahren. Dreimal wurde er nach seinem US-Open-Triumph 2009 am Handgelenk operiert, dreimal musste er sich aus den Untiefen der Weltrangliste wieder nach oben arbeiten, zwischendurch hielten ihn Depressionen und Selbstzweifel gefangen wie Zwangsjacken. Weil Juan del Potro aber nicht nur ein großartiger Tennisspieler, sondern ein noch beeindruckenderer Kämpfer ist, kommt er stets zurück. Bereits bei den Olympischen Spielen 2012 und 2016 hatte er mit seinem Spirit die Fans und sich selbst verzaubert, Bronze und Silber waren der Lohn. Und im Viertelfinale fieberten und wirkten 7000 Gaucho-Fans mit einer ohrenbetäubenden Lautstärke dabei mit, wie del Potro in einem epochalen Spiel den Österreicher Dominic Thiem nach einem kapitalen Fehlstart und der Abwehr von zwei Matchbällen noch mit 1:6, 2:6, 6:1, 7:6 (1), 6:4 niederrang – trotz einer roten Nase und einer Erkältung, die ihn anfangs so geschwächt hatte, dass er schon aufgeben wollte. Es war ein Spiel für Wahnsinnige, aber der Coup gegen Federer, den del Potro auch damals, 2009, bei seinem größten Erfolg geschlagen hatte, war nicht minder schön: „Dieser neuerliche Erfolg an diesem besonderen Ort war so wichtig für mich. Gegen Roger ist es nicht leicht, die Liebe der Zuschauer zu erobern“, sagte er.

Gegen Rafael Nadal, die Nr. 1 der Welt, der seinen dritten New-York-Titel holen will, dürfte es auch nicht einfach werden. Der Spanier schlug den 19-jährigen Russen Andrej Rublew im Viertelfinale vernichtend mit 6:1, 6:2, 6:2, und er ist erfahren genug, sich von del Potros gelegentlichen Zwischentiefs nicht einlullen zu lassen. „Er hat wahrscheinlich die schnellste Vorhand auf der Tour“, sagte der 31-Jährige. In jedem Fall hat Juan Martin del Potro den sinnlichsten Jubel im Männertennis. Er steht einfach hin, breitet die Hände aus und blickt in den Himmel, als wolle er die Welt segnen.