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Intersexualität

Wenn das Geschlecht zum Problem wird

Ulm / Lesedauer: 3 min

In Ulm werden Menschen beraten, die sich ihrem Geburtsgeschlecht nicht zugehörig fühlen – Eine Betroffene berichtet
Veröffentlicht:22.08.2016, 18:24

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Sie ist die einzige ihrer Art in Baden-Württemberg : Die Beratungsstelle für Transsexualität, Transgender und Intersexualität (TTI), die vor gut zwei Monaten in Ulm ihre Arbeit aufgenommen hat. Seit Projektstart 2015 gibt es bundesweit elf Beratungsstellen, die dem Kampf gegen die Diskriminierung sexueller Minderheiten eine Plattform geben sollen. Etwa fünf bis zehn Prozent der Menschen sind nach Angaben der Mitarbeiter in der Ulmer Beratungsstelle betroffen.

Dass in Ulm die neben München einzige derartige Beratungsstelle der südlichen Republik entstand, sei dem sehr aktiven „Freundeskreis transidenter Menschen“ zu verdanken, der bereits seit 2004 Betroffenen Hilfestellung gibt. Ein Aktivposten in der neuen Beratungsstelle sowie dem Freundeskreis ist Isabelle Hlawatsch . Sie leitet etwa eine Jugendgruppe – Teen Gender – mit 18Mitgliedern von 14 bis 22 Jahren, die bis aus Günzburg nach Ulm zu den Treffen anreisen. Isabelle Hlawatsch weiß aus eigener Erfahrung, was die Jugendlichen durchmachen.

Im Körper eines Mannes wurde die Ulmerin 1978 geboren, doch schon in der Grundschulzeit habe sie geahnt, dass sie dort nicht hineingehöre. „Du bist doch ein Mädchen“, sagten bereits die Lehrer. Kurz vor dem Abitur habe sie es dann nicht mehr ausgehalten und entschied sich, ihre Transsexualität offen auszuleben. Nach einer OP und Hormonbehandlung habe sie nun ihr wahres Ich gefunden. Aus ihrer Sicht haben es heutzutage Menschen in Fragen der Geschlechtsidentität und sexueller Orientierung weit leichter als bei ihrem Outing vor über 20 Jahren. Weder Internetforen noch Jugendgruppen habe es gegeben. „Ich dachte damals, ich bin damit alleine auf der Welt.“ Doch es sei wichtig, dass alle Menschen Treffpunkte zum Austausch haben. Denn die Abweichung von der heterosexuellen Geschlechternorm verschließe viele Zugänge zu den etablierten Vereinen oder Gruppen. „Die Erfahrungen von gemeinsamen Erlebnissen sind nicht zu ersetzen“, sagt Hlawatsch.

Auch an Eltern betroffener Jugendlicher richtet sich die Beratungsstelle. Besonders im ländlichen Raum gebe es bei den 50- bis 70-Jährigen große Vorbehalte. Verständnis für die schwierige Situation ihrer Kinder sei immer noch alles andere als selbstverständlich.

Wichtige politische Ziele sind die Verbesserung der Krankenkassen-Leistungen für Betroffene und die Erleichterung der Personenstands-änderung: „Heute muss man ein Gerichtsverfahren führen, wir wollen, dass ein Gang zum Standesamt reicht, um die neue Geschlechts-identität zu dokumentieren“, sagt Hlawatsch. Der Aktionsplan „Für Akzeptanz und gleiche Rechte in Baden-Württemberg“ wirbt für die Gleichstellung von Homosexuellen, Trans- und Intersexuellen (LSBTTIQ) mit Heterosexuellen im Land. Unter anderem sieht der Plan die bessere Integration von LSBTTIQ-Jugendlichen in die bestehende Jugendarbeit vor, etwa durch Ansprechpartner. Weiter sollen Akteure in der Pflege und in der Behindertenhilfe für das Thema „Akzeptanz sexueller Vielfalt“ sensibilisiert werden. Die Schaffung eines diskriminierungsfreien Schulalltags gehört ebenso zum Plan wie eine diskriminierungsfreie Arbeitswelt. Auch sollen bessere medizinische und therapeutische Angebote für transgender, trans- und intersexuelle Menschen aufgebaut werden.

Der Fortbestand der Beratungsstelle ist allerdings gefährdet: Die nur für 14 Monate zugesagte Förderung der alten grün-roten Regierung läuft Ende 2017 aus. Ob auch die neue grün-schwarze Landesregierung Geld für das Thema aufbringt, ist noch offen. Der Grünen-Minister Manne Lucha verspricht, sich bei den Haushaltsberatungen für eine Finanzierung einzusetzen. Die Beratungsstelle hat jedenfalls noch viel vor: Im Aufbau ist eine Selbsthilfegruppe für intersexuelle Menschen, ein Feld, das mit besonders vielen Tabus belegt sei, so Hlawatsch. Hier stecke sowohl das Beratungsangebot als auch der gesellschaftliche Umgang noch in den Kinderschuhen.

Beratungstermine erfolgen nach Vereinbarung und können per E-Mail unter [email protected] vereinbart werden. Telefonisch ist die Stelle unter 0152/55992731 jeden Mittwoch zwischen 9 und 11 Uhr für Terminvereinbarungen erreichbar. Außerdem gibt es jeden Freitag von 16 bis 18 Uhr im Büro (Furttenbachstraße 14, Ulm) eine freie Sprechstunde.