StartseiteRegionalRegion LindauLindauAlkoholrausch, Prügel, Nasenspitze abgebissen? - Trip nach Lindau eskaliert

Alkoholrausch

Alkoholrausch, Prügel, Nasenspitze abgebissen? - Trip nach Lindau eskaliert

Lindau / Lesedauer: 8 min

Münchner gerät bei Ausflug nach Lindau in Streit mit einem Kellner – Jetzt steht er vor Gericht
Veröffentlicht:28.10.2022, 05:00

Von:
Artikel teilen:

„Fakt ist, die Nase ist weg“, sagt Richter Bernhard Menzel am Ende des ersten Verhandlungstags. Jetzt müsse noch geklärt werden, wie das passiert sei.

Ein heute 49 Jahre alter Mann aus München ist wegen schwerer Körperverletzung vor dem Landgericht Kempten angeklagt. Er soll vor zwei Jahren im Oktober in Lindau einem Mann mit seinen Schneidezähnen die Nasenspitze abgebissen haben. An die Tat, sagt er, könne er sich nicht mehr erinnern.

In erster Instanz freigesprochen

Das Amtsgericht Lindau hat ihn in erster Instanz freigesprochen. Der Grund: Es sei unklar geblieben, ob der Angeklagte vielleicht in Notwehr handelte. Außerdem hatte das Gericht „nicht ausräumbare Zweifel“ an der Aussage des Geschädigten. Dagegen hat der Nebenkläger, der Mann, dessen Nase verletzt wurde, Berufung eingelegt.

Der Angeklagte – akkurater Kurzhaarschnitt mit Seitenscheitel, Hemdkragen unterm Pullover – sitzt ganz ruhig im Gerichtssaal. Er hört aufmerksam zu, seine Lippen deuten die ganze Zeit ein Lächeln an. Wie er berichtet, habe er mit seiner Ehefrau ein Wochenende in Lindau verbringen wollen. Wegen Corona seien im Oktober 2020 viele Lokale geschlossen gewesen, doch der Hotelier habe ihnen nach der Ankunft am Freitagabend fürs Abendessen ein nettes, kleines Restaurant auf der Insel empfohlen.

Kellner interessiert sich für seine Rolex

Dort habe der Mann, der später an seiner Nase schwer verletzt wurde, das Ehepaar bedient. „Er hat mich auf meine Uhr angesprochen, was ich eigenartig fand“, sagt der Angeklagte. Er habe nur geantwortet, dass es sich um seine Arbeitsuhr handle, bei der er wenige Monate zuvor ein neues Band habe anbringen lassen. Die Rolex habe er schon 1998 gekauft, damals für 6000 Deutsche Mark. Weil der Wert solcher Luxusuhren steige, liege er heute auch bei gebrauchten Uhren dieses Modells etwa bei 10 000 Euro, schildert der Installateur. Das Essen in dem kleinen Restaurant sei sehr gut gewesen, deshalb hätten seine Frau und er gleich für den nächsten Abend einen Tisch reserviert.

Wie der Angeklagte und seine Ehefrau, die als Zeugin geladen war, weitgehend übereinstimmend vor Gericht beschreiben, hätten sie am Samstag erst einmal ausgeschlafen und seien gegen Mittag mit einem Sektfrühstück in den Tag gestartet. Bei einem Spaziergang über die Insel hätten sie viel Alkohol getrunken und beinahe den reservierten Tisch vergessen.

In dem Restaurant habe sie wieder der Kellner vom Freitagabend bedient. Der Angeklagte und seine Frau bestellten zwei Flaschen Rotwein zum Essen. Mit zwei Frauen am Nachbartisch habe sich ein interessantes Gespräch entwickelt, sagt er. Die Stimmung sei nett und lustig gewesen, der Kellner habe eine Runde Raki spendiert. Eine zweite Runde habe es kurz vor Ladenschluss gleich auch noch gegeben.

In der Bar enden seine Erinnerungen

Der Kellner habe dann ihn und seine Frau gefragt, ob sie zusammen noch in eine Bar gehen wollen, schildert der 49-Jährige. Sie schlossen sich an. Während seine Frau ein Glas Wein bestellte, gab es für die Männer einen doppelten Rum. Als die Frau zurück ins Hotel ging, blieben der Angeklagte und der Kellner in der Bar. „Wir haben noch einen zweiten Rum getrunken, dann weiß ich nichts mehr“, sagt er.

Ganz vage Erinnerungen habe er an Blaulicht. Seine Uhr sei komplett verbogen gewesen, sein Geldbeutel mit 600 bis 800 Euro und eine Creme, die in einer Einkaufstüte war, fehlten bis heute. Auf seinem weißen Hemd sei ein großer Blutfleck gewesen, sein Gesicht grün und blau, er habe Platzwunden am Hinterkopf, Schmerzen an der Schulter und Prellungen an den Rippen gehabt.

Der Gedanke, irgendjemandem die Nase abzubeißen, bringt mich innerlich zum Grausen.

Angeklagter vor Gericht

An eine Schlägerei könne er sich nicht erinnern. Und über den Vorwurf, er habe dem Kellner die Nasenspitze abgebissen, sei er schon beim Lesen der Akte „sehr verwundert“ gewesen, sagt er. Als Richter Menzel nachhakt, ob er irgendwelche Erinnerungen habe, zum Beispiel an den Geschmack von Blut im Mund, verneint er. „Der Gedanke, irgendjemandem die Nase abzubeißen, bringt mich innerlich zum Grausen“, sagt der Angeklagte.

Der damalige Kellner schildert den Verlauf des Abends ähnlich. Die Erzählungen unterscheiden sich erst ab dem Zeitpunkt, als sie nach seinem Feierabend zusammen in die Bar gegangen sind. Gut acht bis zehn doppelte Rum hätten sie getrunken, sagt der Kellner, ein 46 Jahre alter Mann aus Lindau. Der Angeklagte sei immer unangenehmer geworden, habe zuerst seine Frau gepiesackt, später ihn. Schließlich habe er ihn zum Hotel bringen wollen, weil er kaum noch stehen konnte und immer wieder umgefallen sei. Als sie die Bar verließen, habe der Alkohol auch bei ihm voll reingehauen, an der frischen Luft sei es ein „richtiger Flash“ gewesen.

Vor dem Hotel eskaliert die Situation

Sie hätten sich gegenseitig gestützt, als er versucht habe, den Angeklagten zum Hotel zu bringen. Doch der Angeklagte habe sich gegen seine Hilfe gewehrt und immer wieder um sich geschlagen. Er habe ihn trotzdem begleiten wollen, „weil ich ihn in die Bar mitgebracht hatte“, wie er sagt. „Unmittelbar vor dem Hotel habe ich gemerkt, dass er mit seinen Zähnen an meinem Gesicht war und mich mit den Zähnen gezwickt hat“, sagt der 46-Jährige.

Als er das Blut gesehen habe, sei auch er aggressiver geworden, habe zugeschlagen, den Angeklagten am Kragen gepackt und geschüttelt, später auch auf ihn eingetreten, als er auf dem Boden lag. „Was heißt aggressiv? Ich wollte ihn mehr oder weniger zur Ruhe stellen“, antwortet er auf Nachfrage von Richter Menzel.

Aggression sei natürlich, wenn man voller Blut und das Gesicht zerfetzt sei, sagt der 46-Jährige. Erst als ein Dritter eingegriffen habe, habe er vom Angeklagten abgelassen. Kurz später kamen Polizei und Rettungsdienst. Er rannte weg, aber ein Polizist fing ihn ein.

Nase muss teilamputiert werden

Das Ausmaß seiner Verletzung sei ihm zu diesem Zeitpunkt noch nicht bewusst gewesen, sagt er 46-Jährige. Vor Gericht ist er unruhig, wippt mit den Füßen, es fällt ihm schwer, die Mütze abzunehmen und sein Gesicht zu zeigen. Nach dem Vorfall wurde er in die Uniklinik Ulm gebracht. Die Ärzte versuchten, seine Nasenspitze wieder anzunähen. Sie starb trotzdem ab, ein Stück der Nase wurde amputiert.

Es folgten weitere Operationen, die Nase wurde nach und nach rekonstruiert. Dafür wurde auch Hautgewebe seiner Stirn genommen, Narben blieben. Er habe lange Zeit starke Schmerzen gehabt und auch psychisch mit der Situation zu kämpfen, sagt er. Er spüre die Blicke der Menschen, die die Narben in seinem Gesicht sehen.

Während die Ehefrau des Angeklagten – ebenfalls akkurate Frisur, streng gekleidet – sagt, dass ihr Mann ruhig gewesen sei, als sie ihn nach dem Vorfall wiedersah, beschreibt ihn ein Polizist vor Gericht als „sehr, sehr aufgebracht und enthemmt“. Er sei sehr laut und aggressiv gewesen, habe sich nicht von den Sanitätern helfen lassen, sich immer wieder aufgebäumt.

Als er ihn wegen der Verletzungen fotografierte, habe er ihn beleidigt und ihm den Mittelfinger gezeigt. Der Alkoholtest habe zwei Promille ergeben. Weil er so aggressiv gewesen sei, habe ein Kollege die Sanitäter begleitet, um sie zu schützen. „Sowas machen wir nicht ohne Grund“, sagt der Polizist.

Welche Rolle spielt die Rolex?

Die Frau erwähnt nochmal die Uhr ihres Mannes. Sie habe sie auf dem Boden gefunden, verbogen und „blutbesudelt“, wie sie sagt. Sowohl sie als auch ihr Mann machen Andeutungen, dass der Kellner versucht haben könnte, an die Rolex zu kommen und auch den Geldbeutel gestohlen haben könnte. Für einen Diebstahl sah in der Nacht wiederum der Polizist keinen Anhaltspunkt. Er hatte den Kellner durchsucht und nichts gefunden. Außerdem seien alle Beteiligten so betrunken gewesen, dass er den verschwundenen Geldbeutel als „ganz normalen Verlust“ betrachtet habe.

Der Rechtsanwalt des Angeklagten, Markus Witzmann, zieht in Zweifel, dass sein Mandant die Nasenspitze des Geschädigten abgebissen habe. Er stellt die Frage, ob die Verletzung nicht auch durch eine scharfe Kante an der Uhr verursacht worden sein könnte.

Weil nach wie vor noch Fragen offen sind – Wollte der Geschädigte dem Angeklagten wirklich nur helfen? Wer griff wen an und warum? – unterbricht Richter Bernhard Menzel die Hauptverhandlung. Er hofft, dass weitere Zeugen mit ihren Aussagen Klarheit bringen. Die Verhandlung wird am Montag, 7. November, 10.30 Uhr, am Landgericht Kempten fortgesetzt.