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Leitplanke

Mit Karl Bauer landet niemand in der Leitplanke

Meßkirch / Lesedauer: 5 min

Seit 1982 betreibt der 61-Jährige eine Fahrschule in Meßkirch – Täglich ist er bis spät abends im Einsatz
Veröffentlicht:24.10.2014, 17:15

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Die Fahrschülerin tritt an der Kreuzung fest auf die Bremse, mit einem Ruck bleibt das Auto stehen. „Da bist du jetzt aber ziemlich schnell aufs Stoppschild zugefahren - hast du selbst gemerkt, oder?“ Karl Bauer spricht vom Beifahrersitz aus ganz ruhig mit der jungen Frau, freundlich ist er sowieso - meckern ist nicht sein Stil. Sie guckt, ob die Straße frei ist, und biegt ab. Weiter geht die Fahrt.

Es ist kurz vor 9 Uhr, als Karl Bauer sich an seiner Fahrschule am Feldweg in Meßkirch auf den Weg nach Ringgenbach macht, um die 18-jährige Anika abzuholen. Sie wird an diesem Tag eine von vielen sein, denen er das Autofahren beibringt. Dass er sie direkt vor ihrer Haustür abholt, gehört für ihn zum Service - doch diese Leerfahrt bezahlt ihm niemand. Und sie gehört noch zu den eher kleineren Opfern, die Bauers Beruf so mit sich bringt. „Es muss einem Spaß machen, sonst geht es nicht“, sagt der Fahrlehrer.

Spätestens um 7 Uhr fängt er an zu arbeiten, denn „manche Jugendliche nehmen schon vor der Schule Fahrstunden“. Und so geht es weiter: Den ganzen Tag über reiht sich Fahrstunde an Fahrstunde - bis spät in den Abend hinein, manchmal sogar noch nachts. „Ich komme mit drei bis vier Stunden Schlaf aus“, erzählt Bauer. Wie er das schafft, weiß der gelassene 61-Jährige mit dem freundlichen Lächeln selbst nicht so genau. Seit 35 Jahren macht er das schon so, und seit 1982 hat er seine eigene Fahrschule. Unterstützt wird er vor allem von seiner Frau - außerdem hat er einen fest angestellten sowie drei Aushilfsfahrlehrer im Team.

Während der Fahrt erkundigt er sich bei Anika, wie es ihr so geht und fragt, was es Neues gibt. Der Smalltalk nimmt der Anfängerin die Aufregung, doch zugleich achtet Bauer ganz genau darauf, was sie am Steuer macht. Unwohl fühlt sich Bauer auf dem Beifahrersitz neben seinen Schülern nie: „Ich kann ja eingreifen“, sagt er. Anders sei es bei Motorrad-Fahrschülern. Hinter denen muss er herfahren und sich darauf verlassen, dass sie tun, was er ihnen über Funk sagt. „Da zucke ich in brenzligen Situationen schon manchmal ein bisschen zusammen.“

Einen schlimmen Unfall hat er in all der Zeit aber nur einmal erlebt, 15 Jahre ist das jetzt her. „Wir waren im Dunkeln im Winter von Sigmaringen nach Meßkirch unterwegs, als es plötzlich Blitzeis gab“, erzählt Bauer. Kurz vor Engelswies ist dann einfach ein anderes Auto aus dem Gegenverkehr in seinen Fahrschulwagen hineingerutscht - hinter dessen Lenkrad saß ausgerechnet ein Fahrschüler. „Das war schon heftig. Das Auto war gerade drei Monate alt und hatte einen Totalschaden.“ Normalerweise hält ein Fahrschulwagen schon ein paar Jahre, „auch wenn ich rund 120000 Kilometer im Jahr fahre.“

Doch sein größter Feind sind nicht die anderen Verkehrsteilnehmer, die alles in allem auf Fahrschüler Rücksicht nehmen, wie Bauer sagt. „Sondern die Handys.“ Die Hemmschwelle, eine Fahrstunde kurz vor knapp per SMS abzusagen, sei extrem niedrig. „Früher konnte man mich einfach nicht erreichen, und alle standen pünktlich am vereinbarten Treffpunkt.“ Heute sei das leider anders, was ihn häufig Zeit und Nerven koste - und eben mehr Leerfahrten, mit denen er keinen Cent verdient.

Anika lotst er derweil über Göggingen in Richtung Sigmaringen und muss sie während der Fahrt nur manchmal ein bisschen bremsen. Eine Kurve geht sie etwas zu schnell an, „die Leitplanke kommt bedrohlich nah“, sagt er. „Willst du testen, ob ich aufpasse?“ Als die 18-Jährige am Ortseingang von Sigmaringen über die Donaubrücke fährt, winken dem Fahrlehrer einige Mädchen vom Straßenrand aus fröhlich zu - ehemalige Fahrschülerinnen. „Das ist schön, wenn man noch freundlich gegrüßt wird“, sagt Bauer. Tatsächlich passiert das während der Fahrstunde gleich noch mehrmals. Bauer kennt eben unheimlich viele Leute: Würde man nur nach der Einwohnerzahl Meßkirchs gehen, hätte beinahe jeder bei ihm den Führerschein gemacht. „Jedes Jahr sind es ungefähr 250“, sagt er - insgesamt dürfte er so auf knapp 8000 kommen.

Und genau das macht für ihn auch den Reiz aus: „Ich habe jede Stunde jemand anderen neben mir“, sagt er. „Und mit jedem muss ich auch etwas anders umgehen, um zum Erfolg zu kommen.“ Er schätzt zudem die Vorteile des Landlebens: „Hier ist es viel interessanter als in der Stadt, weil es viel persönlicher ist.“

Wann er aufhört, weiß der 61-Jährige noch nicht. Aber für ihn steht fest, dass er seiner Frau irgendwann auch mal etwas zurückgeben möchte, wie er sagt. „Sie ist fast noch wichtiger als ich. Sie hält mir den Rücken frei und muss so oft auf mich verzichten.“ Doch noch macht ihm sein Job viel Spaß - und seine Schüler scheinen es ihm zu danken. „Aber vor Kurzem hat mir eine Schülerin erzählt, dass schon ihre Großeltern den Führerschein bei mir gemacht haben“, erzählt er. „Da habe ich gedacht, dass es langsam mal Zeit wird.“ Länger darüber nachdenken kann er allerdings nicht: Um kurz vor 10 Uhr hält Bauer wieder vor seiner Fahrschule in Meßkirch - der nächste Schüler wartet schon.