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Zweiter Weltkrieg

Knobloch zwischen streitbarer Demokratin und „Engel“

Bayern / Lesedauer: 4 min

Knobloch zwischen streitbarer Demokratin und „Engel“
Veröffentlicht:30.10.2022, 17:12

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Für Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ist sie eine Versöhnerin und leidenschaftliche, streitbare Demokratin und für Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) «ein wahres Energiebündel». Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) bezeichnet sie gar «eine Art Engel auf Erden». Einen Tag nach ihrem 90. Geburtstag wurde Charlotte Knobloch am Sonntag bei einem Festakt in der Münchner Ohel Jakob-Synagoge gefeiert. «Es ist für mich nicht nur eine Ehre, es ist für mich eine unbandige Freude», bedankte sich die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern (ikg) und ehemalige Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland.

Schauspielerin Maria Furtwängler führte als Moderatorin durch den Abend, den Star-Geigerin Anne-Sophie Mutter musikalisch umrahmte. Unter den Gästen aus Politik, Gesellschaft und Religion waren auch Kunststaatsministerin Claudia Roth, FC-Bayern-Ehrenpräsident Uli Hoeneß samt Bayern-Chef Oliver Kahn.

Dass sie in der Synagoge vom deutschen Staatsoberhaupt gefeiert wird - für die 90-Jährige ein Wunder. Die am 29. Oktober 1932 in München geborene Tochter eines Rechtsanwalts überlebte den Holocaust nur, weil das ehemalige Dienstmädchen Kreszentia Hummel sie in ihr mittelfränkisches Heimatdorf mitnahm und dort als ihre uneheliche Tochter ausgab. Nach dem Zweiten Weltkrieg blieb Knobloch trotz anfänglicher Zweifel, gründete eine Familie und baute die jüdische Gemeinde mit auf. Seit 1985 steht sie an der Spitze der ikg. In der Zeit entstand trotz vieler Schwierigkeiten das jüdische Gemeindezentrum mit Synagoge, Kita, Schule, Museum und vielem mehr.

Trotz ihrer 90 Jahre will sie ihr Amt fortführen. «Solange ich kann, mache ich weiter.» Ihr Ziel sei ein gutes, jüdisches Leben und dass die Menschen sich frei bewegen könnten, «dass nicht die Kippa das Entscheidende ist, sondern der Mensch als solches», sagte sie mit Blick auf zunehmenden Antisemitismus. Der Münchner Rabbiner Shmuel Aharon Brodman nannte sie «the Iron Lady with the golden heart», die eiserne Lady mit dem goldenen Herzen, und Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland , wünschte ihr nach jüdischer Tradition «Mazel tov und zunächst bis 120».

Steinmeier würdigte Knobloch als streitbare Demokratin. Sie scheue klare, deutliche Worte nicht, sei kritisch und auch unbequem. «Sie haben Brücken gebaut über die Abgründe unserer Geschichte hinweg. Und immer haben Sie das Gespräch, den Dialog gesucht für Versöhnung, für ein friedliches, aufgeklärtes Miteinander der Religionen.»

Zugleich rief Steinmeier in Deutschland zum Kampf für demokratische Werte auf. «Wir müssen wehrhafter werden, nach außen ebenso wie nach innen. Wir dürfen nicht zulassen, dass unsere Demokratie und ihre Institutionen geschwächt und ausgehöhlt werden von den Feinden der Demokratie!», sagte er. Sein Blick galt dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine ebenso wie dem Antisemitismus. Es mache ihn zornig, wenn Juden in Deutschland wieder verhöhnt, herabgewürdigt und gewaltsam angegriffen würden. Und es sei deprimierend, dass jüdische Einrichtungen eines immer noch höheren Schutzes bedürften. «Die Stimme gegen Judenhass zu erheben, das ist eben nicht allein Sache der Jüdinnen und Juden in unserem Land. Das ist Sache aller Menschen, die hier leben», forderte der Bundespräsident.

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) bewunderte die Kraft Knoblochs und aller Jüdinnen und Juden zur Vergebung nach den Schrecken des Holocaust. Das sei eines der größten Geschenke, das anderen Mut mache. «Wir können uns nur alle tief verneigen vor Ihnen und allen, die daran mitgewirkt haben.» Seine Worte bewegten die Geehrte. «Sie haben mich heute zur stolzesten und dankbarsten Bayerin gemacht, und ich lasse keinen Zweifel daran: Hier bin ich daheim».

Ihren Geburtstag am Samstag hatte Knobloch mit engen Freunden und Familie verbracht, ihren drei Kindern sowie Enkeln und Urenkeln. «Die letzten drei Tage waren fantastisch», schwärmte sie. Doch ganz so leicht fiel ihr das mit der 90 wohl auch nicht. Ihr Enkel Jonathan habe ihr deshalb einen guten Tipp gegeben, verriet sie: «Oma, lass dich doch nicht schrecken, dreh die erste Zahl einfach um.»

ikg

BR zu Charlotte Knobloch

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