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Neubaupläne des Alpenvereins: Feuer unterm Hüttendach

Kempten / Lesedauer: 6 min

Neubaupläne des Alpenvereins: Feuer unterm Hüttendach
Veröffentlicht:05.04.2013, 10:50

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Bergfreunde im Allgäu treibt es auf die Palme. Sie ereifern sich über den geplanten Neubau von zwei Alpenvereinshütten. „Oh Herr, vergib ihnen. Denn sie wissen nicht, was sie tun“, zitiert Petra Wagner die Bibel, um ihren Unmut zu bändigen.

Die ehemalige Wirtin der Tannheimer Hütte hatte nach langem Disput mit der Eigentümer-Sektion Allgäu-Kempten aufgegeben. Nach ihr die Sintflut? Nein, mit Kritik will sie nicht hinter dem Berg halten: Die alte Hütte niederzureißen sei eine Schande. Ein Stammgast hat unter Bergkameraden bereits 700 Unterschriften gegen den Abriss gesammelt.

Noch emotionaler reagiert der Allgäuer Bergfotograf Franz Hieble wegen der Neubaupläne der Sektion Allgäu-Immenstadt für das Waltenberger-Haus bei Oberstdorf: „Was haben die nur im Kopf? Das ist eine der schönsten Hütten in den Alpen , und so was wollen die aus der Welt schaffen.“ Ein Modell des modernen Funktionsgebäudes, das die vor 138 Jahren auf 2084 Metern bei Oberstdorf mühsam mit Bruchsteinen errichtete Hütte ersetzen soll, erinnere ihn „an einen verirrten Bahnhof am Strand“, schimpft der 73-jährige Bildbandautor. Er kennt die Hütte wie kaum ein zweiter. Sein Schwiegervater war 17 Jahre lang Hüttenwirt auf dem Waltenberger-Haus.

Sanierungsstau

Seit 1978 habe dessen Nachfolgepächter Gerhard Böllmann mehr als 30 Jahre lang fast jede Veränderung an der Hütte verhindert, kontert Matthias Hill , Geschäftsführer der Sektion Allgäu-Immenstadt mit Sitz in Sonthofen, der das Waltenberger-Haus gehört. Dadurch sei ein Sanierungsstau entstanden, der nur durch einen Ersatzbau zu beheben sei, so Hill: „Das ist der gleiche Grund, warum wir heute noch unseren Soli in die ehemalige DDR zahlen.“

Überfällige Sanierungen und verschärfte Auflagen von Behörden setzen den Deutschen Alpenverein ( DAV ) immer öfter unter Druck, wenn auf den 325 vereinseigenen Hütten im Alpenraum und in deutschen Mittelgebirgen bei einem Pächterwechsel eine neue Konzession beantragt werden muss. Das gilt vor allem für hochalpin gelegene Schutzhäuser, die aus den Pionierzeiten des Alpinismus stammen und zumeist über 100 Jahre auf dem Buckel haben. „An vielen Hütten sind umfangreiche Sanierungen nötig. Und in einigen wenigen Fällen eben auch ein Ersatzbau“, erklärt Thomas Bucher, Pressesprecher in der DAV-Bundesgeschäftsstelle in München. So werde auch die Höllentalangerhütte im Wettersteingebirge aus dem Jahr 1893 im kommenden Spätsommer abgerissen und neu aufgebaut. Für das neue Hannoverhaus in den Hohen Tauern, das die Hütte von 1910 ersetzt, sei bereits im vorigen Jahr der Grundstein gelegt worden. Im kommenden Sommer soll weitergebaut werden.

„Gegen Neubaupläne für Hütten in Frankreich und der Schweiz sind unsere noch altbacken“, versichert Sektionsgeschäftsführer Hill in Sonthofen. Sanierung oder Ersatzbau, das ist für ihn aber nicht nur eine architektonische Frage, sondern auch eine Frage des Geldes. Das Waltenberger-Haus bei Oberstdorf verfüge über keine Materialseilbahn. Jeder Baustoff und jedes Werkzeug müsse daher mit dem Hubschrauber auf über 2000 Meter Höhe transportiert werden. Hill: „Da kostet der Kubikmeter umbauten Raums rund 1000 Euro.“

Das Neubauprojekt sei mit insgesamt 2,5 Millionen Euro veranschlagt, davon allein 30 bis 40 Prozent Transportkosten. Das Projekt soll mehrere Probleme lösen: Die sanitären Anlagen sind zu klein, es fehlen ein Lagerraum für Lebensmittel, ein Trockenraum und ein Stauraum für Schuhe, ein Personalzimmer und eine Unterkunft für den Hüttenwirt, der bisher in einer kleinen Zelle untergebracht ist.

Auch der Brandschutz ist dringend verbesserungswürdig. Bisher führt eine alte Holztreppe in einen offenen Schlafraum mit kleinen Fenstern unters Dach. Das Landratsamt habe bei einer Besichtigung anlässlich des Pächterwechsels vor zwei Jahren an dieser Stelle ein Auge zudrücken wollen, erklärt Hill. Man gehe davon aus, dass Bergsteiger bewegliche Leute seien, die im Notfall einen solchen Fluchtweg übers Dach meistern könnten. Aber auf Dauer würden solche Schwachstellen nicht toleriert.

Im Rahmen eines Architektenwettbewerbs wurden dem Alpenverein sechs Modelle vorgelegt. Drei davon integrieren die alte Hütte in ein Erweiterungsgebäude, die drei anderen sehen einen kompletten Neubau vor. Der Sektionsvorstand habe sich für eine der drei Komplettlösungen entschieden, sagt der Geschäftsführer. Dabei seien funktionale Gründe ausschlaggebend gewesen. Die Zahl der bisher 65 Schlafplätze soll nicht aufgestockt werden.

Seit diese Pläne öffentlich bekannt wurden, hagelt es in der Lokalzeitung geharnischte Leserbriefe mit Protesten gegen das Vorhaben. Bergfotograf Franz Hieble ist da nicht allein mit seiner Meinung: „Das wird die Landschaft verändern an einer der schönsten Stellen der Allgäuer Alpen.“ Anstatt der geplanten Holzfertigbauweise müsse es doch möglich sein, für eine moderate Erweiterung wiederum Bruchsteine zu verwenden, wie sie tonnenweise herumliegen. Die öffentliche Resonanz hat die Sektion Allgäu-Immenstadt jetzt dazu veranlasst, alle sechs Modelle in der Öffentlichkeit zu zeigen. Die Ausstellung soll vom 8. bis 19. April in der Sparkasse in Sonthofen zu sehen sein. Danach sollen die mehr als 11000 Mitglieder bei einer außerordentlichen Hauptversammlung am 7. Juni über das Projekt entscheiden.

Die Sektion Allgäu-Kempten geht andere Wege. Für einen Neubau der 1713 Meter hoch über dem Tannheimer Tal zwischen Bad Hindelang (Oberallgäu) und Reutte (Tirol) gelegenen, aus dem Jahr 1886 stammenden Tannheimer Hütte liegt zwar auch eine Reihe von Architektenmodellen vor. Der Sektionsvorsitzende Harald Platz aber favorisiert eine Lösung, die bisher nur auf Papier festgehalten ist. Öffentlich bekannt ist lediglich eine Zeichnung von der Stirnseite der Fassade, die auch auf der Schwäbischen Alb ins Dorfbild passen würde. Ein „unglücklicher Eindruck“, befindet Platz. Die Realität werde viel schöner.

Unterschriftenliste ändert nichts

Der Bagger war voriges Jahr bereits angerückt, als die Baufachleute vor Ort feststellen mussten, dass beim weiteren Aushub einer Grube für das neue Fundament die alte Hütte zusammenbrechen würde, erzählt der Sektionsvorsitzende. Die kommende Sommersaison auf der Tannheimer Hütte soll nun bereits im August enden, um das 1,1 Millionen Euro teure Projekt vollends in Angriff zu nehmen und noch vor dem ersten Schnee in Fertigbauweise winterdicht zu machen. Eine Unterschriftenliste des DAV-Mitglieds Axel Bosch aus Krumbach hat die Sektion nicht umstimmen können. „Auf die erste Liste mit 500 Unterschriften kam gar keine Reaktion. Als es dann 700 Unterschriften für den Erhalt der alten Fassade waren, teilte man uns mit, dass die Entscheidung schweren Herzens gefallen sei, aber da könne man nichts machen.“

Ein weiteres Projekt der Sektion Allgäu-Kempten birgt ebenfalls Streitpotenzial: Weil die Kläranlage auf der 1844 Meter hoch gelegenen Kemptner Hütte zu klein wird, soll ein Abflussrohr an der Materialbahn aufgehängt werden, damit die Hinterlassenschaften der Bergsteiger talwärts fließen können.