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Masernvirus

Prozess um Masernviren: Immun gegen die Moderne

Ravensburg / Lesedauer: 6 min

Ein Impfgegner aus Langenargen lobt 100 000 Euro für den Nachweis von Masernviren aus - Nun kommt es zum Prozess
Veröffentlicht:07.04.2014, 20:10

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Geld gegen Beweise: Der Biologe Stefan Lanka vom Bodensee will jenem 100 000 Euro geben, der beweisen könne, dass es den Masernvirus wirklich gibt. Ein Mediziner hat nach eigenen Angaben die Beweise erbracht – und klagt nun vor dem Landgericht Ravensburg das Geld ein.

Den Krankheitsverlauf des fünfjährigen Jungen schildert ein Arzt aus dem Allgäu so: Erst begann das Kind zu hüsteln, bekam Schnupfen und leichtes Fieber. Die Temperatur klang schnell wieder ab, kein Grund für die Eltern zur Aufregung. Wenig später schoss das Fieber jedoch wieder in die Höhe, rote Pusteln bildeten sich, erst hinter den Ohren, dann im Gesicht. Der Junge litt unter Kopfschmerzen und Hitze, die einsetzende Atemnot wurde immer schlimmer. Ins Krankenhaus eingeliefert, diagnostizierten die Ärzte eine schwere Lungenentzündung, taten was sie noch tun konnten. Vergeblich. Der Fünfjährige starb. An den Folgen von Masern.

Masern zählen zu den „Kinderkrankheiten“. Das klingt niedlich und harmlos, führt aber laut dem Gros der Mediziner nur in die Irre. Sie halten diese Infektionskrankheit für gefährlich und schlimmstenfalls tödlich. Stefan Lanka aus Langenargen am Bodensee ist kein Mediziner, sondern Biologe. Er behauptet: „Ein Masernvirus gibt es gar nicht.“

Gibt es nicht? Das klingt weder niedlich noch harmlos, sondern angesichts moderner Wissenschaft abenteuerlich. Lanka pocht jedoch auf seine Thesen. Am Telefon spricht er höflich und ruhig, versucht wissenschaftliche Zusammenhänge ausführlich zu erklären. Was er über Masern zu sagen hat, klingt jedoch simpel. Die Symptome entstünden infolge einer Entzündung: „Weil es zu einer Vergiftung von außen kommt. Oder einer Vergiftung von innen, was sich über die Haut zeigt. Oder aus psychosomatischen Gründen.“ Eine Kombination aus Psychosomatik und Vergiftung sei auch möglich. Von Vorbeugung hält er nichts: „Impfung ist eine Giftladung.“

Nebenwirkungen nur im Einzelfall

Lanka ist sich seiner Sache sicher. 2011 stellte er einen Aufruf ins Internet: Wer die Existenz des Masernvirus beweisen könne, erhalte 100 000 Euro von ihm. Eine Herausforderung, die der Homburger Mediziner David Bardens nicht ablehnen wollte. Damals noch Student, ließ er sich die Ausschreibung von Lanka schriftlich bestätigen, stöberte in der Uni-Bibliothek, schickte die wissenschaftlichen Dokumente – samt Kontonummer – nach Langenargen. Und wartet seither auf die sechsstellige Summe. Seine Klage auf das Geld wird am Donnerstag vor dem Landgericht Ravensburg verhandelt. An einem Erfolg zweifelt er nicht: „Masern sind bestens erforscht“, sagt der 29-Jährige. „Sogar das Genom (Erbgut eines Lebewesens oder eines Virus, die Red.) ist bis ins Detail entschlüsselt.“

Bardens wurde in seiner medizinischen Ausbildung immer wieder mit Masern konfrontiert, manchmal sehr schmerzhaft. So musste er erleben, wie ein Patient mit 14 Jahren an den Spätfolgen einer Masernerkrankung starb. Das ist nicht ungewöhnlich. Vor allem Kinder, die sich vor dem zweiten Geburtstag mit Masern anstecken, laufen Gefahr, Jahre später an einer Masern-Gehirnentzündung zu erkranken, die tödlich verläuft oder dauerhafte Schäden hinterlassen kann, etwa Krampfanfälle oder Störungen in der Motorik.

„Dabei liefert die Impfung einen wirksamen Schutz, nur im Einzelfall kommt es zu größeren Nebenwirkungen“, sagt Bardens. „Leute wie Lanka oder Impfgegner verunsichern nur die Eltern. Das macht mich traurig.“

Quellen der Verunsicherung gibt es viele. Wer in eine Internetsuchmaschine Masern eingibt, stößt auf unzählige Seiten, die das Impfen verdammen, auf Menschen, die offenbar einen Krieg gegen die Schulmedizin oder zumindest einen Teil von ihr führen. Die der Pharmaindustrie skeptisch bis feindlich gegenüber stehen. Die als Nebenwirkungen einer Impfung Allergien, Immunschwäche und Schlimmeres fürchten, die von fragwürdigen Labortests und Diagnosen sprechen und gerne auf eigene Biografien verweisen („Masern: Haben mir doch auch nicht geschadet!“). Die sagen: „Impfung ist eine Körperverletzung.“

„Das Problem ist: Die Impfdiskussion wird von Laien bestimmt, von Hebammen, von Eltern, von Anderen. Uns Ärzten aber glaubt man nicht“, sagt Frank Kirchner aus dem oberschwäbischen Vogt. Dabei könnte man dem Facharzt für Kinderheilkunde und Jugendmedizin vertrauen. Kirchner ist ausgewiesener Impfexperte, schult seine Kollegen in der Materie, hält Fachvorträge – und ist manchmal fassungslos über die Ignoranz. „In Teilen der Bevölkerung gibt es eine irrationale Angst vor der Wissenschaft“, sagt der Experte. Der auch weiß, wo diese Skepsis besonders groß ist: „Im Süden Deutschlands, in Österreich und in der Schweiz.“

Keine Impfung im reichen Land

Die Statistik belegt seine Aussagen: Der Versorgungsatlas der Kassenärzte weist Rosenheim, Garmisch-Partenkirchen und Bad Tölz-Wolfratshausen als jene Kreise aus mit der geringsten Impfquote in Deutschland, sie liegt dort bei etwa 37 Prozent. Besser als in Bayern, aber auch weit unter dem Bundesschnitt sieht es im Süden Baden-Württembergs aus, etwa im Kreis Ravensburg (77,7 Prozent), Lindau (76,9), Unterallgäu (73,9) oder im Bodenseekreis (80,9). Was für manchen nach viel klingen mag, ist in Wirklichkeit sehr wenig: „Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2015 die Masern auszurotten“, sagt Frank Kirchner. „Dafür wäre aber eine Impfquote von 95 Prozent nötig.“

Erstaunlich: Die WHO kann beachtliche Erfolge vorweisen, weltweit ging die Zahl der Todesfälle durch Masern in den Jahren zwischen 2000 und 2012 von 562 000 pro Jahr auf 122 000 zurück. Sorgen machen der WHO neben Afrika das östliche Mittelmeergebiet und Europa. Darunter Deutschland. Wo sich die Zahl der Krankheitsfälle von 2012 auf 2013 verzehnfacht hat, wo es vergangenes Jahr schwere Masernwellen gab.

„Es ist verrückt“, sagt Frank Kirchner. „Die Afrikaner wehren sich nicht gegen Impfungen, aber es fehlt dort an Geld.“ Im reichen Deutschland dagegen wachse der Widerstand gegen die Vorbeugung. Dazu tragen vermutlich auch Menschen wie Stefan Lanka bei. Über den es zwar in einem Wikipedia-Eintrag heißt: „Im wissenschaftlichen Diskurs wird Lanka nicht beachtet.“ Als promovierter Biologe findet er aber Gehör in der Szene. Obwohl dieser nicht nur die Existenz des Masernvirus leugnet, sondern auch das Aids-Virus und jenes, das die Vogelgrippe auslöst. Der als Autor und Verleger Bücher veröffentlicht mit Titeln wie „Impfen und AIDS: der neue Holocaust" oder „Das Völkerstrafgesetzbuch verlangt die Überwindung der Schulmedizin!“ Titel, die nicht nur den Jungmediziner David Bardens traurig machen dürften. Sollte Bardens den Prozess gegen Lanka gewinnen, will er die 100000 Euro denn auch nicht nehmen, um seine Studienkosten mit einem Schlag zu begleichen. Er will das Geld für eine Impfkampagne in Entwicklungsländern spenden. Auf Widerstand wird er dabei gewiss nicht treffen.

Medizinische Hintergründe zu Masern-Erregern finden Sie unter http://www.schwaebische.de/masern