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Piercing

Leser besuchen Abgeordnete in Berlin

Berlin / Lesedauer: 3 min

Nur bei Syrien sind sich alle einig
Veröffentlicht:05.09.2013, 07:20

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Rote Haare, ein Piercing in der Nase, eines durch die Unterlippe und viel grelle Schminke im Gesicht – so empfängt Agnieszka Brugger die Leser der Schwäbischen Zeitung im Paul-Löbe-Abgeordnetenhaus in Berlin. Etwas skeptisch beäugen sie die junge Frau, die mit ihren 28 Jahren die jüngste weibliche Bundestagsabgeordnete und Direktkandidatin der Grünen aus dem Landkreis Ravensburg ist. Ob die wohl Politik machen kann? Doch nicht nur Brugger muss sich der Gruppe im Parlamentsgebäude des Berliner Regierungsviertels stellen. Neben ihr sitzen Martin Gerster, sportpolitischer Sprecher der SPD und Direktkandidat aus Biberach sowie Ernst Burgbacher , Parlamentarischer Staatssekretär der FDP im Wirtschaftsministerium aus Trossingen. Drei Wochen vor der Wahl, wollen die Leser den Politikern auf den Zahn fühlen.

Und in der Tat: Es geht nicht lange, und die Politiker beginnen eine rege Diskussion. Von der Autobahnmaut über die Mütterrente bis hin zu einem neuen Hilfspaket für Griechenland – es gibt jede Menge Themen, zu denen die drei unterschiedlicher Meinung sind. Beim Thema Arbeit etwa liegt dem Biberacher Gerster die soziale Komponente besonders am Herzen: Auch wenn es stimme, dass die Arbeitslosigkeit abnehme, wie Burgbacher zuvor erwähnt habe, sei Arbeit nicht gleich Arbeit. „Es ist sicher nicht sozial, wenn voll berufstätige Menschen ihre Miete nicht bezahlen können oder Frauen für den gleichen Job deutlich weniger bekommen.“

Streitthema Mindestlohn

Für Gerster steht deshalb die Einführung eines Mindestlohns mit ganz oben auf der Agenda. Burgbacher sieht das anders: „Wir sind gegen einen einheitlich eingeführten Mindestlohn. Wenn die Arbeitgeber nicht mehr selber entscheiden dürfen, führt das nur zu mehr Arbeitslosigkeit.“

Beim Thema Steuererhöhungen wird es für die Gruppe besonders interessant. Bereits in Gesprächen zuvor kam Unmut gegenüber den Plänen der Grünen und der SPD zum Ausdruck. Für die Grünen-Politikerin Brugger kein leichter Stand. „Wir brauchen finanzielle Mittel, um sie in Bereichen wie Arbeit oder Bildung einsetzen zu können. Auch für ökologische Reformen sind sie wichtig, “ so Brugger. Leser Otmar Enter aus Baindt bei Ravensburg sieht das ganz anders: „Sie argumentieren blauäugig“, sagt der Leser. „die Steuererhöhungen treffen nur die Unternehmer“, empört er sich.

Doch auch wenn Brugger bei den Steuern nicht recht punkten kann – ihre Sicht zu Syrien kommt an. Aus menschlicher, solidarischer, aber auch sicherheitspolitischer Sicht seien Sanktionen gegen das Assad-Regime dringend erforderlich. Natürlich könne die internationale Gemeinschaft einen Giftgaseinsatz nicht einfach so dulden. Ein militärischer Angriff sei aber auch keine Lösung. Es sei nun wichtig, China und Russland zur Vernunft zu bringen und im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen einen gemeinsamen Entschluss zu fassen.

Nach einem sehr klaren und überzeugenden Statement der jungen Frau ändern sich die Gesichtsausdrücke der Leser – sie scheint doch Politik machen zu können. Auch Leser Enter nickt anerkennend: „Also reden kann sie, dass muss man ihr lassen.“ Und nicht nur die Leser, auch die zwei anderen Politiker stimmen Brugger zu. Inhaltlich seien sie zwar unterschiedlicher Meinung. „Persönlich mögen wir uns aber“, so Ernst Burgbacher, der bei der Bundestagswahl nicht mehr antreten wird.