StartseiteRegionalBaden-WürttembergKonstanzerin in Syrien: Emanzipation im Dienste Allahs

Emanzipation

Konstanzerin in Syrien: Emanzipation im Dienste Allahs

Konstanz / Lesedauer: 5 min

Auch junge Frauen zieht es als „Gotteskriegerinnen“ in den syrischen Bürgerkrieg – Darunter ist eine 16-jährige Konstanzerin
Veröffentlicht:09.03.2014, 16:35

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Sie war ein ganz normaler Teenager. Eine Muslimin, die in Konstanz das Gymnasium besuchte, beliebt war und beim Baden einen Bikini trug. Doch im November 2013 verschwand die 16-Jährige. Die Eltern, eine Schwäbin und ein Algerier, gingen zur Polizei und gaben eine Vermisstenanzeige auf. Kurz darauf meldete sich die Tochter per Facebook . Sie sei in Syrien und arbeite jetzt für Allah.

Der Verfassungsschutz bestätigt: Die Einträge stammen tatsächlich aus Syrien. Mit gefälschten Papieren, die der Minderjährigen angeblich die Ausreise erlaubten, checkte die Zehntklässlerin – nennen wir sie Samira – am Flughafen Stuttgart ein. Von dort aus flog sie in die Türkei und reiste weiter nach Syrien.

Für die Polizei wäre der Fall damit eigentlich erledigt. „Streng genommen wird sie gar nicht mehr vermisst“, sagt eine Sprecherin der Polizeidirektion Konstanz. „Ihr Aufenthaltsort ist ja bekannt.“ Die Behörden sind dennoch alarmiert. Schon seit einiger Zeit beobachten Verfassungsschützer auf sozialen Netzwerken und dem Videokanal Youtube , dass der „Heilige Krieg“, der Dschihad, für muslimische Frauen an Attraktivität gewinnt. Samira ist nur eine von bundesweit 20 muslimischen Frauen, die Deutschland den Rücken gekehrt haben, um in dem vom Bürgerkrieg zerrütteten Land als „Gotteskriegerin“ tätig zu werden.

Aber warum? Lehrer und Schüler sind fassungslos, die Schulleitung hat sich selbst einen Maulkorb verpasst. Gut, irgendwann kam Samira mit Kopftuch in die Schule. Mitschüler berichten, dass sie sich nach Urlauben bei Verwandten verändert und zunehmend abgeschottet habe. Aber in den „Heiligen Krieg“ ziehen? Das finden alle einfach nur „krass“.

Neben dem Landeskriminalamt hatte sich zeitweise auch der Verfassungsschutz eingeschaltet. Bundesweit sind rund 300 „Gotteskrieger“ ausgereist, darunter rund ein Dutzend Minderjährige. Allein aus Baden-Württemberg sollen sich bereits 20 Personen nach Syrien abgesetzt haben. Fast jeder zehnte der Auswanderer ist eine Frau. Bei Samira scheint es keine gezielte Anwerbung gegeben zu haben. Sie ging offenbar freiwillig. Über Facebook soll sie mit deutschen Islamisten in Syrien Kontakt gehabt haben.

Die Motivation für solche Aktionen erklären sich die Verfassungsschützer mit einer Mischung aus jugendlicher Rebellion, Idealismus und der Suche nach Orientierung. „Mit einem Irokesenschnitt kann man Eltern heute kaum noch schocken“, sagt Benno Köpfer vom Landesverfassungsschutz in Stuttgart . Wenn man sich einen Bart stehen lässt, einen Schleier trägt und einen „Gotteskrieger“ als Schwiegersohn präsentiert, dagegen schon. „Das ist eine Art islamisches Rebellentum“, sagt Köpfer. „Eine Auflehnung gegen das Elternhaus, der Anspruch auf eine eigene Partnerwahl.“ Hinzu kommt eine gute Portion jugendlicher Idealismus, die syrischen Brüder und Schwestern im Kampf gegen den Diktator Assad zu unterstützen. Auf der Suche nach Identität und dem Sinn des Lebens gibt der streng ausgelegte Islam einigen Jugendlichen Orientierung und ein Zusammengehörigkeitsgefühl. Vom Dschihad angezogen werden nicht nur Muslime, zehn Prozent sind Konvertiten, die zum Islam übertraten.

Befeuert wird der Zulauf durch das Internet. Dort schwärmen deutsche Auswanderer von ihren Befreiungskämpfen gegen das Unrechtsregime Assad und es gibt einen regelrechten Heiratsmarkt für „Gotteskrieger“ in den sozialen Netzwerken. Für die deutschen Sicherheitsbehörden ist besonders besorgniserregend, dass die Zahl der Propagandavideos sehr viel größer ist, als während des Irakkrieges. Von deutschen Wohnstuben aus können Jugendliche das grausame Kämpfen miterleben und selbst Hinrichtungsvideos ansehen und mit ihren Freunden teilen – ein Schneeballsystem. Die einschlägigen Seiten in den sozialen Netzwerken haben zum Teil mehrere Tausend Freunde. Hinzu kommt, dass Syrien sehr viel leichter zu erreichen ist als Afghanistan oder der Irak. Die Zahl der Auswanderer liegt daher deutlich höher.

Dabei ist der Dschihad längst keine reine Männerdomäne mehr. Frauen spielen eine wichtige Rolle als Unterstützerinnen, bei der Propaganda und beim Spenden sammeln. Auch hierzulande könne man am Rande von Wohltätigkeitsveranstaltungen für die Syrien-Opfer oder an Info-Tischen in den Fußgängerzonen solche schwarz verschleierten „Gotteskriegerinnen“ sehen, heißt es beim Verfassungsschutz. Strafrechtlich relevant wird das Engagement aber erst bei öffentlichen Dschihad-Aufrufen oder Volksverhetzung.

Vorbilder für die Kämpferinnen Allahs finden sich in der islamischen Geschichte. So soll beispielsweise schon Aischa, die Lieblingsehefrau des Propheten Mohammed, auf dem Schlachtfeld die Kämpfer angefeuert haben. Verfassungsschützer sprechen von Cheerleadern des Dschihad. „Die Frauen sind nicht mehr nur verschleiertes Anhängsel der Männer, sondern selbst Akteurinnen“, sagt Köpfer. „Das gefällt auch den jungen Frauen heute.“

Zurück unter männlichen Schutz

Ganz problemlos lässt sich diese Rolle freilich nicht mit dem traditionellen islamischen Frauenbild in Einklang bringen. Denn eigentlich dürfen streng muslimische Frauen nicht einmal alleine reisen. Doch manchmal drückt Allah offenbar ein Auge zu. Laut salafistischen Rechtsgutachten ist eine Reise zum Dschihad auf eigene Faust auch für Frauen akzeptabel – sofern sie sich danach schnellstmöglich wieder unter männlichen Schutz stellen.

Auch Samira war offenbar nicht lange allein. Per Facebook teilte sie mit, dass sie Anfang Januar geheiratet hat. Trotz aller Dschihad-Romantik – an die große Liebe glauben Verfassungsschützer nicht. Schon eher an eine gezielte Strategie, dass die Frauen schwanger oder mit ihrem Nachwuchs zurück nach Deutschland kommen könnten und ihr „Gotteskrieger“ dann im Zuge der Familienzusammenführung einreist.

Heim ins friedliche Deutschland? Samiras Mitschülerinnen können sich das nicht so recht vorstellen. Zu lange sei sie schon in der Szene gewesen. Und auf Facebook klang Samira von ihrem neuen Leben begeistert. Angeblich gefällt es ihr so gut, dass sie gar nicht mehr zurückkommen will.