Werktag

"Die Arbeit macht mir Spaß"

Tuttlingen / Lesedauer: 10 min

Sybill Storz feiert ihren 75. Geburtstag – Engagement für das Unternehmen, soziale Projekte und Tuttlingen ist ungebrochen
Veröffentlicht:03.06.2012, 18:05

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„Der 4. Juni 2012 ist ein ganz normaler Werktag mit der gewohnt reichlich vorhandenen Arbeit.“ Mit diesem für sie typischen Satz beginnt die Unternehmerin Sybill Storz die Einladung für ihre Geburtstagsfeier: 75 Jahre wird die Geschäftsführende Gesellschafterin der Firma Karl Storz Endoskope am Montag, „ein besonderer Tag“, wie sie einräumt. Unserem Redakteur Ludger Möllers verriet sie, warum sie immer noch jeden Tag in ihrem Unternehmen verbringt, was sie antreibt , wo sie sich engagiert.

SZ : Frau Dr. Storz, mit 75 blicken viele von Ihren Jahrgängerinnen und Jahrgängern auf zehn, 15 Jahre Rente zurück. Werden Sie nicht manchmal nachdenklich und fragen sich: Warum tust du dir das an?

Sybill Storz: Nein, absolut nicht. Warum? Die Arbeit macht mir Spaß und ich tue sie gerne und freiwillig. Ich tue mir somit nur Positives an.

SZ: Was treibt Sie an, wenn Sie morgens auf den neuen Tag schauen?

Sybill Storz: Ich bin neugierig, ich bin gerne mit Menschen zusammen. Ich kann mir jetzt nicht vorstellen, dass ich gemütlich den Tag anfange, eine Stunde frühstücke und dann nicht mehr weiß, was ich mit mir anfangen soll. Solch ein zielloser Zeitablauf wäre schlimm für mich. Natürlich freut man sich manchmal auf einen freien Moment, in dem man irgendwelche Unterhaltung genießen kann, aber man kann ja nicht nur fernsehen oder nicht nur lesen.

SZ: Sie stehen seit 16 Jahren an der Spitze Ihres Unternehmens. Welches waren für Sie die Meilensteine, seitdem Sie in der Verantwortung stehen?

Sybill Storz: Es war einmal die Umstellung. Mein Vater hat mir sehr viel Freiheit gelassen. Ich habe ihn allerdings auch immer sehr präzise informiert über das, was ich gerne machen möchte. Ich habe alle Schritt sorgfältig geplant und meistens nicht dem Zufall überlassen. Ich durfte auch spontan handeln, wenn es die Situation erfordert hat. Aber mein Vater hat gern zugehört – er stand mir mit seinem Rat zu Seite „ich würde es so oder so machen, aber mach du es so, wie du es für richtig findest“, so lauteten oft seine Worte. Und hierdurch hatte ich natürlich eine prächtige Gelegenheit, mich langsam in die große Verantwortung einzufinden. Aber das persönliche Gefühl, wenn man dann für alles, was man tut, schlussendlich alleine verantwortlich ist, ist nochmals anders. Und das ist auch eine Situation, da lernen sie dann die Menschen in ihrem Umfeld wirklich kennen.

SZ: Was ist richtig gut gelungen im Unternehmen?

Sybill Storz: Ich würde sagen: Wir hatten das Glück, dass es uns eigentlich immer gut ging. Auch im Krisenjahr. Da haben wir zwar unsere Geschäftspolitik, unsere Strategie etwas umgestellt. Hierbei hat uns unsere große Flexibilität geholfen. Ich würde sagen, wir hatten kontinuierlich sehr gute Jahre. Und natürlich gibt es Highlights. Aber ich möchte die jetzt nicht besonders erwähnen oder einzeln herausheben, denn bei den vielen Highlights ist die Gefahr groß, etwas Wichtiges zu vergessen.

SZ: Sie haben angekündigt, dass Sie sich zurückziehen wollen. Sie wollen hier im Stammhaus ein Museum eröffnen!

Sybill Storz: Langfristig gesehen, werde ich verschiedene strategische wie operativen Aufgaben geplant und Stück um Stück abgeben, um mich neuen Herausforderungen zu stellen. Eine davon und gleichzeitig ein lang gehegter Wunsch ist der Aufbau eines Museums. Dieses soll in der Mittelstraße entstehen, dem ältesten Standort unserer Firmen, an dem bereits schon mein Opa gearbeitet hat. Wenn der Bereich Logistik und alles, was mit dem Warenfluss zusammenhängt nach Neuhausen umsiedelt, dann ziehen wir mit der Verwaltung von der Mittelstraße ins Gebäude an der Dr. Karl-Storz-Straße. Und dann wird der Platz hier für das Museum frei.

SZ: Können Sie eine Zeitschiene nennen, auf der dieses Projekt umgesetzt werden soll?

Sybill Storz: Der Umzug des Logistikbereichs wird 2013 stattfinden und somit auch alle daran anschließenden weiteren Umzüge. Das Museum wird dann sukzessive im Anschluss konzipiert und umgesetzt werden. Wobei darauf zu verweisen ist, dass der Aufbau des Museums nicht mit der Rückzug aus der Geschäftsleitung gleichzusetzen ist, sondern nur eine Facette hiervon ist.

SZ: Ihr Sohn übernimmt Schritt für Schritt mehr Verantwortung im Unternehmen. In Tuttlingen stellt man sich die spannende Frage, wie es in Ihrem Haus weitergeht.

Sybill Storz: Als Familienbetrieb.

SZ: Und Ihr Sohn will das auch?

Sybill Storz: Ja, das ist schon immer sein Wunsch gewesen. Er verantwortet schon jetzt den Bereich Forschung und Entwicklung,  die technischen Bereiche und teilweise schon die Produktion….

SZ: … so dass der Übergang, wie in der Familie üblich, ein fließender ist.

Sybill Storz: Ja. Es ist ja ungeheuer schwierig, wenn es ein harter Schnitt wird, für alle. Man muss sich eingewöhnen, in die Verantwortung hineinwachsen bzw. strukturiert und vor allem geplant mit neuen Situationen umgehen.

SZ: Ihr Wunsch ist es, dass das Unternehmen in Familienhand ist und bleibt und sich auch so entwickelt?

Sybill Storz: Ja.

SZ: Sie haben bei der Entwicklung Ihrer Firma bewusst darauf verzichtet, die anderen Bereiche von Medizintechnik, also Allgemeinchirurgie, hinzuzunehmen.

Sybill Storz: Das war nie ein Thema.

SZ: Sie haben sich auf Endoskopie konzentriert.

Sybill Storz: Ja, der Bereich ist groß genug.

SZ: Gab es nie den Reiz oder die Frage, zu expandieren?

Sybill Storz: In unserem Bereich sind wir kontinuierlich auf Wachstumskurs und folgen der Philosophie meines Vaters, dem Firmengründer. Das heißt, wir haben 1945 angefangen mit Instrumenten für den Hals-Nase-Ohren-Bereich. Auch da war es schon sehr sichtbar, dass das allgemeine Instrumentarium, das man da braucht, immer das Zubehör für die Endoskopie war. Und das hat sich im Laufe der Jahre entwickelt. Als mein Vater angefangen hat, war ja die Endoskopie im Prinzip nur in der Urologie vertreten. Und ein bisschen im Bereich der Luftwege. Aber ohne optische Systeme. Es war damals nicht weit verbreitet und zählte noch nicht zu den etablierten Verfahren wie es heute der Fall ist. Wir waren in der glücklichen Lage die unterschiedlichen Entwicklungen in verschiedenen Fachbereichen mit führenden Ärzten begleiten zu dürfen.

SZ: Reden wir über Tuttlingen. Sie sind mit Begeisterung Tuttlingerin. Was schätzen Sie an Ihrer Heimatstadt so besonders, Frau Dr. Storz?

Sybill Storz: Ich bin gerne hier. Ich schätze nicht alles, aber ich bin gerne hier.

SZ: Wenn Sie jetzt dem Oberbürgermeister sagen könnten, was Sie nicht schätzen: Was würden Sie ihm dann sagen?

Sybill Storz: Da gibt es wenig. Tuttlingen hat ja das Glück, über die verschiedenen Bürgermeister und Oberbürgermeister, immer sehr weitsichtige Stadtoberhäupter gehabt zu haben. Ich erinnere mich an die Zeit, ich sage das etwas spöttisch, da konnte man im Rinnstein sehen, was in dem Haus auf den Tisch kam. Es gab ja keine Kanalisation. Das war ja früher unüblich. Und wenn ich sehe, was hier alles gemacht worden ist im überschaubaren Zeitrahmen, dann verdient das Respekt. Und Tuttlingen wird immer hübscher. Ich meine, dass die Innenstadt etwas verwaist, das ist allgemein der Trend. Das ist nicht Tuttlingen-spezifisch. Was ich bedaure, ist, dass größere Ketten, seien es Hotel- oder Einkaufsketten, nicht den Weg nach Tuttlingen finden. Entweder sind wir nicht groß genug oder zu nah an einer Landesgrenze, ich weiß nicht, wie die Begründungen sind. Aber für mich sind sie alle mehr oder weniger fadenscheinig.

SZ: Was wünschen Sie sich?

Sybill Storz: Dass hier wieder ein bisschen mehr Leben in die Stadt kommt, auch bessere Einkaufsgelegenheiten.

SZ : Wenn Sie sich etwas zum 75. Geburtstag wünschen dürften: Was würden Sie sich dann für Tuttlingen wünschen?

Sybill Storz: Dass es weiterhin so wächst wie bisher und sich weiterhin so positiv entwickelt.

SZ: Sie haben ja mit Ihrer Firma erheblich zur positiven Entwicklung der Stadt beigetragen. Können Sie nochmals sagen, was Ihre Motive sind? Sie hätten ja auch immer mal wieder verkaufen können, Sie hätten in die Schweiz, ins Ausland gehen können mit dem ganzen Unternehmen. Was sind so Ihre persönlichen Triebfedern, dass Sie hier geblieben sind oder hier bleiben?

Sybill Storz: Ich würde sagen, das sind die Wurzeln des Unternehmens und es sind aber auch die Arbeitskräfte, die wir hier finden. Wir kommen ja aus der Chirurgiemechanik, wobei es heute mittlerweile wieder mal anders heißt. Es gibt immer wieder neue Berufsbezeichnungen für ein altes Handwerk. Wir brauchen die Mitarbeiter hier. Aber das heißt nicht, weil wir hier verwurzelt sind, dass wir nicht offen sind auch für andere Standorte, wobei ich hiermit keinesfalls Billiglohnländer meine. Wir sind noch nie dem Billiglohn nachgefahren, deswegen haben wir auch keine Niederlassungen in den entsprechenden Ländern, sondern wir fuhren den Technologien nach. Die Technologie, die wir hier nicht finden können, aber woanders, diese Regionen sind dann interessant für uns.

SZ: Sie verzichten auf Billigprodukte und meiden Billiglohnländer. Im Gegenteil. Sie zeigen ein großes soziales Engagement. Sie kämpfen beispielsweise in Indien für soziale Gerechtigkeit.

Sybill Storz: Ich mag das Wort von der sozialen Gerechtigkeit nicht, das ist so anspruchsvoll bzw. begrifflich etwas überladen. Wir unterstützen sehr viele Ausbildungsprojekte, insbesondere auch von Kunden von uns, die im Ruhestand sind, und in weniger privilegierten Ländern medizinischen Ausbildung betreiben und vorantreiben. Sehr viele reisen hierfür in diese Länder und organisieren Trainingskurse. Und das unterstützen wir gerne, also die Hilfe zur Selbsthilfe. Indien hat einen anderen Hintergrund. Wir haben ja eine Vertriebsniederlassung in Indien. Ich habe auch seit vielen Jahren gute Kontakte zu indischen Ärzten, die sehr viel arbeiten, um in ländlichen Räumen die medizinische Versorgung zu verbessern. Obwohl schon oft gesehen, habe ich in Indien immer wieder die schlechte Situation von Frauen beobachtet, z.B. eine junge ausgemergelte, schwangere Frau, die ein weiteres Kind auf dem Rücken trug und zwei Geschwister spielten im Sand. Die Frau war im Straßenbau tätig. Und so entstand zuerst eine Idee und dann ein Projekt, die Women‘s Health Initiative für Frauengesundheit, die bislang sehr erfolgreich war.

SZ: Das ist Ihre Initiative?

Sybill Storz: Das war meine Grundidee.

SZ: Wie läuft dieses Projekt konkret:

Sybill Storz: Es läuft mit einer Gruppe Ärzte, die selber ein Interesse daran haben, die gesundheitliche Versorgung im Land und auf dem Land zu verbessern. Das ist uns auch gelungen. Die Ausbildung ist nahezu kostenlos, nicht ganz, denn alles, was man geschenkt bekommt, ist ja oft weniger wert. Das Trainingsangebot ist mit der folgenden Selbstverpflichtung gekoppelt: Die Ärzte bekommen in Indien eine Ausbildung in endoskopischen Anwendungsbereichen, aber sie müssen einen Teil ihrer Arbeitszeit spenden, d.h. in einer ländlichen Gegend Frauen behandeln, die ansonsten keinen Zugang zu einem Arzt hätten. Und die meisten haben sich darauf eingelassen – nur fünf bis zehn Ärzte sind dieser Verpflichtung nicht nachgekommen.

SZ: Wie viele Ärzte haben Sie in diesem Projekt schon ausgebildet?

Sybill Storz: Bislang sind über 700 Ärzte ausgebildet und über 5.000 Patientinnen behandelt worden. Und das entwickelt sich fortlaufend weiter.

SZ: Die ersten 700 Ärzte bilden die nächsten aus?

Sybill Storz: Die Ausbildungsstätten bleiben dieselben. Diese sind mit unserem Equipment und mit Telemedizin ausgestattet und gewähren eine Grundausbildung in der Anwendung endoskopischer Untersuchungsmethoden. Die Zentren sind dann auch untereinander verbunden. Generell wird in diesem Programm aber auch zusätzlich mit dem Train-the-trainer-Konzept gearbeitet, d.h. ausgebildete Ärzte geben ihr Wissen in ihren Krankenhäusern dann auch wieder an Kollegen weiter, um die Vorzüge der Endoskopie in der Breite nutzen zu können.