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Tiefbahnhof

Özdemir: „Wer regiert Deutschland eigentlich?“

Spaichingen / Lesedauer: 3 min

Grünen-Vorsitzender Cem Özedemir bezieht im Redaktionsgespräch Stellung zu Stuttgart 21 und zur Volksabstimmung
Veröffentlicht:17.11.2011, 20:35

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„Wenn wir 2013 einen Verkehrsminister haben, der ein Herz für die Bahn hat, dann verspreche ich, dass ich dabei bin, wenn das Eröffnungs-Band der ausgebauten Gäubahn durchgeschnitten wird“, sagt Cem Özdemir, Bundesvorsitzender von Bündnis 90/die Grünen zum Abschluss des Gesprächs.

Er ist auf Unterstützungstour der Grünen in Sachen Volksabstimmung entlang eben der Trasse, die laut Stuttgart 21-Befürwortern von dem Projekt profitieren soll. Özedemir behauptet das Gegenteil: Das Bahnhofsprojekt stoße schon jetzt so an die im Koalitionsvertrag festgeschriebene 4,5 Milliarden-Grenze, dass es alle anderen Bahnprojekte gerade auch in der Fläche „kannibalisiere“: Rheintalbahn, Gäubahn und andere: „Glauben Sie, dass wir das Geld haben werden für all die schönen Projekte?“

Für Özdemir steht fest, dass die Volksabstimmung zu S 21 die Debatte um das Neubauprojekt nicht beenden wird. Zwar sage der Ministerpräsident, die Landesregierung werde jedes Ergebnis akzeptieren, aber es gelte, die 4,5 Milliarden-Kostenobergrenze. „Das Land wird dazu keinen Cent mehr geben.“ Und die Kosten, so ist sich Özdemir sicher, werde das Projekt nicht einhalten. „Die Rücklagen sind jetzt schon aufgebraucht und wir alle haben schon zu oft erlebt, dass die Bahn ihre Kostenvoranschläge nicht einhält. Die Bundesregierung selbst geht davon aus, dass Projekten im Eisenbahnbau die Anforderungen wie Tunnelbau mit Preissteigerungen von bis zu 60 Prozent zu rechnen ist.“ Er verstehe nicht, dass es sich die Bundes-Parlamentarier gefallen ließen, dass die Bahn keine verlässlichen Zahlen auf den Tisch lege. „Wer regiert Deutschland eigentlich? Ist es ein Manager, der von der Politik ausgesucht wurde, oder die Regierung, die durch das Volk legitimiert ist?“ Er glaube, dass bei einem Bau des Tiefbahnhofs die Bahn darauf spekuliere, dass sich die Bürger scheibchenweise an die steigenden Kosten gewöhnten.

Im Übrigen rechneten die S-21-Befürworter bei der immer wieder genannten Summe von 1,5 Milliarden Ausstiegskosten die für die Schnellbahntrasse Wendlingen-Ulm mit ein. Diese sei aber im Koalitionsvertrag zwischen SPD und Grünen festgeschrieben und nicht umstritten. Außerdem rechneten die Gegner die Grundstückserlöse mit ein. Dabei handle es sich hier nur um eine Rückabwicklung des Geschäfts, was keine Kosten verursache. Das Verkehrsministerium habe Ausstiegskosten von 350 Millionen errechnet.

Er stimme Kritikern zu, die sich vor der Volksabstimmung im Zahlendschungel nicht zurechtfänden. Und auch, dass die Alternativvorschläge zum Kopfbahnhof viel zu spät gekommen seien. „Bürgerbeteiligung muss in der Frühphase eines Großprojekts geschehen. Die vier Grundprinzipen, um ein Projekt mehrheitsfähig zu machen, sollten sein: Transparenz, frühe Beteiligung, Offenheit für Alternativen und Ernstnehmen. Die Schweiz macht es uns vor.“ Im Nachbarland bedankten sich die Politiker bei den Bürgern für ihre Beteiligung, bei uns erschiene sie vielen eher als lästig.

Generell sieht Özdemir durch den Börsengang der Bahn die Prioritäten verschoben: Weg von einer Versorgung der Fläche - hin zu Prestigeprojekten wie S 21 und Transrapid. Es gelte, „die Bahn vor der Bahnspitze zu schützen und die Bahn wieder in ihr Kerngeschäft zurückzubringen - den schnellen, pünktlichen und sauberen Transport der Menschen“.

Bei der Diskussion um den Sinn von S 21 spricht Özdemir von einer „ideologischen Überzeugung“ der Befürworter. Logisch sei es für ihn nicht nachvollziehbar, wie S 21 im Gegensatz zu K 21 als sinnvoll angesehen werden könne. Das Projekt des Tiefbahnhofs sei kein Bahn-, sondern ein Immobilienprojekt, ein Denkmal oder der Versuch das Flugzeug auf die Schiene zu bringen.

Angesprochen auf die Tatsache, dass 2001, als das lange auf Eis liegende Projekt wieder angeschoben wurde, die Grünen mit in der Berliner Regierungsverantwortung waren, sagte Özdemir: Die Grünen seien von Anfang an gegen den Tiefbahnhof gewesen. Hätten sich aber, so räumte er ein, nicht vehement genug dagegen gewehrt.