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Opferschutz

„Ich werde mein Leben lang Opfer bleiben“

Sigmaringen / Lesedauer: 3 min

Ein Gewaltopfer spricht bei der Podiumsdiskussion zum Tag des Opferschutzes im Hofgarten
Veröffentlicht:10.11.2011, 20:40

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„Nach der Tat kam ich mir vollkommen nackt vor“, sagt die Frau. Sie ist vor sechs Jahren Opfer von Gewalt geworden. Am gestrigen Tag des Opferschutzes hat sie sich überwunden, im Hofgarten vor Publikum über die Jahre nach der Tat zu sprechen. Anonym will sie trotzdem bleiben. Zu viel Angst hat sie immer noch vor dem Täter.

Auf die Tat selbst und die Art der Gewalt möchte sie nicht eingehen. Das kennt Joachim Stahl, Direktor des Amtsgerichts Münsingen, aus der Gerichtspraxis. „Opfern von Gewalt, vor allem bei sexuellem Missbrauch, fällt es schwer, die Tatvorgänge im Detail zu beschreiben.“ Wichtig ist ihr, klarzustellen, dass sie nicht sexuell missbraucht wurde. „Aber ich habe Gewalt erfahren und war danach nicht mehr ich selbst.“

Ohne die Unterstützung von Monika Toussaint , die eine Außenstelle des Weißen Rings in Emmendingen leitet, hätte sie wohl nicht so schnell ins normale Leben zurückgefunden. Im Weißen Ring helfen Ehrenamtliche Opfern von Kriminalität und Gewalt, ihre Rechte einzufordern, Behördengänge durchzustehen und psychologische Stabilität zurückzugewinnen. Nach drei Tagen fasst sie Mut

„Ein Freund bei der Polizei hat mir empfohlen, den Weißen Ring zu kontaktieren“, berichtet sie. Obwohl die Zuhörer im Hofgarten schon einen Vortragsmarathon hinter sich haben, sind sie still geworden und hören aufmerksam zu. Obwohl sie bei der Polizei sofort Anzeige erstattet und eine Aussage gemacht hat, brauchte sie drei Tage, um Mut für einen Anruf beim Weißen Ring zu finden. „Dann war ich erleichtert, dass ich nur auf einen Anrufbeantworter sprechen musste.“ Monika Toussaint hat sich sofort bei ihr gemeldet und sie am Tag darauf zu Hause besucht. „Es war so wichtig, dass mich eine Frau betreute“, erinnert sie sich. Sie war Opfer männlicher Gewalt geworden und hätte keinen Mann als Betreuer ertragen.

Bei Monika Toussaint konnte sie zum ersten Mal alles herauslassen, ohne dass ihr Fragen gestellt wurden. „Emotional stand sie mir sofort nah. Ich fühlte mich nach dem Gespräch wie in einer Eierschale, ich wusste, dass ich behütet werde.“ Toussaint half bei Dingen, an die das Opfer gar nicht gedacht hatte. Dazu gehörte neben Arzt- und Behördengängen auch, dass durch das Opferentschädigungsgesetz die Schäden, die ihr Körper davongetragen hatte, aufgefangen wurden.

Verfahren bleibt ihr erspart

Zwei Jahre hat der ganze Prozess gedauert. Währenddessen war Toussaint auch an Wochenenden immer erreichbar. Ein Gerichtsverfahren ist dem Opfer zum Glück erspart geblieben, weil der Täter geständig war.

„Opfer werde ich immer sein“, sagt sie am Schluss. „Aber der Weiße Ring hat mir geholfen, dass ich damit auch leben kann.“ Sie ist eine Frau, der Schlimmes widerfahren ist und deren ständiger Begleiter die Angst geworden ist. Sie hat viel verloren. Aber durch diese Tat auch etwas gewonnen: Ihre Betreuerin ist eine Freundin fürs Leben geworden. „So etwas kommt bestimmt selten vor“, findet auch Monika Toussaint.