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Entgleist: Experte hält S21-Stresstest für unsinnig

Weingarten / Lesedauer: 3 min

Professor der Hochschule Ravensburg-Weingarten präsentiert Forschungsergebnisse
Veröffentlicht:28.07.2011, 19:00

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„Stuttgart 21 besteht Stresstest“. Als diese Nachricht vor rund zehn Tagen durch alle Medien lief, löste sie je nach Gesinnung Freude, Enttäuschung oder Wut aus. Professor Dr. Wilfried Koch von der Hochschule Ravensburg-Weingarten dürfte die Schlagzeile maximal ein Lächeln entlockt haben. Koch ist nämlich seit 15 Jahren Experte für Belastungstests.

Damals begann er mit seinen Studenten, die Software „RegiDisp“ zu entwickeln, die unter anderem die Auswirkungen von Zugverspätungen minimieren soll. Bisher eher auf Bahnlinien in der Provinz angewendet, starteten Koch und seine Studenten zeitgleich mit der Deutschen Bahn einen Stresstest zu Stuttgart 21. Verbunden mit den Fragen: Was passiert, wenn ein Zug verspätet am Bahnhof eintrifft? Wann macht es Sinn, den Anschlusszug warten zu lassen? Wie sind dann die Auswirkungen? Und wann sollte die Bahn den Anschlusszug einfach fahren lassen? Die Hochschüler analysierten auf einer kleinerer Datenbasis als das Megaunternehmen, was aber die Qualität der Untersuchung offenbar nicht schmälerte, denn so Koch: „Wir kommen zu den gleichen Ergebnissen wie die Bahn.“ Soweit so gut.

Koch und sein Team haben genau die selben Parameter für den Test herangezogen wie die Bahn – genau hier liegt der wunde Punkt. „Man kann einen Test natürlich so manipulieren, dass am Ende das gewünschte Ergebnis rauskommt“, sagt der Professor für Software Engineering und künstliche Intelligenz.

So legt der Test zugrunde, dass bei Verspätung der Anschlusszug grundsätzlich nicht wartet. Wer von Ravensburg nach Stuttgart fährt, verpasst schon heute nicht selten den Anschluss in Ulm. Würden die Voraussetzungen des Stresstests zur Wirklichkeit, wären verpasste Züge in Ulm wohl die Regel. „Ich weiß nicht, ob das der richtige Weg ist, die Bahn sollte doch kundenfreundlich sein und den öffentlichen Nahverkehr fördern“, sagt Koch, der selber regelmäßig zwischen Ravensburg und Oberkochen pendelt – und beizeiten in Ulm seinen Anschlusszug verpasst.

Weiterer Kritikpunkt: die zugrundegelegten Zeiten. So geht die Bahn laut Koch bei einer Provinzstrecke von Waiblingen nach Stuttgart von einer Fahrzeit von zwölf Minuten aus für die 15 Kilometer. Die Strecke soll sich im Rahmen von Stuttgart 21 jedoch verlängern und die Züge müssten auf der Kurzstrecke statt wie heute mit 120 Stundenkilometer künftig mit 160 Stundenkilometer fahren. Realistisch? Eher nicht.

Mangelhaft auch die Bahnhofsplanungen: Die Bahn, so Koch, geht von doppelter Gleisbelegung im neuen Hauptbahnhof aus.

Kleinere Züge, weniger Kunden

„Das bedeutet kleinere Züge und damit geringere Kapazitäten für Kunden.“ Und vorprogrammiertes Chaos: „Ich habe es erst am Stuttgarter Bahnhof wieder erlebt. Zwei Züge standen auf einem Gleis. Ein Mann wollte nach München, ist aber in den Zug nach Nürnberg gestiegen“, erzählt Koch.

Bei Doppelbelegungen passieren solche Versehen häufig, schlimmstenfalls steigt der Betroffene in einen Nahverkehrszug und muss 40 Euro Bußgeld wegen Schwarzfahrens abdrücken.

Noch ein Risiko: Die Züge fahren in der falschen Reihenfolge auf dasselbe Gleis – mit Verspätungen als Folge.

Fazit: „Stuttgart 21 macht so wenig Sinn“, sagt Koch. Den Stresstest konnte das Projekt nur auf Basis wenig realistischer oder kundenfeindlicher Parameter bestehen, betont der Informatiker: „Der neue Bahnhof würde in Wirklichkeit auf einer Skala von 1 bis 4 wohl nur eine zwei oder drei bekommen. Für 4,5 Milliarden Euro darf man aber das Optimum erwarten.“