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Pflegeheim

Teilweise erschreckende Zustände in Pflegeheimen

Ravensburg / Lesedauer: 4 min

Heimaufsicht des Landkreises legt Rechenschaftsbericht vor – Mehrzahl arbeitet einwandfrei
Veröffentlicht:17.10.2013, 21:59

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„Erschüttert“ äußert sich Gisela Müller , die SPD-Vertreterin im Sozialausschuss des Kreisparlaments über das Gehörte. Von einer „ungeschminkten“ Darstellung der Lage spricht Landrat Kurt Widmaier. Beider Einschätzungen in der jüngsten Sitzung des Sozialausschusses galten dem Bericht des Leiters des Gesundheitsamtes, Michael Föll, über die Lage von rund 100 Heimen im Landkreis mit ihren mehr als 4000 pflegebedürftigen, physisch kranken oder behinderten Menschen. Dem Landratsamt obliegt die gesetzliche Aufsichtspflicht über Pflegeheime im Kreis Ravensburg.

„In der Mehrheit der Heime wird in der Regel gut gepflegt“, stellte Föll zu Beginn seines Berichts fest. Trotzdem müssten sich die Mitarbeiter der Heimaufsicht in einem „zunehmend schwierigen, durch Begriffe wie Wirtschaftlichkeit und Effizienz geprägten Umfeld bei der Beratung der Träger immer häufiger Diskussionen stellen“. Die Mängelliste der Heimaufsicht umfasst Wohnqualität, Pflege und Hygiene in Heimen sowie deren Struktur.

Standards werden nicht erfüllt

So bestreite beispielsweise ein überregionaler Träger, dass das Schneiden von Zehennägeln zur Pflege gehöre. Ein anderer Betreiber, so fügte Föll hinzu, weigere sich schlicht, anerkannte Standards – sei es hinsichtlich der Hygiene, sei es das gesetzlich geforderte Qualitätsmanagement betreffend – zu erfüllen. Es gebe nur wenige Heime, berichtete der Leiter des Gesundheitsamtes darüber hinaus, in denen die Betreuungsbedürftigen mehr als einmal pro Woche geduscht würden. Und wenn das Aufsichtspersonal nach Alternativen frage (Beispiel: anstelle von Wasser ein anderes Getränk zu reichen), bekomme man von der Heimleitung die Antwort: „Wo steht das?“. Immer wieder, um ein weiteres Beispiel aus der Mängelliste zu nennen, müsse die Heimaufsicht des Gesundheitsamtes einschreiten, wenn Menschen ohne richterlichen Beschluss an Bett oder Rollstuhl gebunden werden.

Das Heimgesetz fordert, dass jedes Heim mindestens einmal im Jahr unter die Lupe genommen werden muss. Mit dem derzeit zur Verfügung stehenden 1,7 Vollzeitbeschäftigen der Heimaufsicht könnten, so versichert Föll, trotz großen persönlichen Einsatzes der Mitarbeiter nur zwei Drittel der Heime besucht werden. Der Landkreis Ravensburg stehe, was die Ausstattung der Heimaufsicht betreffe, im Bereich des Regierungspräsidiums Tübingen, an letzter Stelle, wie Föll wissen ließ.

Mit solch erschreckenden Zuständen in den Heimen hätte Gisela Müller nicht gerechnet. Für sie ist es unverständlich, dass diese Heime aus rechtlicher Sicht nicht genannt werden dürfen. „Sünder gehören ins Internet gestellt“, forderte die Rätin angesichts der Tatsache, dass in eben diesem Medium die Lage der Heime in den buntesten Farben dargestellt werde. Außerdem würden Angehörige sehr viel Geld für die Betreuung von Bedürftigen bezahlen. „Das Geld landet aber an der völlig falschen Stelle. In der Pflege oder bei den Angestellten kommt es jedenfalls sicher nicht an.“

Eva-Maria Meschenmoser, die Stellvertreterin des Landrats, maß der staatlichen Aufgabe der Heimaufsicht eine wichtige Rolle bei und kündigte an, im Personalplan des Landkreises eine zusätzliche Stelle ausgewiesen zu haben, nicht zuletzt deshalb, weil die Anzahl der Pflegebedürftigen größer werde. Außerdem sieht das vom Landeskabinett bereits beschlossene neue Heimgesetz unter anderem die Stärkung des ordnungspolitischen Auftrags der Heimaufsicht und eine abgestufte Einbeziehung bisher nicht überwachter Wohnformen vor. Widmaier gab als personalpolitisches Ziel an, alle Heime erreichen zu können.

„Haben wir überhaupt die Strukturen, die betreuungsbedürftige Menschen brauchen?“, gab Siegfried Spangenberg (Grüne) zu bedenken. Kontrolle sei wichtig, so Spangenberg, doch müsse die Gesellschaft auch dafür sorgen, dass Mitarbeiter der Heime dort auch gerne arbeiten. „Wer verdient denn an diesem Markt?“, fügte der Grüne hinzu. Rolf Engler und Eugen Abler (beide CDU) sprachen sich für die personelle Verstärkung der Heimaufsicht aus. Abler ging wie zuvor Gisela Müller einen Schritt weiter: Missstände sollten öffentlich gemacht werden.

Welche Konsequenzen gibt es, wenn die Heimaufsicht Mängel feststellt, wollte Hans Zimmerer (FWV) wissen. Föll nannte unter anderem die Androhung von Geldstrafen sowie Gerichtsverfahren, „die sich allerdings lange hinausziehen können“. Als „scharfes Schwert“ im Katalog der Gegenmaßnahmen nannte Meschenmoser abschließend die Verhängung von Aufnahmestopps für bemängelte Heime.