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Pflegenotstand

Pflegedienste müssen teilweise Patienten ablehnen

Ravensburg / Lesedauer: 4 min

Viele Einrichtungen können zu Stoßzeiten niemanden mehr aufnehmen – Problem ist mangelndes Personal
Veröffentlicht:12.03.2012, 12:30

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Wer alt, krank und daher auf Hilfe angewiesen ist, hat in Ravensburg ein Problem. Denn der vielbeschworene Pflegenotstand – jetzt ist er wirklich da.

Die meisten der ambulanten Pflegedienste arbeiten auf Anschlag, manche haben schon Aufnahmestopps verhängt. „Ich muss jede Woche zwei bis drei Anfragen ablehnen“, sagt Thomas Elser , Pflegedienstleiter von „Altenpflege Ambulant“. „Ich weiß nicht, was diese Patienten dann machen. Es ist schrecklich.“ Zwei bis drei 50-Prozent-Kräfte würde er jederzeit einstellen. Aber die Nachfrage nach Pflegern sei einfach größer als das Angebot. Patienten, die nicht auf morgendliche oder abendliche Pflege angewiesen, sondern zeitlich flexibel sind, kann Elser noch bedienen, bei allen anderen wird’s schwierig.

Wie „Altenpflege Ambulant“ geht es fast allen Ravensburger Pflegediensten. Rita Welte , Pflegedienstleiterin der AWO-Sozialstation, die sich mit 25 Kollegen um bis zu 115 Patienten kümmert, sagt: „Die Situation ist nicht einfach für die Pflegesuchenden und die Pflegedienste, aber wir versuchen, das beste daraus zu machen.“ Sie bemüht sich, ihren Mitarbeitern, aber auch jedem Interessenten gerecht zu werden und macht bei Anfragen Angebote im Rahmen ihrer Möglichkeiten, zum Beispiel: „Ginge es statt um acht Uhr auch um elf, wenn die Kernzeiten vorbei sind?“ Dadurch kann manchmal eine akzeptable Lösung gefunden werden.

Es gibt zu wenig Bewerber

„Die bestehenden ambulanten Dienste könnten die schwierige Situation durchaus auffangen – wenn es genügend Pflegekräfte gäbe“, meint Welte. Sie würde „mindestens drei Leute“ sofort einstellen. „Aber leider kann ich nicht auf ausreichend Bewerber zurückgreifen.“

Claudia Schnell, Pflegedienstleiterin bei der Sozialstation St. Anna, sagt: „Sie werden zurzeit keine Werbung von uns in der Zeitung finden, höchstens eine Anzeige bei den Stellenangeboten.“ Dem derzeitigen Anfragen-Ansturm könne die Sozialstation kaum nachkommen. „Wir wollen unsere Patienten ja gut versorgen und nicht in die Touren reinquetschen.“ Ihre 60 Pflegekräfte, die insgesamt rund 280 Patienten zu versorgen haben, arbeiten am Limit, viele Uhrzeiten (vor allem morgens und abends) könnten sie nicht mehr anbieten. Je flexibler ein Patient, desto größer die Chance, dass er noch mit versorgt werden kann.

Woran liegt’s, dass das Thema Pflege so an Brisanz gewonnen hat? Nach Ansicht der Experten gibt es dafür eine ganze Reihe von Gründen: Petra Timocin, Pflegedienstleiterin beim Pflegedienst „Alpenland mobil GmbH“, glaubt, der Beruf sei wegen der geringen Bezahlung wenig attraktiv. „Dazu ist die Schweiz nah, wo Pfleger bis zu doppelt so viel verdienen können. Da gibt es viele Grenzgänger.“ In Deutschland zahle ein privater Träger lediglich 2000 bis 2500 Euro Grundgehalt, so Timocin. Dazu käme, dass manche Unternehmen Pfleger nicht auf 100-Prozent-Basis anstellen, sondern nur auf 50- Prozent-Basis, um die morgendlichen und abendlichen Stoßzeiten abfedern zu können. Das halte natürlich auch Interessenten ab. Auch dass so viele Wochenenden durch den Job draufgehen, sei oft schwer vermittelbar.

Thomas Elser von „Altenpflege Ambulant“ dagegen ist der Ansicht, dass durchaus viele Pfleger ausgebildet werden, „aber die Nachfrage ist einfach zu groß, weil heutzutage viele Menschen arbeiten gehen und Pflege weniger innerhalb der Familie geleistet wird“.

Rita Welte von der AWO Sozialstation dagegen meint: „Die Belastung in einem Pflegeberuf ist hoch. Es werden viele Überstunden geleistet, und die Arbeit ist auch körperlich anstrengend. Viele steigen daher nach einer gewissen Zeit aus.“

Dazu käme, so Claudia Schnell (Sozialstation St. Anna), dass die Verweildauer in den Krankenhäusern kürzer geworden sei und es mehr Demenzkranke gebe als früher. Sie befürchtet im übrigen, der Kollaps kommt erst noch: „Ein Viertel unserer 65 Mitarbeiter geht die nächsten zehn Jahre in Rente.“ Es werde zwar bei der Anna-Hilfe viel ausgebildet, „trotzdem kommen die Jungen nicht so massiv nach“.

Immerhin: Bei der SZ-Umfrage zeigte sich auch: Wer lange sucht, findet Pflegedienste, die noch Reserven haben: Petra Timocin („Alpenland“) etwa sagt: „Wir haben eine neue Mitarbeiterin eingestellt, daher können wir noch fünf bis sechs Patienten aufnehmen.“ Habibe Jusufi vom Ambulanten Pflegedienst „Cultus cordis“ gibt ebenfalls an, noch Kapazitäten zu haben. „Wir haben erst im Oktober vergangenen Jahres aufgemacht, daher kennen uns viele noch nicht“, sagt sie. Vermutlich steht ihr Telefon die nächsten Tage nicht mehr still.

Um zusätzliche Pflegekräfte zu gewinnen, veranstaltet das Landratsamt Ravensburg zusammen mit unter anderem der Agentur für Arbeit am Dienstag, 20. März, von 9.30 bis 16 Uhr im Schwörsaal im Waaghaus einen Infotag „Perspektive Pflegeberufe“. Motto: „Einsteigen, umsteigen, wieder einsteigen: Wege in die Altenpflege“. Darin informieren Referenten über Aus-, Fort- und Weiterbildungs- sowie Finanzierungsmöglichkeiten, und Interessenten können ihre Bewerbungsmappe checken lassen. Es geht ums Thema flexible Arbeitszeiten, um die Anerkennung (ausländischer) Berufsabschlüsse, um Tätigkeitsfelder und Arbeitgeber im Landkreis sowie um Kinderbetreuungsangebote. Schirmherr der Veranstaltung ist Landrat Kurt Widmaier. Während des Info-Tags wird auch eine kostenlose Kinderbetreuung angeboten und zwar durch die Kinderbetreuung „SpielRaum“, Marktstraße 7 (Eingang Gespinstmarkt), Telefon: 0160/96252506.