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Erziehungsberatung

Wenn der Blödsinn in der Erziehungsberatung bleibt

Lindau / Lesedauer: 4 min

Bedarf an Hilfe hat sich auf hohem Niveau eingependelt – Stress mit Eltern ist genauso Grund wie seelische Probleme
Veröffentlicht:23.04.2014, 12:20

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Es ist ein guter Platz. Nicht nur, um dort seinen „Blödsinn“ abzulegen. Die Lindauer Erziehungsberatung bietet Raum und Zeit, damit Familien im Alltag zurechtkommen. Mit unterschiedlichen Therapieformen hilft das sechsköpfige Team dem Nachwuchs, aber auch dessen Eltern. Diese Arbeit ist gefragt und wichtig, wie die Jahresbilanz zeigt: Gut 400 Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene hat die Erziehungsberatung im vergangenen Jahr betreut.

Der erwähnte „Blödsinn“ stammt aus dem Mund eines Achtjährigen. Weil der Bub in der Schule häufig Dummheiten angestellt und Streit mit Mitschülern gehabt hatte, war die Mutter schließlich mit ihm zu Erziehungsberatung gegangen.

Zahlreiche Beispiele in der Bilanz zeigen, wie vielfältig die Gründe sind, mit denen Familien in die Erziehungsberatung gehen. Da reagieren Kinder aggressiv auf Trennungen, fallen in der Schule auf, sind überfordert, weil die Eltern viel arbeiten müssen und wenig Zeit für ihren Nachwuchs haben.

Überhaupt: die Zeit. Das ist Chris Wilhelm als neuer Leiterin der Erziehungsberatung in Lindau ein wichtiges Thema. Die tägliche Arbeit zeige ihr, „wie sinnvoll es ist, den Familien, die sich an uns wenden, Zeit zu geben“. Daneben bräuchten die Klienten die Geduld und fachliche Kompetenz des Beraterteams, „um neue, vor allem aber eigene, gute Lösungen für ihre Themen zu finden“, so Wilhelm im Jahresbericht. Was angesichts dicker Terminkalender, zunehmender Ganztagsbetreuung, hohem schulischen Druck und der Vielfalt familiärer Lebensformen oft nicht einfach umzusetzen sei.

„Um Familien kennen- und verstehen zu lernen“, gehen Wilhelm und ihre Kollegen regelmäßig nach draußen, besuchen Schulen, Kindergärten und Hortgruppen. „Eine gute Zusammenarbeit ermöglicht uns, Familien nachhaltig zu begleiten“, stellt die Diplompsychologin fest.

In einer kurzen Zusammenfassung verdeutlichen Zahlen, wie wichtig die Arbeit der Erziehungsberatung ist. Nach einem Rekordhoch mit über 500 betreuten jungen Menschen im Jahr 2011 hat sich die Zahl auf gut 400 Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene eingependelt. Über 900 Stunden lang haben sich die Teammitarbeiter im vergangenen Jahr um den Nachwuchs gekümmert, weitere 860 Stunden lang Eltern und sogenannte familiäre Beziehungspersonen beraten. 400 Stunden investierten die Berater in Sitzungen mit (Teil-)Familien. Und länger als vier Wochen müsse inzwischen keine Familie mehr auf ein erstes Gespräch warten.

Der Tipp, mit seinen Problemen zur Erziehungsberatung zu gehen, kommt in mehr als jedem zweiten Fall aus der eigenen Familie und von früheren Klienten. In 80 Fällen haben zudem Schule oder Hort zu einem Besuch dort geraten.

Ernst nehmen das in jedem Fall die Mütter: Drei Viertel derjenigen, die um einen Termin gebeten haben, waren Frauen. Auch nach Alter sind die 406 Kinder und Jugendlichen im Jahresbericht aufgegliedert: So bereiten die Jungs und Mädchen zwischen neun und siebzehn Jahren am häufigsten Sorgen. Fast jedes zweite der 406 Kinder lebte übrigens nur mit einem seiner zwei Elternteile zusammen.

Den „Blödsinn“ zurückgelassen

Glücklich sind Wilhelm und ihr Team, wenn beide Seiten, Familie und Berater, ihre Zusammenarbeit erfolgreich beenden können, auch, wenn das manchmal länger dauert. Nur fünf Prozent der Ratsuchenden brachen die Therapie vorzeitig ab.

Ein glückliches Ende hat übrigens auch die Geschichte des Blödsinns gefunden: Der Achtjährige habe beschlossen, diesen in der Beratungsstelle zu lassen. „Bei Ihnen kann er bleiben... Sie kennen sich ja gut mit sowas aus, mit Blödsinn und Kindern, die viele Dummheiten machen.“

Träger der Erziehungsberatung Lindau ist die Katholische Jugendfürsorge (KJF), in deren Hände der Landkreis Lindau 2007 dieses Angebot für seine Bürger übergeben hat. Der Kreis finanziert aber immer noch 70 Prozent der Arbeit. Erreichbar ist die psychologische Beratungsstelle für Erziehungs-, Jugend- und Familienberatung, wie die EJV offiziell heißt, in der Ludwig-Kick-Straße 19a unter der Telefonnummer 08382/4190. Informationen zur EJV gibt es zudem im Internet unter www.ejv-lindau.de