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Bewährung

Ausraster bringt 18-Jährigen hinter Gitter

Tettnang / Lesedauer: 3 min

Ausraster bringt 18-Jährigen hinter Gitter
Veröffentlicht:10.11.2011, 20:20

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Zur Bewährung oder nicht, auf diese Frage ist es für einen mittlerweile 18-jährigen Asylbewerber vor dem Amtsgericht Tettnang hinaus gelaufen. Die Mehrzahl, der ihm zur Last gelegten Delikte hatte der Heranwachsende gestanden, der nach dem Jugendstrafrecht be- und verurteilt wurde. Dennoch erhielt er die neun Monate nicht zur Bewährung, darf aber auf die Freilassung im Dezember hoffen.

Der Reihe nach: Der in seiner Heimat im Waisenhaus aufgewachsene Junge flieht mit 15 Jahren und kommt über Italien (wo er nach anderthalb Jahren eine Malerlehre wegen der Abschiebungsandrohung abbricht) und die Schweiz nach Deutschland – nach Karlsruhe, befindet sich hier doch die Landesaufnahmestelle für Flüchtlinge. In einer Shisha-Bar in der Stadt kommt es im April 2010 zu dem Vorfall, wegen dessen der 18-Jährige nun vorgeführt wurde. Dies in Fußfesseln, da er zum Verhandlungstermin im Juni 2011 nicht erschienen war und in der Folge in Haft kam. Die geht mit Drogenentzug einher, der 18-Jährige verdeutlichte, dass er unter Depressionen und Halluzinationen leidet.

Versuchte gefährliche Körperverletzung, gefährliche Körperverletzung, fahrlässige Körperverletzung: All das wurde ihm angelastet und vom Jugendschöffengericht (Vorsitz: Richter Axel Müller ) als erwiesen angesehen. Nach dem „Genuss“ von zwei großen Wodka und zwei Bier – so die Aussage des 18-Jährigen, die der Dolmetscher, wie alles andere auch, mit Souveränität übersetzte – war der junge Mann ausgerastet. Offenbar hatte er sich provoziert gefühlt, da er in der Bar von einem Mann zu homosexuellen Handlungen aufgefordert worden sei – so seine Darstellung, die ein Zeuge bestätigte und der das Gericht folgte.

Was dann genau geschah, konnte auch das Aufgebot von sechs weitgereisten Zeugen nicht in Gänze entwirren. Klar scheint, dass der Angeklagte ein massives Glas auf einen Dritten warf. Der wich aus, das Glas traf einen Unbeteiligten, der gerade zur Tür herein kam. Zudem ging das Gericht davon aus, dass der damals 17-Jährige einen weiteren Mann mit dem Unterbau einer zersplitterten Wasserpfeife an der Hand verletzte.

Wofür sich der Angeklagte in einer Erklärung, die sein Verteidiger verlas, ebenso entschuldigte wie direkt im Gerichtssaal gegenüber einem der Opfer. Des Weiteren räumte er in der Erklärung den zweiten Anklagepunkt ein (Drogenkonsum), stritt aber den dritten ab – den Handel mit Betäubungsmitteln.

Was sich änderte, nachdem die Polizisten ihre Aussage gemacht hatten – und zur dritten Unterbrechung der Verhandlung führte, da der Verteidiger internen Beratungsbedarf sah. An die 15 Verkäufe von Kleinmengen Haschisch und Marihuana, die er in seinem Zimmer im Asylbewerberheim in Kressbronn getätigt haben soll, gab der 18-Jährige zu – was sich im Urteil niederschlug: Nicht nur unerlaubter Erwerb von Betäubungsmitteln (darunter ein Kokaingemisch, das er im Asylbewerberheim in Ravensburg bezog) floss ein, sondern auch das unerlaubte Handel treiben in besagten 15 Fällen. Freilich wertete es das Gericht so, dass er einem Dritten Hilfe leistete beim Verticken von Kleinmengen und hierfür den „Eigenbedarf“ decken durfte.

So weit, so klar, was auch im Strafmaß zu Tage trat: Staatsanwalt wie Verteidiger sprachen in den Plädoyers von neun Monaten. Blieb die Frage „zur Bewährung oder nicht“, bei der das Gericht das Geständnis und die „nicht einfache Lebensgeschichte“ (Müller) des Angeklagten ebenso in die Waagschale warf wie die Aussicht, dass seine Partnerin von ihm ein Kind erwartet. Da aber die Taten als so gravierend angesehen wurden und Fluchtgefahr nicht ausgeschlossen wurde, bleibt der Haftbefehl gültig. Konkret: Da der 18-Jährige schon vier Monate in U-Haft verbracht hat und eine Freilassung nach 150 Tagen rechtlich möglich ist, könnte er im Dezember auf freien Fuß gelangen – entsprechend seiner vom Dolmetscher übermittelten Bitte: „Ich möchte mein Leben ändern. Geben Sie mir eine zweite Chance.“