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Das Antlitz des Friedhofs wandelt sich

Friedrichshafen / Lesedauer: 4 min

Die Nachfrage nach pflegefreien Urnengräbern steigt stetig – Menschen wünschen „Erinnerungspark“
Veröffentlicht:30.10.2012, 16:15

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Auf dem letzten Weg war früher die Richtung klar vorgegeben: Erdbestattung, Sarg und Grabstein – das klassische Programm einer christlichen Beisetzung. Es stand auch völlig außer Frage, dass ein Toter mit geistlichem Beistand zu beerdigen sei, und dass an ihn namentlich erinnert werden müsse. In den vergangenen Jahren setzte jedoch ein radikaler Wandel ein: Die Zahl der Einäscherungen nimmt stetig zu, anonyme Gräber sind angesagt, genauso neuartige Bestattungsformen wie der Friedwald – ein Konzept, das aus der Schweiz eingeführt wurde.

Die Gründe für die Veränderungen bei der Bestattungskultur sind vielschichtig: Bei vielen Verstorbenen sind familiäre Strukturen und soziale Bindungen weggebrochen, oft fehlt das Geld für ein Grab, manche wollen ihren Nachkommen die Grabpflege nicht mehr zumuten. Und: Immer mehr Menschen haben individuelle Vorstellungen für die eigene Ruhestätte. „Menschen trauern heute wie sie wollen, und so bestatten sie auch, fühlen sich keiner Tradition mehr verpflichtet“, erklärt Professor Reiner Sörries in einem Aufsatz für die Homepage des Bistums Münster. Der Direktor des Kasseler Museums für Sepulkralkultur erkennt einen kompletten Mentalitätswandel und stellt folgende These auf: „Je säkularer unsere Gesellschaft wird, desto mehr versuchen die Menschen, ihre posthume Existenz zu regeln. Sie sind es zu Lebzeiten gewohnt, ihr Schicksal in die eigene Hand zu nehmen, warum sollten sie im Todesfall darauf vertrauen, was andere für sie tun?“

Zu bodenständig für Ausgefallenes

Einer, der versucht, bei Trauerfeiern und Begräbnissen individuelle Vorstellungen zu erfüllen, ist, der Häfler Bestattungsunternehmer Peter P. Pohl . Er bestätigt, dass bei der Wahl der Bestattungsart persönliche Überzeugungen, Religion, Lebenseinstellung und finanzielle Erwägungen die entscheidende Rolle spielen. An ganz ausgefallene Wünsche kann sich Pohl aber nicht erinnern. „Dafür sind die Leute hier zu bodenständig“, sagt der Bestatter. Er betont aber auch, dass „wir in alle Richtungen offen sind, sofern es nicht gegen die guten Sitten verstößt oder lächerlich wird“.

Der städtische Friedhof in Friedrichshafen, kurz vor Allerheiligen: Wege und Gräber sind mit Laub übersät, Monika Kostros steht auf einer Wiese, auf der in schöner Unregelmäßigkeit graue, quadratische Granitplatten liegen. „Wir in Friedrichshafen sind den neuen Bedürfnissen schon immer offen gegenüber gestanden“, sagt die Häfler Friedhofsverwalterin. Wer sich bei ihr im Büro ein Faltblatt holt, stellt fest, dass insgesamt 13 Bestattungsmöglichkeiten angeboten werden – vom Reihengrab bis zum muslimischen Grabfeld. Mit dem Urnenhain, über den sie gerade ihren Begleiter führt, könne man, findet sie, glatt „dem Friedwald Konkurrenz machen“. Eingeweiht im September 2007, steige das Interesse am Urnenhain stetig. Dessen größter Vorteil: Grabpflege ist keine mehr vonnöten. Ein Nachteil: Blumen dürfen hier keine abgestellt werden, wenngleich die Friedhofsverwaltung rund um Allerheiligen auch mal ein Auge zudrückt.

Urnenwände werden in Friedrichshafen ebenfalls sehr gut nachgefragt. Die erste, die 2002 aufgestellt wurde und mit ihren 304 Kammern eigentlich für sieben Jahre geplant wurde, war nach vier Jahren komplett belegt. Weil die Wände in Feld 50 (232 Kammern) und Feld 21 (282) ebenfalls ausgebucht sind, werden im nördlichen Bereich des Friedhofs auf Feld 36 sieben neue Urnenwände mit insgesamt 294 Kammern erstellt. „Als ich vor 13 Jahren meine Stelle angetreten habe, gab es bei zehn Sterbefällen acht Erdbestattungen“, erinnert sich Monika Kostros. Heute sei das Verhältnis fast umgekehrt.

Ein Trend sei klar erkennbar: Die Zeiten, in denen die Gräber einen monumentalen Charakter hatten und als Aushängeschild der Familien dienten, sind so ziemlich vorbei. Das Friedhofswesen müsse deshalb mit der Zeit gehen. „Der Friedhof wird immer ein Ort des Rückzugs und der Besinnung bleiben“, ist Monika Kostros überzeugt – allerdings mit verändertem Charakter. „Die Leute wollen nicht, dass alles geordnet und blitzeblank ist. Die Leute wollen, dass sich alles auflockert, dass sie eine parkähnliche Begegnungsstätte bekommen“.

Der Friedhof dürfte wohl auch immer ein Ort des Erinnerung bleiben. Und die wird möglicherweise bald digital unterstützt, denn der Fortschritt in Sachen Kommunikationstechnik macht auch vor dem Jenseits nicht halt. Beim 1. Friedhofsgipfel, den die Verbraucherinitiative Bestattungskultur Aeternitas Ende September in Hamburg veranstaltete, sorgten zwei Steinmetze für Aufsehen. Sie arbeiten gerade daran, QR-Codes in die Grabmalgestaltung zu integrieren, sprich: einzumeißeln. Wenn Smartphone-Nutzer den Code einscannen, werden sie auf Internetseiten geführt, wo es Informationen über den Verstorbenen gibt.

Wer tot ist, muss noch lange nicht offline sein.