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Erwin Müller: Der Rebell von Ulm wahrt sein Schweigen

Ravensburg / Lesedauer: 7 min

Vom Friseur zum Milliardär – Erwin Müller feiert am Sonntag 81. Geburtstag – Gerichtsprozess wird verschoben
Veröffentlicht:07.09.2013, 13:33

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Mit Banken hat Erwin Franz Müller nicht viel Glück: Als 37-Jähriger ging der medienscheue Drogerie-König aus Ulm fast pleite, weil ihm eine Bank sämtliche Kredite kündigte und Müller das Doppelte zurückzahlen sollte.

Bevor der gelernte Friseur ein europaweites Imperium führte, betrieb er 1969 gerade mal eine Handvoll Friseursalons. Kurz nach seiner USA-Reise, in der er sich ein Bild von dortigen SB-Warenhäusern machte, zerstörte ein Brand sein Geschäft in Karlsruhe . Seine Bank ließ ihn hängen. Aus diesem Schlüsselerlebnis zog Müller die Lehre, dass er sich auf nichts und niemanden verlassen dürfte. Um Banken wollte Müller einen großen Bogen machen und Expansionen nur noch aus dem Cash-Flow finanzieren. Tat er aber nicht. Vor ziemlich genau einem Jahr wies Müllers Geschäftsbericht einen Buchverlust von 235 Millionen Euro aus. Müller hatte Kredite in Schweizer Franken aufgenommen, weil diese zu besonders günstigen Zinsen zu haben waren. Aber die Schuldenkrise ließ den Franken gegen über dem Euro steigen. Der Schuss ging nach hinten los.

Jetzt treibt ihm erneut eine Bank Sorgenfalten ins Gesicht. Die Schweizer Privatbank Sarasin hat ihn um 47 Millionen Euro gebracht. Müller glaubt, dass die Bank ihn falsch beraten hat – und verklagte sie. Eigentlich wollte sich das Landgericht Ulm am Montag damit beschäftigen, ob für diese Millionenklage die schweizer oder die deutschen Gerichte zuständig sind. Der Termin wurde jetzt aufgrund der aufwändigen Vorbeeitungen auf den 2. Dezember verschoben.

Lügner oder Esel?

Müller hatte schon im Vorfeld angekündigt, an diesem Termin nicht persönlich teilzunehmen. Alles andere wäre auch eine Sensation gewesen. Erwin Müller schweigt lieber. Er meidet die Öffentlichkeit genauso wie es sein ehemaliger Konkurrent Anton Schlecker aus Ehingen immer getan hat. Der klein gewachsene Mann mit dem großen Konzern mag keine Interviews. Anfragen bleiben meist unbeantwortet. Vieles kam trotzdem ans Licht: unzulässiges Speichern von Gesundheitsdaten der Mitarbeiter, Streit mit seinem einzigen Sohn Reinhard (54) um die richtige Strategie, Niederlage beim Versuch, mit der Parfümerie Douglas ein zweites Standbein aufzubauen. Zuletzt die finanziellen Probleme wegen der Schweizer Franken und jetzt die Anzeige gegen die Bank J. Safra Sarasin.

Müller gilt in der Öffentlichkeit als „großer Unbekannter“. Die einen beschreiben ihn als bodenständigen, bescheidenen, umsichtigen Strategen. Kein Schwätzer, kein Mann der großen Worte. Die anderen halten ihn für einen machtbesessenen, eigenwilligen, hartnäckigen Individualisten, dessen Ära abgelaufen ist.

Fest steht, dass Erwin Müller ein Energiebündel und Schaffer ist. Eigentlich wollte er mit 65 Jahren aufhören. Tat er aber nicht. An seinem 60. Geburtstag sagte er: „Mit 65 Jahren ist Schluss. Und wenn ich dann doch noch ins Büro komme, kann man mich einen Lügner nennen, einen alten Esel, der es nicht lassen kann.“ Am Sonntag feiert Müller nun seinen 81. Geburtstag und regiert noch immer. „Solange ich meinen Flugschein habe, gehe ich auch ins Geschäft“, sagte er 2009 dem Focus . Segelfliegen ist sein großes Hobby. Mehr als zehn Weltrekorde habe er aufgestellt, verriet er im Februar der Mallorca Zeitung. Aber mittlerweile habe er kaum noch Zeit dafür.

Einlochen sollen lieber andere

Dabei wäre er reich genug, um ein ruhiges Rentnerleben zu führen mit seiner zweiten Frau Anita, die er 2006 geheiratet hat und die im Büro für ihn arbeitet. Er könnte in seinem Anwesen im Nordosten Mallorcas weilen, wo er seit 30 Jahren Urlaub macht, und auf dem eigenen Golfplatz mit den Schönen und Reichen Bälle schlagen. Einer Anekdote nach lässt er aber lieber andere einlochen. Der Verleger Hubert Burda fragte einst: „Wollen wir eine Runde golfen?“ Müller: „Tut mir leid, ich spiele kein Golf.“ Burda: „Wie schade, das ist einer der schönsten Plätze der Welt.“ Müller: „Ich weiß. Er gehört mir.“

Mit seinem Vermögen von 1,2 Milliarden Euro könnte Erwin Müller allerdings auf vielerlei Art seinen Lebensabend verbringen. Auf der Liste der 100 reichsten Deutschen steht er auf Platz 94. Aber er kommt nicht zur Ruhe. „Ich arbeite täglich mehr als zwölf Stunden voller Freude in meinem Unternehmen. Der Erfolg des Konzerns gibt mir recht. Ich bin überzeugt, dass Ältere seltener Unternehmen an die Wand fahren als Jüngere“, sagte er 2011 dem Focus.

Als Müller jung war, hat er alles richtig gemacht. Als 15-Jähriger lernte er den Beruf des Friseurs. Mit 20 eröffnete er in der Wohnung seiner Eltern im bayrischen Unterfahlheim bei Ulm einen ersten eigenen Herren-Salon („Salon Müller“). Zwei Jahre später mietete er einen Laden in Neu-Ulm-Offenhausen. Er investierte fortan in Beteiligungen an weiteren Friseurfilialen, in denen er auch Drogerie-Artikel anbot. 1968 sollte Müller seine Läden montags geschlossen lassen. Tat er aber nicht. Er öffnete und brachte die eigene Branche gegen sich auf. Mit diesem „Ulmer Figarostreit“, der seinen Ausschluss aus der Friseur-Innung zur Folge hatte, kam Müller überregional in die Schlagzeilen. Kurze Zeit später eröffnete der „Rebell von Ulm“ weitere Filialen – auch die in Karlsruhe, die 1969 brannte und Müllers Misstrauen gegen Banken auslöste. Er verabschiedete sich aus dem Friseurgeschäft, setzte auf größere Drogeriemärkte und wuchs, wuchs, wuchs.

Müllers Leben ist der amerikanische Traum: In den 1950er-Jahren verdiente er als kleiner Friseur 32 Mark in der Woche und konnte davon keine Familie ernähren. Die erste Million auf seinem Konto hat er gar nicht mitbekommen. Heute – 60 Jahre später – ist er Chef von rund 30000 Mitarbeitern in europaweit 674 Filialen, die 185000 Artikel im Sortiment haben: Drogerie, Multi-Media, Parfümerie, Spiel- und Schreibwaren, Haushaltsartikel, Strümpfe. Das orangefarbene Logo mit dem schwarzen M in der Mitte prangt von Glastempeln in den besten Stadtlagen. Müllers großer Trumpf: Ein großer Teil seiner Filialen ist in eigenen Immobilien untergebracht. Das spart Mietkosten.

Müller hängt an seinem Geschäft, kennt fast jede Filiale. Er hat den Ruf des geizigen Patriarchen, der nicht auffallen und alles im Alleingang machen will. Erwin Müller gilt als typischer schwäbischer Unternehmer. Das ist er aber nicht: Er ist ein Bayer, geboren in München. Auch mit 81 Jahren hält er das Zepter fest in der Hand. Viele Manager hat er vergrault. Sein Sohn Reinhard ist Betriebswirt und war einige Jahre zweiter Geschäftsführer. 2006 setzte ihn sein Vater ab. 2009 schrieb das Handelsblatt, Müller traue seinem Sohn nicht, weil der manches anders machen wollte: frecheres Marketing, kleineres Sortiment, Mitarbeiter auch mal machen lassen. Am Ende wollte sich der Sohn nur noch um die IT kümmern: „Das war ein Bereich, der noch nicht besetzt war. Da hat mir keiner reingeredet“, sagte er der Lebensmittelzeitung.

Einer vom alten Schlag

Im April wurde bekannt, dass der Patriarch sein Imperium nun doch auf die Zeit nach seinem Tod vorbereitet. Dafür hat er einen fünfköpfigen Beirat als Kontrollorgan ins Leben gerufen, dem sein Sohn nun angehört. Der Beirat soll laut Müller die Geschäftsführung überwachen, wenn er einmal nicht mehr selbst die Geschicke der Gruppe lenken kann. „...damit dies während meines Beiseins schon geübt werden kann“, sagte Müller.

Ganz freiwillig geschah dies allerdings nicht. Im Sommer 2012 stand die Müller-Gruppe bei den Banken mit 896 Millionen Euro in der Kreide. Diese verlangten, dass Müller seine Finanzen und seine in- und ausländischen Töchter unter dem Dach der Holding neu ordnet. „Mein Unternehmen ist besser aufgestellt denn je“, sagte Müller jetzt im April.

Das Unternehmen Müller müsse von Erwin Müller befreit werden, sagen Kritiker. Sie meinen, dass er mit seinen einsamen Entscheidungen sein Imperium schwächt und sein Lebenswerk gefährdet. Ohne Zweifel: Müller ist einer vom alten Schlag. Er will am liebsten alles selbst kontrollieren. Manche Unternehmer meinen, es funktioniere genau deshalb.

Erwin Müller (geb. am 8. September 1932) hat im März 1953 mit der Gründung eines Friseursalons den Grundstein für den Drogeriemarkt Müller gelegt, der in diesem Jahr 60 Jahre alt wird. Die Müller Holding Ltd. & Co. KG ist heute ein in London eingetragenes Handelsunternehmen mit Hauptsitz in Ulm. Müller beschäftigt rund 30 000 Mitarbeiter in europaweit 674 Filialen. Im vergangenen Geschäftsjahr (30. Juni 2012) setzte Müller 2,94 Mrd. Euro um und erwirtschaftete einen Jahresüberschuss von 112 Mio. Euro. Die Eigenkapitalquote beträgt 43 Prozent. (tas)