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Frauensprachkurs

Frauensprachkurs soll Integration erleichtern

Ehingen / Lesedauer: 4 min

Viele türkischstämmige Frauen, die schon lange in Ehingen leben, sprechen kein Deutsch
Veröffentlicht:27.01.2014, 18:40

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Es ist für Nesrin ein ganz besonderer Moment. Etwas schüchtern lächelnd steht sie im Klassenzimmer und sagt: „Hallo, ich heiße Nesrin, ich bin 45 Jahre alt, ich habe zwei Kinder und ich spreche Türkisch und ein bisschen Deutsch.“

20 Jahre hat es gebraucht, bis Nesrin diesen Satz sagen konnte. So lange lebt sie schon in Ehingen . 20 Jahre, in denen sie im Supermarkt den Verkäufern keine Frage stellen und nie alleine zum Arzt gehen konnte. Wie viele Frauen wie Nesrin es in Ehingen gibt, weiß keiner. Die Schätzungen reichen von ein paar Dutzend bis zu ein paar Hundert. Laut dem Integrationsbericht 2012 haben 27 Prozent aller Ehinger mit deutschem Pass einen Migrationshintergrund.

Nesrin ist auf dem Papier Deutsche. Doch sie hat nie Fuß gefasst in Ehingen. Bis jetzt. Denn seit Mitte Dezember gibt es ein neues Angebot in Ehingen, das für Frauen wie Nesrin eine Tür öffnet, ihnen die Möglichkeit gibt, endlich dazuzugehören. Und wer Nesrin und die anderen türkischen Frauen in dem Sprachkurs beobachtet, den der Internationale Bund (IB) seit vier Wochen anbietet, merkt schnell, wie froh sie sind, Deutsch zu lernen. Die Köpfe eifrig über ihre Lehrbücher gebeugt, konjugieren sie Verben und üben die deutsche Aussprache. Niemand ist laut, selbst die mitgebrachten Kinder spielen leise vor sich hin. Dilara (Namen der Kursteilnehmerinnen von der Redaktion geändert) wiederholt das Wort „hoch“ so oft, bis es richtig klingt und strahlt über das ganze Gesicht, als ihre Lehrerin zustimmend nickt. Dilara kam vor fünf Jahren aus der Türkei nach Ehingen, sie ist 25 Jahre alt, hat drei kleine Kinder und geht deswegen nicht arbeiten. Als sie in der Moschee von dem Sprachkurs hörte, meldete sie sich sofort an.

Die Lehrerin ist eine von ihnen – darum vertrauen ihr die Frauen

Elife Avcu, die Lehrerin, hat selbst einen türkischen Migrationshintergrund. Einige der Frauen, die nun vor ihr in den schmalen Bankreihen sitzen, kennt sie seit 20 Jahren. Sie selbst kam als junge Frau nach Deutschland, erst nach Ravensburg, dann für ihre Ausbildung zur Zahntechnikerin nach Ehingen.

Damals, erinnert sie sich, habe es für Frauen kaum Möglichkeiten gegeben, Deutsch zu lernen. Einmal die Woche habe die Volkshochschule einen Deutschkurs angeboten – doch die Lehrer waren zum Teil deutsche Männer. Für viele türkische Frauen, sagt sie, sei das damals aufgrund ihrer Kultur eine unüberwindliche Hürde gewesen. Hinzu kam, dass es damals in vielen Familien selbstverständlich war, dass die Frauen daheim blieben, während die Männer arbeiten gingen und dort Deutsch lernten.

Elife Avcu hingegen ist aktives Mitglied der türkischen Gemeinde in Ehingen, „und da kennt fast jeder jeden“, sagt sie. Als die Deutschtürkin hörte, dass der Internationale Bund einen Frauensprachkurs anbieten wollte, bewarb sie sich als Lehrerin. „Für uns ist das ein Glückfall, denn über Frau Avcu erreichen wir Frauen, die bisher noch nie einen Sprachkurs gemacht haben, weil die Hemmschwelle zu groß war“, sagt Erich Hablitzel vom IB.

Der IB bietet verschiedene Sprachkurse an, den Integrationssprachkurs etwa, der für Neuzuwanderer seit ein paar Jahren Pflicht ist. Hablitzel hofft, dass Frauen wie Nesrin oder Dilara nach dem Frauensprachkurs genug Vertrauen in ihre eigenen Fähigkeiten und zum IB gefasst haben, um danach am Integrationssprachkurs teilzunehmen. Denn im Frauensprachkurs werden sie nur das Nötigste lernen, mehr ist in 20 Stunden nicht möglich. Dass sie aber weitermachen, ist extrem wichtig. Denn auch wenn manche von ihnen wahrscheinlich nie arbeiten gehen werden, bleiben sie doch hier. „Diese Frauen sind für ihre Kinder wichtige Vorbilder. Lernen die Frauen Deutsch, werden auch die Kinder sich besser integrieren, einen besseren Schulabschluss erlangen und somit zu echten Mitgliedern der Gesellschaft“, sagt Elife Avcu. Und nur wer integriert sei, könne die Gesellschaft auch stützen. Und Sprache, das weiß sie, ist dabei der Schlüssel zur Teilhabe und Erfolg.

Bleibt die Frage, warum diese Art von Sprachkursen nicht schon vor 20Jahren angeboten wurde. Darauf weiß jedoch keiner der Anwesenden eine Antwort. Dass es diese Kurse nun gibt, sei ein erster Schritt, sind sich alle einig. Allerdings müssen die IB-Mitarbeiter die Gelder dafür jedes Jahr neu beantragen. Die Bewilligung für 2014 steht noch aus.

Der Internationale Bund ist Mitglied in der Lokalen Agenda. Die Projektgelder der diversen Integrationsprojekte des IB stammen vom Land oder Bund.

31 Prozent aller Ehinger(Integrationsbericht 2012) haben einen Migrationshintergrund.