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Aschermittwoch

Politischer Aschermittwoch: Bühne frei für den grünen Landesvater

Biberach / Lesedauer: 5 min

Politischer Aschermittwoch: Bühne frei für den grünen Landesvater
Veröffentlicht:13.02.2013, 21:15

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Der politische Aschermittwoch: Das war mal was ganz Urbayerisches, mit rauchgeschwängerter Luft, mit Hektolitern von Bier, mit Weißwürsten, derben Sprüchen, tosendem Gelächter und Applaus. Und vorne standen gut zwei Zentner CSU, die auf den Namen Franz Josef Strauß hörten. Zwischenzeitlich haben sich die politischen Aschermittwoche wundersam vermehrt, sie sind quasi parteiübergreifend sozialisiert worden – und somit auch ein wenig flacher, ritualisierter, überraschungsärmer geworden. Ja, man weiß in etwa, wer wie auf wen draufdreschen wird, aber die Versammlungen gehören halt zum jährlichen Politikbetrieb.

Die Grünen haben sich vor diversen Jahren das oberschwäbische Biberach ausgesucht. Ob das am Mittwoch der 17. oder der 18. Aschermittwoch war? Die baden-württembergische Landesvorsitzende Thekla Walker kommt auf 18 Treffen, das Plakat hinter ihr verkündet derer 17. Egal. Von rauchgeschwängerter Luft kann in der Biberacher Stadthalle selbstverständlich keine Rede sein, und von den rund 1100 Besuchern gönnen sich vielleicht ein paar Dutzend ein Gerstengetränk. Der Rest labt sich an Mineralwasser und Kaffee.

Schon lange kein Bürgerschreck und Klassenkampf mehr

Landes- und bundespolitische Grünen-Prominenz ist zuhauf vorhanden, und beim Spaziergang durch die Besucherreihen fällt insbesondere auf, dass sich da auch grauhaarige Männer mit Schaufeln von Händen eingefunden haben, die wohl weniger am Laptop und mehr in der Landwirtschaft tätig sind. Und wahrscheinlich haben diese Schaufelhände jahre- wenn nicht jahrzehntelang auf dem Wahlzettel das Kreuz bei der CDU gemacht. So weit ist es also gekommen – müsste sich manch altgedienter Schwarzer voller Gram sagen. Ja, so weit ist es gekommen. Die Grünen geben sich als neu-bürgerliche Partei der Mitte und kommen damit an. Was die Damen und Herren heute dem geneigten Publikum verkünden, das hat mit Bürgerschreck und Klassenkampf in etwa so viel zu tun wie das Lämmchen mit dem bösen Wolf. Thekla Walker , die Landesvorsitzende, hält eine völlig unaufgeregte Rede. Die CDU sitze nach wie vor „auf dem hohen Ross“ und sei damit beschäftigt zu sagen: „Früher war alles besser.“ Der örtliche Bundestagskandidat Eugen Schlachter – er war mal bei der Jungen Union – sieht in den Grünen eine Art Nachfolgeorganisation der Christdemokraten, wenn es um die wahren Werte geht. Seine Rede gerät ihm etwas länglich. Die Parteifreundinnen und -freunde sehen es ihm nach.

Es folgen zwei Bundespolitikerinnen. Renate Künast , die Fraktionsvorsitzende im Bundestag, galoppiert gewohnt routiniert sowie polternd durch fast alle Politikfelder. Bundesumweltminister Peter Altmaier bekommt sein Fett ab („die hohen Strompreise sind nicht mehr zu akzeptieren“), Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer bekommt sein Fett ab („Drehhofer“), Bundesinnenminister Friedrich bekommt sein Fett ab („mit diesem Verfassungsschutz kann man die Verfassung nicht schützen“), und die industrialisierte Landwirtschaft ist Renate Künast ebenfalls ein Dorn im Auge. Unklar bleibt, ob die beiden Wecken mit Schnitzeln, die Landwirtschaftsminister Alexander Bonde gerade für sich und den Kollegen Umweltminister holt, aus ökologischem Anbau stammen. Es scheint aber beiden zu schmecken.

Der Fußball-Vergleich muss sein

Nicht sonderlich inspiriert kommt Katrin Göring-Eckardt rüber. Die Theologin aus Thüringen bildet zusammen mit Jürgen Trittin das grüne Spitzenduo für die Bundestagswahl. Sie macht einen spannenden Ausflug in die Welt des Fußballs. Da lässt ein Torhüter die Bälle abklatschen, dann macht er Rückpässe ins Aus und wird schließlich auch noch ausgebremst. Armer Torwart! Ansonsten ist zu hören, dass die Grünen nach der Wahl für eine komplett gerechte Gesellschaft sorgen wollen, mit Adoptionsrecht für Schwule und Lesben, mit Frauenquote, mit gleichen Chancen für alle. Wie genau dieser Himmel auf Erden eingerichtet werden soll, das ist noch nicht recht klar – aber der Beifall für die Spitzenkadidatin beachtlich.

Und dann sagt eine junge Frau von der grünen Jugend: „Bühne frei für unseren Landesvater!“ Und alle klatschen und jubeln, und der Landesvater zeigt in den folgenden 20 Minuten, warum er der Landesvater und somit das personifizierte Riesenproblem für die Christdemokraten ist. Was Winfried Kretschmann zu sagen hat, das hätte über weite Passagen nämlich ein Erwin Teufel nicht viel anders gesagt. Der grüne Häuptling, der bekanntlich bekennend katholisch ist, überrascht. Er beginnt nämlich mit dem Papstrücktritt („ein epochaler Vorgang“), erwähnt Benedikts Regensburger Rede, in der eine „missverständliche Passage“ herausgegriffen und „skandalisiert“ worden sei – mit der Folge eines Aufruhrs in der islamischen Welt inklusive Todesopfern.

Zurück zu den echten Problemen

Und dann kommt er zu seinem Thema: „Müssen wir immer alles gleich skandalisieren?“, lautet Kretschmanns rhetorische Frage. „Ist es eigentlich so wichtig, was ein Politiker nachts am Tresen loslässt?“, fragt er weiter und nordet damit die von seinen Parteifreundinnen zuvor skandalisierte Brüderle-Sexismus-Debatte ein. Auch die Fußnoten in Annette Schavans Doktorarbeit oder Peer Steinbrücks Vorschläge zum Kanzlergehalt seien kein Anlass zur Skandalisierung.

Winfried Kretschmann mokiert sich über „dauerndes Rummolarisieren in der Politik“ und bittet darum, sich doch mit den echten Problemen der Gegenwart zu beschäftigen. Die Energiewende, der Länderfinanzausgleich, der Streit um die Gemeinschaftsschule: Alles ungeeignet für eine Skandalisierung, sondern Sachthemen, um die gestritten werden soll, die vernünftig gelöst werden müssten. „Der einzige Mist, auf dem nichts wächst, ist der Pessimist“, kalauert oder philosophiert der Ministerpräsident.

Kretschmann hat es gar nicht mehr nötig, auf irgendeinen politischen Gegner einzuhauen. Er scheint über allem banalen Alltagsstreit zu stehen. Er scheint in sich zu ruhen. Am Schluss stehen die Zuhörer auf, und der Beifall will kein Ende nehmen. Landesvater? Das sowieso – aber dieser Grüne mausert sich zu einer Art Staatsoberhaupt aller Baden-Württemberger.