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Katastrophe

Zugunglück war wohl menschliches Versagen

Bayern / Lesedauer: 5 min

Zehn Menschen sterben beim Zusammenprall zweier Nahverkehrszüge in Oberbayern
Veröffentlicht:09.02.2016, 20:24

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Die Ursache für das schwere Zugunglück in Bayern ist nach ersten Ermittlungen „ menschliches Versagen “. Es könnte eine Fehlentscheidung im Stellwerk zu der Katastrophe geführt haben.

Dienstagfrüh. In voller Fahrt rasen zwei Regionalzüge im oberbayerischen Bad Aibling direkt aufeinander zu – auf einer eingleisigen Strecke. Die Züge knallen frontal zusammen. Ein Triebwagen wird aus dem Gleis geworfen, der entgegenkommende bohrt sich in einen Waggon des anderen Zuges, schlitzt ihn auf. Ein Zugteil hat sich zur Seite geneigt, Blechteile ragen in die Höhe. Für zehn Insassen gibt es keine Rettung. Sie können nur noch tot aus den Wracks geborgen werden. Es ist eines der bundesweit schwersten Zugunglücke der vergangenen Jahre.

Sicherheitstechnik hätte Unglück verhindern müssen

Und eine Katastrophe, die Rätsel aufgibt: Eigentlich hätten die beiden „Meridian“-Züge der privaten Bayerischen Oberlandbahn (Bob) auf der Strecke zwischen Kolbermoor und Bad Aibling in Oberbayern am frühen Dienstagmorgen gar nicht mit hoher Geschwindigkeit ineinander krachen dürfen. Das „Punktzugbeeinflussungssystem“ (PZB) hätte das Desaster zuverlässig verhindern müssen.

37 Kilometer eingleisig

Warum es das nicht tat, darüber werden sich in den nächsten Tagen und Wochen Ermittler, Bahntechniker und Gutachter den Kopf zerbrechen. Fest steht bislang nur, dass ein moderner Nahverkehrszug mit dem Ziel Rosenheim den Bahnhof Holzkirchen am Morgen um 6.10 Uhr verließ, ein anderer den Bahnhof Rosenheim in Gegenrichtung um 6.43 Uhr. Die 37 Kilometer lange Strecke verläuft eingleisig. Im Bahnhof Kolbermoor sollten sich beide Züge fahrplanmäßig begegnen.

Fürchterlicher Aufprall

Doch sie taten es mitten auf der Strecke in einer lang gezogenen Kurve. Beide Lokführer konnten den jeweils anderen Zug, der ihnen mit hoher Geschwindigkeit entgegenkam, erst in der letzten Sekunde sehen. 100 Kilometer pro Stunde sind auf diesem Streckenabschnitt zugelassen und werden in der Regel auch gefahren. Der Aufprall musste fürchterlich gewesen sein. „Der eine Zug hat sich förmlich in den anderen hineingebohrt“, sagte Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt ( CSU ), der die Unglücksstelle besuchte.

Den Aufprall überlebten die beiden Lokführer nicht. Mit ihnen starben nach den Informationen vom Dienstagnachmittag acht Fahrgäste. Nach zwei Vermissten wurde zu diesem Zeitpunkt noch gesucht. Von den etwa 150 Passagieren in den beiden „Meridian“-Zügen blieb kaum einer unverletzt: zehn Schwer- und Schwerstverletzte und etwa 90Leichtverletzte wurden von den Rettungskräften geborgen. In einem der Führerstände war nicht nur der Lokführer, sondern mit ihm auch ein „Lehrlokführer“ anwesend, teilte ein Vertreter der Bob mit. Über dessen Schicksal war am Dienstag noch nichts bekannt.

Die Katastrophe hätte noch weitaus größere Ausmaße annehmen können, wenn sie sich nicht gerade am Faschingsdienstag ereignet hätte. Die beiden Zugverbindungen sind als „Schülerzüge“ bekannt. Nur wegen der derzeitigen Faschingsferien waren sie relativ spärlich besetzt, sagte der oberbayerische Polizeipräsident Robert Kopp.

Unglück in hügeligem Waldgebiet

Sonst aber waren die Begleitumstände eines der schwersten Eisenbahnunglücke in Bayern denkbar ungünstig. Die Strecke verläuft in dem Abschnitt zwischen einem hügeligen Waldgebiet und dem kanalisierten Flüsschen Mangfall. Eine mit Rettungswagen befahrbare Straße führt nicht zur Unglücksstelle. Auch die zeitweise bis zu 15 eingesetzten Rettungshubschrauber fanden keinen Landeplatz. Die schwerer Verletzten mussten wie im Hochgebirge aus der Luft mit Seilwinden gerettet werden.

Am schwierigsten gestaltete sich die Bergung der Schwerverletzten aus den vorderen Zugteilen. Teilweise musste schweres Gerät eingesetzt werden. Der Leitende Notarzt Michael Riffelmacher schilderte, dass der Zusammenstoß der beiden Züge enorme Kräfte freigesetzt habe. Dadurch sei es zu extremen Verformungen in den Waggons gekommen.

Dramatischer Rettungseinsatz

„Ich will Ihnen Einzelheiten ersparen“, sagt Riffelmacher, doch von einem Schwerverletzten seien für die Retter zunächst lediglich Gesicht und eine Hand zugänglich gewesen. Feuerwehrmänner befreiten die teils eingeklemmten Opfer in einem mehrstündigen dramatischen Rettungseinsatz.

Andere leichter Verletzte mussten mit Booten über die Mangfall zu Rettungswagen übergesetzt werden. Der Großeinsatz beschäftigte zeitweise 265 Polizeibeamte, 180 Feuerwehrleute, 200 Angehörige der Rettungsdienste und 30 Helfer des Technischen Hilfswerks. Auch das österreichische Bundesland Tirol schickte Hubschrauber und nahm Verletzte auf. Einge der Helfer benötigten nach der Konfrontation mit Toten und Schwerstverletzten selbst Betreuung.

Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) fühlte sich an ein schweres Bahnunglück erinnert, das sich im Jahre 1975 gar nicht weit von Bad Aibling auf der ebenfalls eingleisigen Strecke zwischen Warngau und Schäftlarn ereignete. Bei der Frontalkollision zweier Nahverkehrszüge starben damals 40 Menschen.

Flächendeckende Technik

In den vergangenen mehr als 40Jahren aber hat die Bahnsicherungstechnik gewaltige Fortschritte gemacht. Ein Unfall vor fünf Jahren bei Magdeburg war der Auslöser, alle Bahnstrecken in Deutschland mit der PZB-Technik auszurüsten. Diese soll zuverlässig Züge zwangsbremsen, die auf einem nicht frei gegebenen Gleisabschnitt unterwegs sind. Er sei daher bis zum Dienstag der Überzeugung gewesen, „dass sich so etwas nicht wiederholen kann“, sagte Herrmann.

Warum die PZB-Technik es am Dienstag zwischen Kolbermoor und Bad Aibling nicht tat, bliebt zunächst das große Rätsel. Ein Vertreter der Staatsanwaltschaft Traunstein, die gemeinsam mit Experten des Eisenbahn-Bundesamts (Eba) den Unfall untersucht, wollte nicht spekulieren. Immerhin waren die beiden Züge mit zusammen drei Fahrtenschreibern ausgerüstet. Diese „Blackboxes“ sollen vor allem helfen, die Ursache der Katastrophe zu enträtseln.

Bilder bleiben im Kopf

Am Bad Aiblinger Bahnhof stehen am Abend die Signale auf Rot. An den Fahnen des Rathauses ist ein Trauerflor angebracht. Am Brunnen davor brennen Kerzen. Ja, viele von den Opfern sind aus Bad Aibling, sagt Michael Meyer, der gerade mit seinem Fahrrad an einem Dönerladen hält. Von der Unfallstelle kurz am Ortsausgang geht ein Feuerwehrmann heim. „Seit dem Morgen war ich im Einsatz.“ Grausam seien die Bilder, die er von der Unfallstelle im Kopf habe. Dann will der Mann nur noch seine Ruhe. Dass auf der Straße plötzlich Kinderlachen zu hören ist, wirkt irritierend. Die Kleinen wissen halt nichts, sagt eine Passantin.

Indes packen am Rathaus die letzten Journalisten zusammen. Die Nacht kommt.