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Gipfelstreit

Gipfelstreit in den Alpen

Bayern / Lesedauer: 7 min

Gipfelstreit in den Alpen
Veröffentlicht:03.03.2015, 07:00

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Um die Berge ist ein Kampf entbrannt: Naturschützer und Industrie kämpfen um den richtigen Umgang mit der Tourismuswirtschaft.

Hochgrat. Dienstagabend. Nur wenige Skitourengeher sind heute mit Stirnlampe unterwegs. Kein Restaurant hat heute geöffnet, der traditionelle Skitourenabend im Staufner Haus ist erst am Donnerstag. Also alles ruhig. Andreas und Stephan gehen gemütlich, genießen die sternklare Nacht, in der die Umrisse der Allgäuer und Vorarlberger Berge gut erkennbar sind. Der industrielle Skibetrieb, der andernorts die Berge um diese abendliche Zeit noch immer fest im Griff hat, besteht hier lediglich aus einer eher nostalgisch anmutenden Bahn, die jetzt stillsteht und deren Gondeln im Wind hin- und herschaukeln. Nur wenige Lichter rauben der Nacht ihren Glanz. Es ist ruhig. Sehr ruhig. Fast zwei Stunden hat der Aufstieg gedauert, manche rennen hier in einer Stunde hoch. Am Ende sind alle glücklich – die Schnellen wie die Langsamen. Und alleine das zählt – und zwar nicht nur für die Sportler selbst, sondern auch für die Hütten, Hotels, Einzelhandelsbetriebe und Bergbahnbetreiber in den Alpen. Der zufriedene Gast kommt wieder.

Es geht um sehr viel Geld

Dass der Gast glücklich ist, zählt im Allgäu genauso wie in Südtirol oder in Graubünden, ist in allen Tälern, Orten oder – wie es Neudeutsch heißt – Destinationen in den Alpen überlebensnotwendig. Wer ließe sich in Sulden, im Pitztal, in Galtür, in Laax, Lech, Alta Badia oder Val Thorens schon nieder, wenn nicht bergbegeisterte Naturliebhaber Geld bringen würden? Wer würde dann noch ins elterliche Hotel fünf, zehn oder noch mehr Millionen Euro stecken, damit auch die nächste Generation bleibt, weil sie eine Chance auf ein gutes Auskommen im Tal hat? Während Tourismus in Deutschland weniger als Wirtschaftsbranche denn als öffentliche Aufgabe wahrgenommen wird, ist das Geschäft mit zufriedenen Gästen vor allem in entlegenen Alpentälern oft die bestimmende, wenn nicht sogar die einzige Einnahmequelle. In der professionellen alpinen Tourismuswirtschaft bestimmen deshalb nicht Bürgermeister oder Landräte darüber, ob die neue Tourismusbroschüre des Ortes rot, gelb oder grün ist. Hinter jeder Investition, Werbemaßnahme oder politischen Entscheidung in den Alpen stehen vielmehr mächtige Tourismusverbände, die Interessen von Hotels, Bergbahnen, Restaurants und Reiseanbietern vertreten. Es geht, kurz gesagt, um eine Menge Geld.

Jedes Jahr werden deshalb in den Bergen Hunderte Millionen Euro verbaut. In Bergbahnen, Hotels und öffentliche Infrastrukturmaßnahmen, die allein dem Tourismus dienen, fließen in Regionen wie Tirol, Engadin oder Trentino Unsummen an privatem und öffentlichem Kapital. Umwelt- und Naturschützer – auch aus Deutschland – laufen regelmäßig Sturm gegen die teils massiven Eingriffe in Flora und Fauna. Ob Beschneiungsanlage am Sudelfeld (Bayern) oder Skigebietserweiterung in Ischgl (Tirol) – die deutschen Verbände, allen voran der Deutsche Alpenverein (DAV), sehen ihre Aufgabe inzwischen auch darin, sich alpenweit für den Naturschutz einzusetzen.

Der Umgang mit den Alpen

Dabei wissen sie einen Großteil ihrer Mitglieder hinter sich. Bei manchen Tourenfreunden, die sich ab und an auch auf der Piste wohlfühlen, stößt diese Haltung aber auch auf Kritik. Denn: Nicht nur die Tourismuswirtschaft selbst, auch Wintersportler sind sich in der Frage, wie viel in den Bergen gebaut werden darf, nicht einig. Die einen sagen, es sei besser, einen Großteil der Touristen an ein und demselben Fleck zu halten und die Kapazitäten dort dementsprechend herzustellen. Und sie haben ganz persönlich auch nichts gegen beheizbare Sessellifte, gepflegte Pisten und einen modernen Spa-Bereich im Hotel. Die anderen wiederum argumentieren, dass den Alpen mit jeder Baumaßnahme ein Stück ihrer Seele genommen werde. Und wenn die Tourismuswirtschaft ein Problem damit habe, anderweitig Betten vollzubekommen, soll sie sich eben einen anderen Ort suchen, an dem man Geld verdienen kann.

Die Destinationen beantworten diese Grundsatzfrage zwar nicht, sie stellen sich aber dieser Zerrissenheit ihrer Gäste. Jeder Ort, jedes Tal positioniert sich dort, wo es am besten passt. Da wirbt das Tannheimer Tal mit der Beschaulichkeit abseits großer Skigebiete, das Vinschgau wird zum Bergsportler-Zuhause, das Alpbachtal macht sich zum Tal der Almen, der Wilde Kaiser ist der Inbegriff familienfreundlicher Tiroler Knödel-Gastfreundschaft, der Arlberg ist ein High-Society-Gourmet-Gipfel, St. Moritz war schon immer ein Hort der Reichen und Noch-Reicheren, und das viel diskutierte Ischgl mutiert zum geliebten und verhassten Winter-Mekka für Hedonisten und Event-Junkies.

Dortselbst, im Büro des Tourismusverbandes Paznaun-Ischgl, wo die Event-Planung schon wieder auf Hochtouren läuft, sitzt ein entspannter Geschäftsführer, der sich, auf den zuletzt in den Medien attackierten Weg Ischgls angesprochen, die Aufregung in Deutschland nicht erklären kann. „Der Gast bestimmt das Programm“, sagt Andreas Steibl, der im letzten Jahr heftig Prügel einstecken musste, weil die Gebietserweiterung in Richtung Piz Val Gronda nicht nur Naturschützer auf den Plan rief, sondern auch noch haargenau in das über die Heidelberger Hütte gut erreichbare Tourengebiet in diesem Teil der Silvretta-Gruppe führt und deshalb den Tourengehern in die Suppe spuckt. Aber auch, weil Ischgl und andere Orte wie Sölden, Laax oder Vail sich ganz und gar dem industriell orientierten Massentourismus verschrieben hat, steht der österreichische Branchenprimus aus dem Paznauntal in der Kritik. „Der Gast will heute auch Möglichkeiten, an seine alpinen Grenzen zu stoßen“, verteidigt Steibl die nunmehr ein Jahr zurückliegende Investition in einen Lift, der unzählige Tiefschneehänge auf einen Schlag erobert. „Die Gebietserweiterung war deshalb eine wichtige Ergänzung für uns.“ Die Genehmigung wurde erteilt, die Bahn wurde gebaut. Mehr gibt es dazu nicht zu sagen. Und was die Presse schreibt, kann Steibl egal sein. Erfolg zieht an. Ischgl boomt. Und das ist eine Nachricht, die auch manchen Deutschen freut. Denn: Während die Deutschen als nach wie vor mächtigste Reisenation Europas über ihre ununterbrochene Urlaubslust die indirekten Geldgeber vieler Infrastrukturmaßnahmen in den Alpen sind, verdienen sie nebenbei auch ganz gut am alpinen Geschäft.

Die Firma Kässbohrer aus Laup-heim dominiert die Pisten weltweit mit ihren Hightech-Planiermaschinen der Marke „Pisten-Bully“. Siemens liefert die Antriebstechnik für so gut wie alle Bergbahnen, die im nahen Dornbirn (Vorarlberg) vom weltweit führenden Seilbahnhersteller Doppelmayr hergestellt werden. Auf allen Baustellen in den Bergen entdeckt man Baumaschinen, Baufirmen, Handwerker und Spezialisten aus Deutschland. In den Tourismusbetrieben arbeiten unzählige deutsche Köche, Kellner, Tourismusmanager, Busfahrer oder Bergführer. Und zu guter Letzt sind es deutsche Sportartikelhersteller und Einzelhändler, die vom Outdoor- und Bergsport-Boom am meisten profitieren.

In Zahlen ausgedrückt, spricht die in diesem Winter neu gegründete Initative „Dein Winter – Dein Sport“, die das Thema Wintersport insgesamt in der Bevölkerung wieder positiver besetzen will, von einem Markt mit 120 Millionen Skifahrern weltweit.

Allein in Deutschland gibt es nach Zahlen der Sporthochschule Köln fast zehn Millionen alpine Wintersportler (Snowboard und Skifahrer) sowie noch einmal 2,5 Millionen nordisch Begeisterte. 13 Milliarden Euro geben die deutschen Konsumenten alljährlich für Ausrüstung aus, noch einmal fünf Milliarden Euro fließen in die alpine Urlaubskasse – das ist so viel, wie die Deutschen fürs Tauchen, Bergsteigen, Angeln und Radfahren zusammen ausgeben.

Prominente Botschafter

Es gibt also etwas zu verlieren. Alle Firmen, Bahnen, Destinationen und Verbände, die in der Wintersport-Initiative zusammengefasst sind, wollen deshalb einen Imagewechsel erreichen. Als Botschafter hat die Initiative viele Sportler und Funktionäre gewonnen. Verena Bentele etwa, erfolgreiche Paralympionikin, oder den früheren Rennläufer Markus Wasmeier.

Zurück zum Hochgrat. „Komm, wir fahren“, sagt Stephan, schaltet den Scheinwerfer an seiner Stirn eine Stufe höher und cruist den Berg hinunter.