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Der Kardinal, der Missbrauch und die Missverständnisse

München / Lesedauer: 4 min

Warum der Münchner Erzbischof Marx und der Verbrechensforscher Pfeiffer nicht mehr zusammenarbeiten
Veröffentlicht:12.01.2013, 11:35

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Drei Tage lang hat der Münchner Erzbischof zu den Vorwürfen geschwiegen, dass zuvorderst bayerische Diözesen auf die Ermittlungsarbeit zum Kindsmissbrauch durch katholische Amts- und Würdenträger Einfluss nehmen oder gar Zensur ausüben wollten. Gestern nun hat Reinhard Kardinal Marx dem Kriminologen Professor Christian Pfeiffer energisch widersprochen: Es gehe nicht um Zensur, sondern um die Fürsorgepflicht, die ein Bischof auch für seine Priester trage.

Dem Münchner Kardinal nachzusagen, dass er zu nachgiebig sei, wenn nachgeordnete Geistliche über die Stränge schlagen, wäre ein grobe Unwahrheit: Nicht wenige Ehemalige des berühmten Benediktiner-Internats von Kloster Ettal tragen dem Erzbischof bis heute nach, dass er vor bald drei Jahren mit eisernem Besen durch die Abtei kehren ließ, als dort die ersten Missbrauchsvorwürfe bekannt wurden. Der Ettaler Abt Barnabas Bögle und Prior Maurus Kraß als Schulleiter legten unter massivem Druck aus München ihre Ämter nieder. Abtprimas Notker Wolf als ranghöchster Benediktiner protestierte öffentlich und vergeblich. Der Vatikan schickte einen Apostolischen Visitator, der dann feststellte, dass den Ettaler Ordensoberen nichts vorzuwerfen sei. Die Patres Barnabas und Maurus kehrten rehabilitiert zurück in ihre Ämter.

Jene Patres, die sich versündigt hatten, waren zum Beginn der Ermittlungen schon tot oder aus dem Kloster entfernt. Andere, auch Unbescholtene, gerieten in Verdacht. Das Verhältnis zwischen den Benediktinern und dem Münchner Ortsbischof darf bis heute als belastet gelten. Versöhnliche im Bistum versuchen die Erklärung, dass dem Münchner Erzbischof die Ettaler Erfahrung in den Knochen sitze, wenn er nun ein Mindestmaß an Diskretion im Umgang mit verdächtigen Kirchenmännern durchsetzen will: Es ist zwar bisher eher selten, dass sich Missbrauchsvorwürfe nicht bestätigten, aber es kam vor.

Die offizielle Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz

„Fürsorgepflicht“, sagte Marx gestern, bestehe aber auch gegenüber Verdächtigten, auch gegenüber Toten – und gegenüber deren Familien. Dass der Bruch mit Professor Pfeiffer und seinem Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen auch auf sein Konto geht, bestreitet Marx nicht. Ansonsten gilt die offizielle Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz : „Das Vertrauensverhältnis zwischen dem Direktor des Instituts und den deutschen Bischöfen ist zerrüttet.“

Pfeiffer, der schon mal SPD-Justizminister in Niedersachsen war, sollte für die Bischöfe das ganze Ausmaß der Missbrauchsfälle untersuchen und hierzu nahezu unbegrenzten Zugang zu allen Akten in den Diözesen erhalten. „Das Ziel, belastbare Daten zur Häufigkeit des Missbrauchs zu erhalten,“ heißt es im Vertrag zwischen den Diözesen und dem Professor, „lässt sich nur realisieren, wenn uns die Diözesen und männlichen Ordensgemeinschaften die Möglichkeit bieten, für den jeweiligen Untersuchungszeitraum alle Personalakten in die Datenerhebung einzubeziehen.“

Daran hapert es, sagt Pfeiffer nun, beklagt Einmischung und Zensurversuche. Und die Bischofskonferenz keilt zurück: „Das Kommunikationsverhalten von Professor Pfeiffer gegenüber den kirchlichen Verantwortungsträgern hat aber leider einer weiteren konstruktiven Zusammenarbeit jede Vertrauensgrundlage entzogen.“

Verfall bis in die Aktenführung

Wahr ist wohl, dass mit dem Pfeiffer-Institut KFN (Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen) Mitwirkungsrechte der Bischöfe über einen Beirat vereinbart waren, wenn man so will, sogar ein gewisser Zensurvorbehalt: „Jeder Textentwurf (...) wird zunächst dem Beirat zugeleitet. Er erhält Gelegenheit, gemeinsam mit den Autoren den Text zu erörtern. (...) Nach der Stellungnahme des Projektbeirats erarbeitet das KFN die Endfassung und leitet diese für eine letzte Durchsicht dem Beirat zu.“ Wahr ist auch, dass Pfeiffer in besseren Zeiten das Münchner Ordinariat für seinen Aufklärungswillen lobte: Im Münchner Erzbistum habe die von Kardinal Marx beauftragte Anwältin Marion Westphal bei freier Akteneinsicht neunmal mehr Missbrauchsfälle ans Licht gebracht als dem Missbrauchsbeauftragten der Diözese bekannt waren.

Kardinal Marx war es auch, der früh öffentlich bekannt hat, dass es Vertuschung gab, dass Akten bergeweise verschwunden und in Privatwohnungen von Ordinariatsmitarbeitern ausgelagert waren: „Die Erfahrungen zeigen eben, dass ein Verfall der kirchlichen Verwaltung bis in die Aktenführung hinein, eine Missachtung des Kirchenrechts und der Disziplin und eine Vernachlässigung der Qualitätskontrolle zu außerordentlich unerwünschten Folgen führen,“ sagte der Erzbischof im Februar 2011 beim Kongress „Auf dem Weg zu Heilung und Erneuerung.“