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Raubtier

Das wurde aus der Tragödie um Problembär Bruno

Bayern / Lesedauer: 5 min

Vor zehn Jahren wurde der Bär erstmals in hiesigen Gefilden gesichtet und wenig später erschossen
Veröffentlicht:20.05.2016, 17:28

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„Der Bär ist in Bayern willkommen“, sagte der damalige Umweltminister Werner Schnappauf zur Begrüßung des Raubtiers . Das war wohl ehrlich gemeint. Und ganz im Sinne der meisten Bürger. Der Freistaat erlebte einen regelrechten Bruno -Boom. Und richtig Angst hatte zunächst eigentlich kaum jemand.

Zum Verhängnis wurde dem mit 110 Kilogramm Lebendgewicht noch recht kleinen Bären letztlich sein so gar nicht scheues Wesen. Er trollte am hellen Tag über belebte Wanderwege. Er knackte Hühnerställe, während gleich nebenan die Bauersleute schliefen. Und er verfolgte auch mal ein Rudel Mountainbiker, die ihm zuvor eine kleine Ewigkeit lang aus Neugier und Begeisterung immer näher auf den Pelz gerückt waren.

Und so kam die Sache auf Edmund Stoiber zu. Der war seinerzeit Ministerpräsident in Bayern und – zunächst – ebenfalls recht angetan vom Bären. Bis Bruno immer noch aufdringlicher wurde und der Regierungschef die bis heute unvergessene „Problembär-Rede“ hielt. Stoiber musste zwar ziemlich viel stottern, aber die Kernbotschaft war unmissverständlich: „Es ist ganz klar, dass dieser Bär ein Problembär ist, und da gibt es nur die Lösung, ihn zu beseitigen.“

Berüchtigte Familie

Da ging es nicht mehr um zwei Dutzend tote Schafe und zerstörte Bienenstöcke. Es ging um die schiere Angst. Auch deshalb, weil sich schnell bis nach Bayern herumgesprochen hatte, dass Bruno aus einer ziemlich berüchtigten Familie stammte. Im norditalienischen Trentino-Nationalpark waren Mutter „Jurka“ und ihr Nachwuchs längst wegen ausgeprägt geringer Menschenscheu bekannt. Dort, im Naturpark Adamello wurden in den Jahren von 1999 bis 2002 insgesamt zehn Braunbären aus Slowenien ausgewildert. Ein internationales Projekt, bei dem viel (Spenden)geld im Spiel war. Das sorgte für Gerüchte, dass die Slowenen womöglich auch den einen oder anderen halbzahmen Bären geliefert hätten.

Besser belegt sind Erzählungen, dass Bruno und seine Geschwister bereits in ihrer italienischen Heimat aufgefallen waren. Es gab schon dort Versuche, die neugierigen Bärchen und ihre Mama zu vergrämen. Mit Silvester-Krachern und mit Gummischrot-Gewehren, deren Projektile so gemein schmerzen, dass ihr Einsatz gegen Menschen international geächtet ist. So was kann wohl nicht nur Bären böse machen.

Sei’s drum: Nach dem Winterschlaf 2005/2006 machten sich die Jungbären auf die Suche nach einem eigenen Revier und streiften weiträumig durchs nördliche Alpenland. Kenner registrierten, dass sie sich dabei an die Regeln ihrer Mutter hielten. Auch daran, einen Tatort nie ein zweites Mal aufzusuchen. Das erschwerte die bayerischen Versuche, Bruno mit einer aus Kanada importierten Falle lebendig einzufangen. Das kannte er wohl schon.

Nicht diskutiert wurde seinerzeit in der breiten Öffentlichkeit über Sinn und Unsinn solcher Auswilderungsaktionen.

Sie sind letztlich eine Folge fehlender Geduld, denn der Königsweg wäre ja wohl, einfach abzuwarten, bis sich ausgerottete Tiere ihre angestammten Lebensräume ganz von selbst zurückerobern. Wolf „Kurti“, der eben in Niedersachsen im Auftrag des Umweltministeriums erschossen wurde, ist dafür ein Beispiel: Angeblich haben ihn Soldaten auf dem Truppenübungsplatz Munster so lange gefüttert, bis er die Menschenscheu verlor.

Rast vor der Polizeiwache

So oder so: Bruno wurde seine Zutraulichkeit zum Verhängnis. In seinen letzten Tagen saß er sogar vor der Polizeiwache mitten im bayerischen Fremdenverkehrsort Kochel am See. Spötter sagten damals: „Der wollte sich wohl freiwillig stellen nach der ganzen Hatz.“

Bis aus Finnland hatte Bayerns Staatsregierung Bärenjäger einfliegen lassen, um das Problembär-Drama womöglich unblutig zu beenden. Aber für einen Schuss mit dem Narkosegewehr kam niemand nah genug heran an Bruno. Richtig ernste Probleme gab es sogar noch, als Gebirgsjäger-Ehrenleutnant Stoiber und sein Umweltminister als Ausweg nur noch den scharfen Schuss erkannten: Bayerns Landesjagdverband und die Tiroler Jägerschaft hatten ihren Mitgliedern nachdrücklich empfohlen, sich nur ja nicht an der Beseitigung des Raubtiers zu beteiligen. Dort wusste man sehr wohl, was Bärenjägern in unseren Breiten blühen kann: Ein Waidmann, der kurz zuvor in Österreich in eindeutiger Notwehrsituation einen Bären streckte, musste monatelang unbezahlten Urlaub nehmen, um den Hassattacken von Bärenfans zu entgehen.

Um die Details der Bruno-Tötung ranken sich bis heute Gerüchte und Legenden. Wahr ist wohl, dass schließlich weisungsgebundene Staatsbeamte mit dem finalen Rettungsschuss beauftragt wurden. Sie mussten einen Jagdschein besitzen, anders ist das Waidwerk auch auf Problembären nicht erlaubt. Und sie müssen – bis heute – eisern schweigen.

Mit drei Schüssen erlegt

Am 26. Juni 2006 meldete das Münchner Umweltministerium schließlich Vollzug. Bruno wurde auf der Kümpflalm im Rotwandgebirge mit insgesamt drei Schüssen erlegt: „Die Schussentfernung war etwa 150 Meter, der Bär war sofort getötet und schmerzlos erledigt.“ Minister Schnappauf, der sich nach diesen Schüssen ebenfalls nie ganz erholte, bekam körbeweise Protest- und Drohbriefe und auch ein Päckchen mit Menschenkot. Wenig später wechselte der CSU-Politiker, der sich so sehr über den Bären gefreut hatte, in die Industrie.

Die Gedenk-Marterl, die vielerorts in Bayern an Bruno erinnern, zeugen von einer gewissen Unsterblichkeit des Bären. Obwohl er – eindeutig tot – im Museum „Mensch und Natur“ am Münchner Schloss Nymphenburg kunstfertig päpariert zu bewundern ist. Mitten unter (ebenfalls toten) Bienen bei seiner Leibspeise, dem Honig.

Die Mutter lebt im Schwarzwald

Gegen die höchst lebendigen Mord-legenden hilft weitere Ahnenforschung: Brunos Bruder „Lumpaz“, unter Wissenschaftlern „JJ2“ genannt, ist seit Jahren verschollen, wurde wohl gewildert. Bruder „JJ3“wurde am 14. April 2008 erlegt, weil auch er keine Menschenscheu zeigte und in den Dörfern mehrfach Abfallcontainer plünderte. Und Mutter Jurka frisst ihr Gnadenbrot im „Alternativen Wolf- und Bärenpark“ zu Bad Rippoldsau-Schapbach im Schwarzwald. Zusammen mit weiteren Braunbären und drei Wölfen, die uns Menschen in Freiheit zu gefährlich waren.

Am Ende der Geschichte ist schließlich zu erwähnen, dass mittlerweile selbst in Italien offiziell über Abschüsse debattiert wird, seit ein Nationalpark-Bär im vergangenen Jahr einen Jogger in den Kopf gebissen hat. Nach Brunos Tod hatte Italiens Umweltminister Alfonso Pecoraro Scanio noch heftig gegen die Erschießung protestiert und die Herausgabe des Kadavers gefordert. Der sei „italienisches Staatseigentum“. Und ganz billig war er auch nicht.

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