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Atomkraftwerk Gundremmingen ist Auslaufmodell

Bayern / Lesedauer: 7 min

Die Anlage produziert ein Viertel des bayerischen Stroms – Trotzdem müssen sich die Beschäftigten mit dem Ende des Kraftwerks abfinden
Veröffentlicht:31.07.2014, 14:05

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Seit 1966 ist das Atomkraftwerk Gundremmingen in Betrieb. Doch bald ist Schluss. Die Anwohner sehen das mit Skepsis.

Steuerpulte, Schalttafeln, unzählige Lichtchen – das ist die Kommandozentrale für Block B, einen der beiden noch in Betrieb befindlichen Gundremminger Atommeiler. „Warte“ heißt der Raum intern. Zwölf Beschäftige regeln routiniert den Betrieb. Die Schicht leitet Ralf Scheer . Der Ingenieur ist sichtlich stolz auf die östlich von Ulm in Bayerisch-Schwaben gelegene Anlage: Sie sei „super in Schuss“ und höchst leistungsfähig. „Das versteht doch niemand auf der Welt, dass wir die sichersten Kernkraftwerke abstellen“, sagt er. Das tue einem im Herzen weh.

Da ist Scheer nicht der Einzige im Kraftwerk. Doch spätestens seit dem verheerenden Reaktorunglück im japanischen Fukushima 2011 wird die Atomenergie selbst von früheren Anhängern kritischer gesehen. Dass die deutschen Kernkraftwerke nach internationalen Standards als vergleichsweise sicher gelten, spielt keine Rolle mehr. Gleich nach Fukushima warf die damalige schwarz-gelbe Bundesregierung unter Kanzlerin Angela Merkel die deutsche Energieplanung über den Haufen. Im Zeichen der Energiewende sollte ein Reaktor nach dem anderen vom Netz gehen. Acht Stück sind schon abgeschaltet.

Sicherheit bis zum Schluss

„Bei dieser Politik passt vieles nicht zusammen“, meint Andreas Lötterle in der Warte des Gundremminger Blocks B. Er bedient unter anderem die Steuerstäbe im Reaktor und verweist auf die Investitionen, die nach wie vor im Kraftwerk getätigt werden. Heuer sind allein für die beiden aktiven Blöcke 58 Millionen Euro verplant. Sie kommen von den Betreibern RWE und Eon, zwei Energiekonzernen aus dem Ruhrgebiet. Gerade die Sicherheitseinrichtungen müssen auf dem neuesten Stand bleiben. Zusätzlich wird der Schutz eines vorläufigen Zwischenlagers für Brennelemente auf dem Werksgelände verstärkt.

Die knapp 1200 Beschäftigten registrieren die Investitionen. Sie erleben, wie ihr Kraftwerk Strom produziert. Gleichzeitig macht sich unter ihnen eine zwiespältige Stimmung breit. Atomkraft ist in Deutschland ein Auslaufmodell. Die großen ideologischen Debatten zwischen Befürwortern und Gegnern sind geschlagen. Gesellschaftliche Anerkennung gibt es für die hochqualifizierten Kerntechniker nur noch selten. Vorbei sei die Atom-Ära aber auch noch nicht, betont Kraftwerkssprecher Tobias Schmidt. „Die tägliche Arbeit geht ohne Abstriche bei der Sicherheit weiter – bis zur letzten Megawattstunde und noch darüber hinaus.“

Kühltürme als Landmarke

Im 1984 fertiggestellten Block B sieht es direkt über dem Reaktor so aus, als könne man vom Betonboden essen. Rohre, Maschinen – alles wirkt extrem gepflegt. Der persönliche Strahlungsmesser vermerkt nichts. Im angeschlossenen Maschinenhaus surren die Turbinen. Bei den außen gelegenen Transformatoren sorgt 380 Kilovolt Höchstspannung für ein Knistern in der Luft. Ein Stück weiter Richtung Donau stehen zwei 160 Meter hohe Kühltürme. Ihre Wasserdampffahnen sind eine Landmarke für die ganze Region zwischen Ulm, Heidenheim und Augsburg. Bei gutem Wetter sind sie sogar von den 100 Kilometer entfernten Allgäuer Alpen zu sehen.

Der 1966 in Betrieb gegangene Uralt-Block A läuft seit 1977 nicht mehr. Bei einer Schnellabschaltung war zu viel Kühlwasser in den Reaktor gepumpt worden. Es entstand ein wirtschaftlicher Totalschaden. Für Block B ist in drei, für Block C in sieben Jahren Schluss. Dann beginnt die Nachbetriebsphase und später der Rückbau zur grünen Wiese. Jahrzehnte sind dafür veranschlagt. Das sichert wenigstens einen guten Teil der Arbeitsplätze.

Für Bayern könnte die Abschaltung dagegen zum Problem werden. Gundremmingen erzeugt knapp ein Viertel des Stroms im Freistaat. Die Atomkraftwerke im fränkischen Grafenrheinfeld und beim niederbayerischen Landshut liefern ein weiteres knappes Viertel. Das eine geht 2015 vom Netz, das andere 2022. Weshalb eine Versorgungslücke droht.

Die Überlegungen der bayerischen Staatsregierung zur Energiewende sind jedoch undurchsichtig. Ministerpräsident Horst Seehofer zeigt sich sprunghaft. Ein Beispiel ist die vorgesehene Stromtrasse aus Ostdeutschland bis tief hinein ins Bayerische mit dem möglichen Endpunkt Meitingen unweit von Gund-remmingen. Nachdem es von Anliegern Proteste gab, wischte Seehofer die Pläne vom Tisch. Jetzt soll die Trasse irgendwo anders verlaufen. Das Projekt steht wieder am Anfang. Dabei soll die neue Leitung in erster Linie Strom aus den Windparks an der Küste nach Bayern bringen – und so die mögliche Versorgungslücke verkleinern. Prinzipiell könnte hierfür auch ein Ausbau der Windkraft im Freistaat dienen. Aber wieder hat es Widerstände aus der Bevölkerung gegeben. Worauf sich Seehofer eine Abstandsregelung einfallen ließ. Spätestens 2015 wird sie Gesetz sein. Zwischen einem der heute üblichen 200 Meter hohen Windräder und dem nächsten bewohnten Haus müssen zwei Kilometer liegen. Orte, an denen das möglich ist, finden sich selten in Bayern.

Mancher in der Staatsregierung setzt auf neue Gaskraftwerke. Dazu gehört auch die für Energiefragen zuständige Wirtschaftsministerin Ilse Aigner. Eine höchst moderne Anlage dieser Art existiert sogar bereits. Sie umfasst zwei Blöcke des Kraftwerks Irsching etwa 15 Kilometer donauabwärts von Ingolstadt gelegen. Sie laufen jedoch eher spärlich. Die Kraftwerksbesitzer, neben Eon weitere Unternehmen, wollten Ende 2012 einen Block sogar stilllegen. Der Grund: Mit solchen Kraftwerken ist kein Geld zu verdienen. Während die Preise für Strom durch ein Überangebot ständig gefallen sind, haben die Kosten für Gas zugelegt. Erst nach einer Intervention der Staatsregierung blieb der umstrittene Block als Reserve-Stromerzeuger am Netz. Eon-Chef Johannes Teyssen fordert jedoch staatliche Gelder für den Weiterbetrieb. Die Staatsregierung lehnt das ab. Sie sieht die Bundesregierung in der Verantwortung.

Auch für Gundremmingen stellt sich die Gasfrage. Das Gelände ist geräumig. Ein Gaskraftwerk hätte darauf Platz. Nach gegenwärtiger Marktlage ist aber kaum vorstellbar, dass die Betreiber von RWE und Eon Bagger anrollen lassen. Dennoch würde Ministerpräsident Seehofer den Bau eines Gaskraftwerks in Gund-remmingen begrüßen. Regionale Politiker fordern das sogar ausdrücklich. Tobias Bühler, Bürgermeister der Gemeinde Gundremmingen, meint: „Ein Gaskraftwerk wäre eine gute Idee.“ Ihm geht es dabei um die wirtschaftliche Zukunft seines Dorfes nach dem Atom-Aus.

Gundremmingen hat sichtlich vom Kernkraftwerk profitiert. Zum einen durch die geschaffenen Arbeitsplätze, zum anderen durch horrende Gewerbesteuereinnahmen. Die Straßen sind in Ordnung. Rathaus und Schule wirken für ein 1600-Seelen-Dorf fast überdimensioniert. Die Vereine können stark bezuschusst werden. So bauen die Schützen gerade ein neues Vereinsheim. Entsprechend ist man sich am Stammtisch im „Ochsen“ einig, dass es vor Ort praktisch keine Atomkraftgegner gebe – „außer einem Lehrerehepaar und zwei Sozialpädagogen“. Das bedeutet aber nicht, dass es in der Region keinen ernstzunehmenden Widerstand gegen das Kernkraftwerk gegeben hat.

Streit um die Zukunft

Als zentrale Figur hat sich der in Augsburg lebende frühere grüne Landtagsabgeordnete Raimund Kamm gezeigt. Er will eine Sofortabschaltung von Gundremmingen. Dort würden die letzten deutschen Siedewasserreaktoren laufen. Sie hätten allgemein ein höheres Potenzial für Unfälle wie etwa Druckwasserreaktoren. Experten streiten aber, ob dies auch für Gundremmingen zutrifft. Selbst Raimund Kamm meint, dass die Wahrscheinlichkeit eines großen Unfalls angesichts der vielen Sicherungen im Kraftwerk eher gering sei.

Der Anti-Atom-Aktivist hat aber noch andere Argumente gegen einen Weiterbetrieb. Eins davon betrifft die ungelöste Endlagerfrage für Brennelemente. Wo sollen sie hin? Für eine Antwort ist die Bundesregierung zuständig. Sie weiß aber gegenwärtig keine.

In Gundremmingen ist man sich wenigstens darüber im Klaren, was mit allem anderen, den Reaktoren und Bauten, beim Rückbau geschieht. Weniger als drei Prozent werden unwiederbringlich radioaktiv verstrahlte Abfälle sein, etwa Stahlteile des Reaktordruckbehälters. Anders als bei Brennelementen ist ihre Lagerung jedoch weniger brisant. Sie kommen in den dafür hergerichteten Schacht Konrad bei Salzgitter. Das restliche Abbruchmaterial wird recycelt.