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Volksfeste im Süden rüsten sich gegen Anschläge

Baden-Württemberg / Lesedauer: 4 min

Kosten für Vorkehrungen bei Festen steigen – Polizeigewerkschaft warnt vor Überlastung
Veröffentlicht:23.05.2017, 19:50

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Ein Konzert in Manchester , ein Weihnachtsmarkt in Berlin, ein Festival in Ansbach: Die jüngsten Terroranschläge richteten sich gezielt gegen die Besucher großer Veranstaltungen. Polizei und Veranstalter in Baden-Württemberg und Bayern haben darauf reagiert. Der Tenor: Größtmögliche Sicherheit ja, aber kein Einknicken vor einer möglichen Bedrohung. Allerdings steigen die Kosten für Volksfeste und Umzüge, die Polizeigewerkschaft warnt vor einer Überlastung der Beamten.

Wenn am Freitag die größte Reiterprozession Europas durch Weingarten zieht, werden mehr Polizisten im Einsatz sein als in den Vorjahren, es gibt mehr Kontrollen und striktere Absperrungen. Erstmals hat die katholische Kirchengemeinde St. Martin als Veranstalter des Blutritts einen Sicherheitsdienst engagiert. „Wir haben unser Sicherheitskonzept für die Fasnets-Umzüge der Bedrohungslage bereits angepasst. Wenn wir nach den Anschlägen von Manchester etwas ändern müssten, hätten wir schlecht gearbeitet“, sagt Weingartens Verwaltungsdirektor Günther Staudt. Man sei gut vorbereitet – auch wenn es keine 100-prozentige Sicherheit gebe.

Zwei Millionen Überstunden

Grundsätzlich verantwortlich für die Sicherheit von Festen sind die Kommunen, auf deren Gebiet gefeiert wird. Diese erarbeiten mit Veranstaltern, Polizei und Rettungskräften ein Sicherheitskonzept für die Feste. Je nach Veranstaltungsort, Besucherzahl und überregionaler Bedeutung ergreifen die Behörden unterschiedliche Maßnahmen.

Das Stuttgarter Innenministerium gibt den Polizei- und Ordnungsbehörden im Land Hinweise und Empfehlungen. „Wir haben mit einem umfassenden Maßnahmenpaket auf die jüngsten Anschläge reagiert“, sagt Polizeisprecher Renato Gigliotti. Unter anderem setzt sein Haus auf mehr Videoüberwachung bei den Festen und die enge Kooperation mit den Veranstaltern.

In der Regel sind laut Gigliotti mehr Polizisten vor Ort. Das führt zu Überstunden. Das Polizeipräsidium Ulm sagt dazu, es gebe durchaus ruhigere Zeiten, in denen Kollegen Überstunden abbauen könnten. Ganz anders sieht das die Gewerkschaft der Polizei. Baden-Württembergs Landeschef Hans-Jürgen Kirstein fürchtet um die Gesundheit seiner Kollegen: „Wir haben schon jetzt rund zwei Millionen Überstunden. Es hilft uns gar nichts, wenn das Innenministerium uns anbietet, uns diese auszahlen zu lassen.“ Zum einen lohne sich das finanziell kaum. Zum anderen brauchten die Kollegen Pausen, um sich zu erholen und Kontakte zu Familien und Freunden zu pflegen. „Wir brauchen mehr Hilfsmittel, etwa eine verstärkte Videoüberwachung bei solchen Festen“, erklärt Kirstein.

„Natürlich kostet uns die erhöhte Sicherheit mehr“, erklärt Dieter Graf, Chef der Rutenfestkommission in Ravensburg. Rund 40 000 Euro zahlen die Veranstalter dafür, dass 100 Mitarbeiter eines privaten Security-Dienstes die Zugänge kontrollieren. „Aber es war nie ein Thema, dass wir das von der Stadt zurückverlangen“, sagt Graf. Diese schießt 190 000 Euro zum Rutenfest zu.

Polizei: Kommunen in der Pflicht

Beim Biberacher Schützenfest hat man zuletzt breitere Treppen zum Gigelberg gebaut, um Fluchtwege zu verbessern. Stadt und Schützendirektion teilen sich die Kosten. Vertreter beider Seiten betonen, darüber gebe es keinen Streit. 2012 hatte es Dispute mit dem damaligen Oberbürgermeister gegeben, nun herrscht offenbar Einigkeit. Die Zusammenarbeit zwischen Städten und Polizei funktioniert nicht immer reibungslos. In Ellwangen zum Beispiel musste die Stadt bei den Fasnets-Umzügen selbst für Straßensperren sorgen. „Die Polizei hat uns mitgeteilt, dass sie das nicht mehr leisten kann“, so Stadtsprecher Anselm Grupp. Der Pressesprecher des zuständigen Präsidiums in Aalen, Bernhard Kohn, erklärt dazu: „Jahrelang hat die Polizei als Mädchen für alles Aufgaben übernommen, für die sie nicht zuständig ist.“ Viele Kommunen wüssten daher nicht mehr, dass vieles im Sicherheitsbereich in ihrer Verantwortung liege. „Gerade in dieser Sicherheitslage muss sich die Polizei auf ihre Aufgaben konzentrieren“, so Kohn. Deshalb lernten die Kommunen gerade, was sie erledigen müssten.

Zu vorläufigen Absage eines Festes haben die erhöhten Sicherheitsauflagen im oberfränkischen Bamberg geführt. Dort droht der Kirchweih, der „Sandkerwa“, die Absage. Einer der Gründe: Die Veranstalter, die die Kirchweih ehrenamtlich organisieren, sehen sich von zu hohen Sicherheitsauflagen der Stadt eingeschnürt und fordern mehr finanzielle Unterstützung.