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Urteil

Überraschende Wende im Masern-Prozess

Baden-Württemberg / Lesedauer: 6 min

Impfgegner Stefan Lanka gewinnt vor dem Oberlandesgericht Stuttgart die Berufungsverhandlung
Veröffentlicht:16.02.2016, 21:07

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Die Paragrafen 657 fortfolgende aus Buch 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) fristen in der Regel zu Recht ein Schattendasein unterhalb der öffentlichen Wahrnehmung. Bindende Versprechen und die Folgen schaffen es meist nicht in die Schlagzeilen.

Der Streit, ob es wirklich Viren gibt, die Aids und Masern auslösen, oder hinter solchen Krankheiten finstere Machenschaften mächtiger Gesundheitskonzerne stecken, hingegen schon.

Am Dienstagabend gegen 17.20 Uhr treffen beide Fragen im Saal 2.10 des Oberlandesgerichtes Stuttgart aufeinander, als die Drei-Richter-Kammer unter Vorsitz von Karl-Heinz Oleschkewitz ein Urteil des Landgerichts Ravensburg kippt. Oleschkewitz’ Kollegen hatten dort im März Stefan Lanka zu einer Zahlung von 100000 Euro Preisgeld verurteilt.

Gefolgsleute im Gerichtssaal

Die hatte er 2011 demjenigen versprochen, der eine wissenschaftliche Publikation vorlegt, „in der die Existenz des Masernvirus nicht nur behauptet, sondern auch bewiesen und darin unter anderem dessen Durchmesser bestimmt wird“. Lanka glaubt nicht, dass Viren Krankheiten wie Aids, Vogelgrippe oder Grippe auslösen. Seit er als Meeresbiologie-Viertsemestler an der Uni Konstanz unter dem Mikroskop eine virenartige Struktur aus dem Meer entdeckt habe, sieht sich Lanka als forschender Virologe.

Was die Schulmedizin als Viren bezeichne, seien normale Zellstrukturen. Die Krankheiten, die den Viren zugeordnet werden, hätten tatsächlich ganz andere Ursachen. Mit dieser These hat Lanka viele Gefolgsleute um sich geschart, auch an diesem Dienstag in Stuttgart . Und er hat die Schulmedizin aufgebracht, denn manche Eltern wollen ihre Kinder nicht mehr impfen lassen.

„Sehr sorgfältige Arbeit“

Die Ausschreibung wiederum sah David Bardens . Der angehende Arzt aus dem Saarland sammelte sechs wissenschaftliche Aufsätze aus der Zeit zwischen 1954 und 2007 – und forderte seine Belohnung ein. Das Landgericht Ravensburg gab Bardens im März 2015 in einem spektakulären Zivilprozess recht.

Knapp ein Jahr später sammelt das Oberlandesgericht Stuttgart das Urteil nun wieder ein – mit Verweis auf § 657 BGB. Denn so viel und ausführlich Richter Oleschkewitz die Arbeit der Ravensburger Kollegen auch für ihre „sehr sorgfältige Arbeit“ lobpreist – bei einer entscheidenden Kleinigkeit sind die Stuttgarter ganz anderer Meinung: Nämlich dass das 100000-Euro-Versprechen juristisch gesehen kein Preisausschreiben, sondern eine Auslobung ist. Und da könne der Auslobende viel selbst entscheiden, finden die Stuttgarter. Unter anderem auch, dass er nur eine Publikation will – und nicht sechs, wie sie Bardens eingereicht hatte. „Sie hätten aber auch 600 einreichen können, er hätte keine akzeptiert“, sagt der Vorsitzende Richter über Lanka.

Nur diese andere Auslegung des BGB ist es, die das Urteil aus Ravensburg kippt. Es geht nur um Jura, nicht um Medizin. Ob es jetzt bösartige Viren wirklich gibt oder eine Erfindung von Medizinkonzernen, Bilderbergern und Lügenpresse ist da weitgehend egal – und darüber traut sich Oleschkewitz an diesem Tag auch kein Urteil zu: „Es ist eine Illusion zu glauben, dass ausgerechnet drei Juristen beurteilen sollen, ob es ein Masernvirus gibt oder nicht“, erklärt der Richter, verweist auf die soziale Verantwortung in der Impfdiskusson, seufzt noch ein „Das war’s“ und geht.

Gelernter Meeresbiologe

Das war’s? Für Lanka noch lange nicht. Im Gegenteil: „Der Prozess markiert einen Wendepunkt in der Masernforschung“, sagt der große Mann mit seiner sanften Stimme in die Mikrofone. Überraschend findet er das Urteil nicht, wenn er sich auch andere Gründe und viel mehr Zeit zum Darlegen seiner Thesen gewünscht hätte.

Das Landgericht Ravensburg habe „frappierende Rechtsfehler“ gemacht, sagt der gelernte Meeresbiologe. Dass die breite Mehrheit der Menschen durchaus weiter an Masernviren glaubt und er mit seiner Theorie der Nichtexistenz eine Einzelmeinung vertritt, ficht ihn nicht an. „Das war Einstein auch mit seiner Gravitationstheorie.“

„Wissenschaftlicher und Mensch“

Lanka ist an diesem Dienstag gut aufgelegt, hofft auf einen „Paradigmenwechsel“ und „Reinigungsprozess“ der Medizin, die jahrhundertelang von militärischen Begriffen dominiert gewesen sei. Den Begriff „Impfgegner“ möge er nicht, doziert der ganz in Schwarz gekleidete Lanka vor einem Pulk Journalisten. Als was er angesprochen werden wolle? „Als Wissenschaftlicher und Mensch.“ Er gibt sich versöhnlich: Dass es keine Masernviren gibt, will er so hart nicht sagen. Und dass er früher seine Kritiker seinerseits scharf und apodiktisch kritisiert habe, tue ihm heute leid.

Schon sehr bald würden sich weitere Forscher offen seiner Meinung anschließen, prophezeit der Langenargener. Das mit Zinsen und Prozessgeldern auf 121000 Euro angewachsene Preisgeld habe er für alle Fälle auf ein Sperrkonto deponiert. Nun werde er es in die Forschung stecken. Lanka will beweisen, dass gängige Testmethoden immer auch einen Teil Maserndiagnosen produzieren – auch ohne reale Krankheit. Ausbrüche wie kürzlich in Berlin, bei dem auch ein Kind starb, entstünden eben durchs Testen. Je mehr Leute untersucht würden, desto mehr Masern gebe es. Doch an diesem Tag will er nicht mal bestreiten, dass es das Virus vielleicht doch gibt. Wissenschaftler müssten heuer halt alles infrage stellen.

Seinen Widersacher Bardens lobt Lanka auch noch überschwänglich als einen der wenigen Ärzte, die für Überzeugungen ins Feld zögen. „Ich schätze Herrn Bardens. Wenn ich einen Arzt bräuchte, ich würde zu ihm gehen.“

Security für Mediziner

Dass es nicht immer so aufgeräumt zugeht zwischen Schulmedizin und Impfgegnern zeigt ein kompakter Sicherheitsmann, der Bardens nicht aus den Augen lässt. Es habe Anfeindungen, Beleidigungen und auch Drohungen gegeben, erzählt der mit Sakko und Turnschuhen angetane Saarländer in unaufgeregten Worten. Als der 31-jährige Arzt vor dem Verhandlungssaal in Kameras sagt, dass alle vier Minuten ein Kind auf der Welt an Masern sterbe, krakeelt ein Impfgegner „Stimmt nicht!“ dazwischen. Die Niederlage vor Gericht steckt er gut weg, auch wenn ihn der Verlust der 121000 Euro ärgert. „Mit dem Geld hätte man viele Kinder impfen können“, sagt er in einem lockeren Tonfall.

„Mit dem Urteil hatte ich nicht gerechnet. Aber es ist halt so.“ Bardens will die schriftliche Begründung des Urteils abwarten und dann zusammen mit seiner Anwältin entscheiden, ob sie vor dem Bundesgerichtshof Nichtzulassungsbeschwerde einreichen wollen.

Einen kleinen Erfolg kann Bardens immerhin auch noch für sich verbuchen: Nachdem 2014 ein ehrabschneidender Text auf Lankas Internetseite erschienen war, der dem „fachfremden Jungarzt“ voraussagt, dass der bestimmt bald wegen „Gerichtsbetrug, Zahlungsunfähigkeit [...], Beihilfe zu massenhafter Körperverletzung, zum Teil mit Todesfolgen und wegen Fluchtgefahr ins Ausland“ verhaftet werde, hatte Bardens einen Anwalt eingeschaltet. Der Text verschwand, die Anwalts-auslagen in Höhe von 492,54 Euro soll der Arzt bekommen.