Viel Glas, viel Stahl, eine futuristische Fassade auf drei Stockwerken. Dahinter führen breite Fluren mit Holzböden zu den Klassenzimmern. Das Gebäude der Bil-Schulen strahlt aus, was Trägerverein und Schulleitung nach außen transportieren: Gegründet aus der türkischen Einwanderercommunity Stuttgarts – auch nach den Idealen der Gülen-Bewegung – präsentiert man sich als weltanschaulich neutral, offen und ganz den deutschen Gesetzen verpflichtet. Doch die Nähe zu den Lehren des Predigers Fethullah Gülen spielt seit dem gescheiterten Putsch in der vor einer Woche nun doch eine große Rolle für die Schule. Der Grund: Unter den in Baden-Württemberg lebenden Türken verlaufen die Konfliktlinien ebenso wie in der Türkei selbst. Und dort verfolgt Präsident Erdogan Gülen-Anhänger mit großer Härte. Er macht den Prediger und ihm nahestehende Gruppen für den versuchten Staatsstreich verantwortlich. Gülen selbst dementiert jede Beteiligung.
Sozialer Druck
„Einige unserer Lehrer wurden privat angefeindet, sechs Familien haben ihre Kinder seit dem Putsch abgemeldet“, berichtet Alexander Fenselau, Lehrer der Bil-Schulen im Stuttgarter Stadtteil Cannstatt. Außerdem müsse man damit rechnen, dass nach den Sommerferien wenige Schüler nicht mehr an die private Einrichtung zurückkehrten. „Der soziale Druck in der türkischen Community ist groß“, sagt Fenselau. Der Riss zwischen Anhängern der Erdogan-Partei AKP und Gülen-Anhängern verlaufe durch Familien und Freundeskreise. Mehr als 80 Prozent der 440 Schüler haben türkische Wurzeln, die Mehrzahl der Lehrer dagegen deutsche. Unter einem Dach vereint die Privatschule eine Grund- und Realschule, ein Wirtschafts- und ein Regelgymnasium. Zwei davon sind bereits als Schulen nach deutschen Anforderungen anerkannt, bekommen Förderung und dürfen Abschlussprüfungen abnehmen, die übrigen zwei Zweige durchlaufen gerade das Anerkennungsverfahren. „Wir sind eine deutsche Schule, unterrichten nach den vorgeschriebenen Bildungsplänen“, betont Fenselau und verweist wiederholt auf die Neutralitätspflicht, die, wie für alle deutschen Schulen auch für die Bil-Anstalten gilt.
Verfassungsschutz prüfte
Das hat seinen Grund. 2014 prüfte das baden-württembergische Landesamt für Verfassungsschutz , welche Verbindungen die Gülen-Bewegung nach Deutschland hat. Explizit genannt wurden sechs Schulen, darunter die in Cannstatt, sowie rund 40 Bildungszentren. Die Beamten kamen zu dem Schluss, dass „Teile des von Gülen vertretenen Gedankenguts mit einzelnen Positionen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht in Einklang zu bringen sind“. Gleichwohl fänden solche Positionen keinen Ausdruck in politisch bestimmten Aktivitäten der Vereine und Einrichtungen der Gülen-Bewegung in Baden-Württemberg. „An dieser Einschätzung hat sich nichts geändert“, sagte ein Sprecher des Amtes. Deswegen werde die Gülen-Bewegung auch nicht beobachtet.
Die meisten Gülen-nahen Schulen im Land erleben derzeit Ähnliches wie die Kollegen in Cannstatt. Schulleiter aus Freiburg, Mannheim und Ludwigsburg bestätigten auf Anfrage der „Schwäbischen Zeitung“ am Donnerstag, dass es Abmeldungen nach dem Putschversuch gab. Auch Kontakte zur Polizei bestätigen alle. Diese hat nach Auskunft des Innenministeriums „das Problem auf dem Schirm“. Man fahre zum Teil verstärkt Streife, konkrete Anhaltspunkte für eine Bedrohung gebe es jedoch aktuell nicht.
Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU) hatte bereits am Dienstag beim SWR gewarnt: „Dieser unfriedliche und hasserfüllte türkische Konflikt der vergangenen Tage kann und darf auf unseren Straßen keine Fortsetzung finden. Und wir werden auch, wenn es sein muss, konsequent für Sicherheit und Ordnung sorgen.“
Beängstigende Lage
Doch im Netz und via Kurznachrichtendienst WhatsApp kursierten in den vergangen Tagen Schmähungen gegen Gülen-Anhänger. Unter anderem soll es einen Boykottaufruf gegen mehrere, angeblich Gülen-nahe Unternehmer in Baden-Württemberg gegeben haben. Nachdem Medien berichtet hatten, Urheber sei die AKP-nahe Union Europäischer Demokraten (UETD) veröffentlichte diese auf ihrer Webseite und ihren Facebook-Auftritten ein Dementi. Ercan Karakoyun, der Vorsitzende der Stiftung Dialog und Bildung, beschrieb die Situation in ganz Deutschland in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ so: „Die Lage ist beängstigend, wir werden bedroht und beschimpft, wir erhalten Morddrohungen.“ Die Stiftung gilt als offizielle Vertretung der Gülen-Bewegung.
Zu Gewalttaten ist – anders als zum Beispiel im nordrhein-westfälischen Gelsenkirchen – in Baden-Württemberg noch nichts bekannt. „Ich weiß nichts von Übergriffen gegen Anhänger der Hizmet-Bewegung in Ulm“, sagt Oguzhan Altuntas . Er ist Vorstandsmitglied der Gesellschaft für Dialog in Mannheim. Diese Gruppierung bekennt sich offen zur Hizmet-Bewegung von Gülen. Allerdings sei man vorsichtig geworden: „Wir wissen, dass viele Familien zerstritten sind, dass die Türken stark unter Druck stehen, dass der Putsch polarisiert hat.“ Hizmet-Anhänger seien in den vergangenen Tagen öfter beleidigt worden: „Und Erdogan-Anhänger haben zum Boykott gegen Geschäfte aufgerufen, deren Inhaber der Hizmet-Bewegung nahestehen.“
Altuntas treibt als Geschäftsführer des ebenfalls der Hizmet-Bewegung nahestehenden Ulmer Trägervereins Bildungsinitiative Blautal (BIB) ein ambitioniertes Projekt voran, das von den Erdogan-Anhängern kritisch gesehen wird: ein türkisches Privatgymnasium in der Donaustadt. Auf der Homepage verkündet der Verein, er wolle nach den Sommerferien den Betrieb aufnehmen. Noch aber ist die staatliche Genehmigung für den Betrieb der Schule nicht erteilt: „Uns fehlen noch ein paar Punkte“, räumt Altuntas ein. 15 Anmeldungen seien zugesagt. Ob aber angesichts der Spannungen unter den Türken die Einrichtung, die in Ulm nur „Gülen-Schule“ heißt, ihren Betrieb aufnehmen wird, ist nicht nur wegen der fehlenden Genehmigung mehr als fraglich.
Neben Anhängern von Gülen sorgen sich Vertreter anderer, Erdogan-kritischer Gruppen um ihre Sicherheit. So sagte Ilyas Czagla, Landesvorstand der alevitischen Gemeinde in Baden-Württemberg: „Bisher ist es ruhig, aber nach den Anfeindungen gegen Gülen-Gruppen befürchten wir schon, dass es zu Bedrohungen von AKP-nahen Organisationen kommt. Er habe Gemeinden und Vereine im Land am vergangenen Wochenende bereist und zu Vorsicht gemahnt. Nach dem Putsch hatte Erdogan seine Anhänger auf die Straßen gerufen, um den Staat gegen die Militärs zu verteidigen. Dabei kam es jedoch auch zu massiven Übergriffen auf Aleviten, eine muslimische Minderheit in der Türkei, die für eine strikte Trennung von Religion und Staat eintritt – und sich damit oft auf Konfrontationskurs mit Präsident Erdogan bewegt.
Aufruf zur Versöhnung
Ein anderer Konflikt, der seit Jahren auch in Deutschland ausgetragen wird, ist jener zwischen Kurden und Türken. Turan Tekin, Sprecher der kurdischen Gemeinde Stuttgart, sagt: „So wie Erdogan den Putsch im Land nutzt, um gegen seine Gegner vorzugehen, so wird er diesen Konflikt auch nach Europa und vor allem nach Deutschland tragen.“ Die kurdische Gemeinde versuche, auch ihre Anhänger zur Versöhnung mit türkischen Migranten zu bewegen und zu vermitteln. Gewalt lehne man ab. Doch auch dazu kommt es.
Jüngstes Beispiel: Am Schwörmontagabend, dem „Ulmer Nationalfeiertag“, war mitten in der Innenstadt ein türkischer Imbiss attackiert worden. 15 Maskierte hatten Steine und Flaschen geworfen, danach verprügelten sie zwei Männer. Der türkische Imbiss-Inhaber sagt, es gehe um Schutzgeld-Erpressung durch „Bahoz“-Rocker. Zwei Mal sei er von diesen kurdischen Rockern „besucht“ worden. Nach seinen Schilderungen kam es dann am Montagabend zu einer Prügelei zwischen den „Bahoz“-Leuten und Mitgliedern der „Osmanen Germania BC“. Dass sich die als AKP-Anhänger geltenden „Osmanen“ und die kurdischen „Bahoz“ spinnefeind sind, hat nun auch die Ulmer Polizei bemerkt. Zwar werden beide im Polizeijargon immer noch verharmlosend als „rockerähnliche Gruppierungen“ bezeichnet. Intern aber räumen Polizeibeamte ein, dass Ulm ein massives Problem mit türkischen und kurdischen Rockern hat. Anfang Juli mussten die Beamten 60 gewaltbereite Männer voneinander trennen – vor jenem Imbiss in der Innenstadt, der jetzt wieder Schauplatz einer Auseinandersetzung war.
„Bahoz“ wird eine Nähe zur PKK nachgesagt. „Wir sind eine Gruppe entschlossener Männer, hauptsächlich bestehend aus Kurden, die dem Rassismus und dem Faschismus den Kampf angesagt haben“, so die Selbstbeschreibung von „Bahoz Ulm“. „Bahoz“, was auf Kurdisch Sturm bedeutet, werde in seinem Lebensraum weder Rassismus noch Faschismus dulden. „Und sehr bald wie ein Sturm auch die Straßen vom faschistischen Dreck befreien.“